Erstellt am: 24. 5. 2013 - 15:03 Uhr
Über den Schindeln
Der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten ist eine Linie. So klar vor Augen geführt wie diese Woche bekommt man das allerdings selten. Zwischen dem Heidenturm und dem Südturm des Stephansdoms, die ansonsten hunderte von Stiegen trennen, hängt seit Dienstag eine sogenannte Slackline, 50 Meter lang und 60 Meter über dem Boden.
FM4 / Simon Welebil
Normalerweise sieht man Highlines in den Bergen, zwischen Felsnadeln oder über Schluchten gespannt, doch auch Häuserschluchten oder Bauwerke bergen ihren Reiz, wie mir Christian Waldner erzählt. Die Altstädte in Hall in Tirol oder Innsbruck zum Beispiel hat er schon überquert, genauso wie den Abgrund zur Frau Hitt auf der Nordkette über Innsbruck.
Adrenalin wird verdrängt
Christian Waldner wird heute, Freitag, 24. Mai, um 18 und um 20 Uhr versuchen, seine Highline zu meistern.
Zum Zusehen einfach am Wiener Stephansplatz vorbeischauen.
Es ist nicht das Adrenalin, das ihn immer wieder auf Highlines treibt, sagt er, denn das spüre er gar nicht übermäßig. Die Konzentration, die er für das Überqueren der Line benötigt, würde den Adrenalinstoß unterdrücken. Genau diese Konzentration, dieses absolute Fokussieren auf ein Ziel, das andere Ende, mache für ihn Reiz bei einer Highline aus. Und wenn er Publikum hat, das ihm zusieht und ihn anfeuert, sporne ihn das umso mehr an. Und an Publikum wird es ihm im Herzen von Wien nicht mangeln.
Schwierige Vorbereitung
Christian Waldner ist nicht der erste, der die Idee zu einer Highline am Stephansdom hatte, aber der erste, der alle Genehmigungen dafür bekommen hat. Ein halbes Jahr haben er und sein Team darauf hingearbeitet, bis der Dompfarrer und der Kardinal das Projekt abgesegnet haben. Christian Waldner hatte die nötigen Referenzen vorzuweisen, den Rest wird wohl die erwartbare positive PR bewirkt haben. Denn die Aktion wurde auf die Lange Nacht der Kirchen gelegt und soll so noch mehr BesucherInnen anziehen.
FM4 / Simon Welebil
Im Vergleich zur Vorbereitungszeit geht der Aufbau der Highline dann relativ schnell über die Bühne. Die Dombaumeister, die ständig an der Renovierung des Stephansdomes arbeiten, seien ziemlich motiviert gewesen, schmunzelt Christian. Sie haben Lärchenbalken in den Südturm geschleppt, um daran die Line zu verankern. Am Heidenturm gegenüber haben Christian und ein Freund dafür gleich die ganze Spitze des Turms mit Rundschlingen umfasst. Die Ankerpunkte sitzen.
Seil werfen statt Armbrust
Die Bergrettung benützt zum Überspannen einer Schlucht meist eine Armbrust, um ein Seil rüberzuschießen, um auf 50 Meter Distanz allerdings in das kleine Fenster am Südturm zu treffen müsste man ein besonders guter Schütze sein. Christian Waldner ist es nicht. Mit seinem Partner wirft er Seile aus jedem Erker des Daches, verknüpft sie und zieht an ihnen schließlich die Slackline und die Redundanz, das Sicherungsseil, hoch. Mit einer Ratsche und einem Flaschenzug werden sie gespannt.
Das Material, LKW-Gurte, Stahlkarabiner, ein Statikseil und die Line, ist für die Spannung, auf die es gebracht wird, eigentlich überdimensioniert, aber Highlinen ist kein Sport für Todesmutige, die Sicherheit geht vor und in dieser Höhe müsse man sich auf das Material eben verlassen können. Mit einem kurzen Band und über seinen Klettergurt ist Christian mit der Line verbunden und somit gesichert. Nach einem möglichen Sturz kann er gleich wieder aufsteigen.
FM4 / Simon Welebil
Vor den tausenden ZuschauerInnen, die er bei seiner Show erwartet, will er natürlich nicht von der Line absteigen, aber das sollte dem Profi auch nicht mehr passieren. Einzig böiger Wind oder Mauersegler machen ihm Bedenken. Letztere sind ihm bei einem anderen Auftritt schon mit 200 Kilometer pro Stunde um die Ohren gezischt, ein Gefühl, das er nicht noch einmal haben möchte.
Bei seinen Probeläufen sind ihm jedoch keine Mauersegler untergekommen und auch schlechtes Wetter wird ihn nicht abhalten, hoch über den Schindeln zu balancieren. Ob er die Highline bewältigen kann, hängt nur noch von seiner Psyche ab.
Simon Welebil