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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

23. 5. 2013 - 12:38

Effizienz und Idiotie

Wie Politik, soziale und traditionelle Medien dem gestrigen Mord von Woolwich zu seiner größtmöglichen Wirkung verhalfen.

Wie inszeniert man über Nacht ein Klima von Gewalt und rassistischer Aggression in einem europäischen Land anno 2013? Seit gestern wissen wir: Dazu braucht es nur ein paar scharfe Messer, den Rest erledigen freiwillig die Politik, sowie die alten und die neuen Medien mit einer erschreckenden Mischung aus Effizienz und Idiotie.

Gestern, nach dem grausamen Mord an einem britischen Soldaten auf offener Straße in Woolwich, liefen die beiden Mörder nicht etwa davon, sondern blieben bewaffnet auf der Straße stehen. Sie wussten, was passieren würde, und die PassantInnen enttäuschten sie nicht. Sie zückten ihre Mobiltelefone und begannen zu filmen. Die Bilder, die sie machten, fanden nicht nur ihren Weg in die sozialen Netzwerke und die Fernsehnachrichten. Sie sind heute auch auf den Titelblättern aller britischen Tageszeitungen zu sehen. Selbst der Guardian titelt mit den Worten eines der Attentäter und einem Bild von ihm.

Ich werde diese Worte hier nicht wiederholen, weil man sie erstens überall schon gelesen hat und sie zweitens überhaupt nicht von Belang sind. Der Mann sprach grundsätzlich einmal für niemand außer seinen Kumpel und sich selbst und wer immer sich damit identifizierte, verdient genauso wenig, dass eine Tageszeitung sich zu seinem Sprachrohr macht.

Tatort des Woolwhich-Attentäters

EPA

Aber die Hilfsbereitschaft mit der sowohl die sozialen als auch die traditionellen Medien den Wunsch der Mörder nach Öffentlichkeit erfüllten, ist hier nur die halbe Geschichte.

Gestern Nachmittag, als via Twitter schon genaue Schilderungen der Hergänge kursierten, erklärte der Chef-Politikberichterstatter der BBC Nick Robinson, die zwei Verdächtigen wären "Männer moslemischer Erscheinung" gewesen.

Als ihn Twitter-Follower darauf aufmerksam machten, dass das kein akzeptabler Sprachgebrauch sei (und wie recht sie damit hatten, stellte sich erst später heraus, schließlich trugen die Attentäter keineswegs spezifisch moslemische Kleidung oder etwa auffällige Kinnbärte), tweetete Robinson zurück, er habe bloß wörtlich eine Quelle aus Whitehall (sprich: eine Quelle der Regierung) zitiert.

Als wäre das eine für einen Journalisten brauchbare Begründung.

Jene Regierung, die solch eine potenziell aufheizende Täterbeschreibung an ihr offenbar unkritisches mediales Mundstück weitergegeben hatte, berief zur selben Zeit ihr für terroristische Krisenfälle vorgesehenes Gremium COBRA ein.

Zu diesem Zeitpunkt lagen wohlgemerkt beide Attentäter bereits angeschossen im Spital. Was es also tatsächlich dringend zu beraten gab, war die bestmögliche Bewahrung des sozialen Friedens auf den Straßen zur Vermeidung hirnloser Racheakte.

Die alarmierende Geste, COBRA einzuberufen, musste das genaue Gegenteil davon bewirken. Aber ein Politiker wie David Cameron, derzeit schwer unter internem Beschuss seitens der konservativen Rechten, die eine sofortige Abstimmung zum Austritt aus der EU fordert und die Angleichung des Eherechts für Lesben und Schwule ablehnt, konnte dieser Gelegenheit zur Demonstration von Einigkeit und staatsmännischer Autorität unmöglich widerstehen. Und die Medien konnten das noch weniger. Ein Mord war zum Angriff auf das ganze Land geworden, alle durften sich nun als Opfer fühlen.

David Cameron über den Woolwhich-Attentäter

EPA

Randbemerkung zum Thema Soziale vs. Traditionelle Medien:

Schon gegen Abend waren, wie mittlerweile bei jedem dieser Ereignisse üblich, prompt triumphierende Tweets und Blogs darüber zu lesen, wie viel schneller Twitter mit seinen Informationen dran gewesen sei als die traditionellen Medien. Dahinter steckt ein Missverständnis: Augenzeugen-Berichte über Twitter sind Informationsquellen, aber noch keine Nachrichten.

Nachrichten werden sie durch journalistische Überprüfung und Zusammenfassung der Informationsquellen.
Das wiederum darf, ja soll Zeit brauchen, auch im 21. Jahrhundert. Dafür sind traditionelle Medien da und notwendig, und dazu brauchen sie auch die nötigen Ressourcen, die Geld kosten.

Da aber die mit immer weniger Ressourcen immer mehr Output (Rolling News) produzierenden traditionellen Medien in Angst davor leben, gegenüber den sozialen Medien uninformiert und träge auszusehen, verlieren sie diese Kernfunktion aus den Augen und verbreiten unreflektierten Dreck.

Nun höre ich weder die giftigen Talk-Radiosender, noch sehe ich Sky News oder lese ich die Tabloids, man will schließlich nicht gleich den Lebenswillen verlieren, aber zur Not tut's auch die BBC: Gestern erzählte uns die Lokalnachrichtensendung der BBC South East Today, zuständig für East Sussex und Kent, um 22.30 Uhr, nach Stunden der Gelegenheit zur Arbeit an der richtigen Formulierung, in London habe eine "mutmaßliche islamische Attacke" stattgefunden. Nicht etwa "islamistic", sondern "islamic".

Eine knappe Stunde davor war bereits in Gillingham, Kent, ein Mann nach einer Revanche-Attacke auf eine Moschee festgenommen worden. Die Meldung darüber wurde in derselben Nachrichtensendung verlautbart. Die RedakteurInnen wussten also genau, welches Klima sie da draußen befütterten, mit der vollen Verantwortung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und unter dem Siegel der sogenannten Unparteilichkeit der BBC.

Etwa eine Stunde später wiederholte der Rolling News-Kanal BBC News24 ein Interview mit Professor Michael Clarke, dem Chef von RUSI, dem Royal United Services Institute for Defense and Security Studies, der nach Ansicht der Fernsehbilder die Ferndiagnose stellte, es handle sich um einen Anschlag, der klar die Handschrift von Al Kaida trage. Die Begründung: "Die köpfen Leute, das ist, was Sunni-Moslems tun."

Kein Wort des Widerspruchs seitens des Interviewers. Und offenbar kein Gedanke seitens der Redaktion, ob es eine gute Idee ist, eine derartig weitschweifende Charakterisierung aller Sunnis als geborene Henker, nachdem sie live auf Sendung ging, später auch noch zu wiederholen.

Man könnte behaupten, diese zwei Beispiele beruhten bloß auch sprachlichen Ungenauigkeiten. Aber hinter jenen stecken fatale gedankliche Ungenauigkeiten, die in Konsequenz zu gewalttätigen Übergriffen auf Moslems führen, bzw. dazu, dass die Hooligans der EDL, der sogenannten English Defence League, gestern Nacht skandierend durch die Straßen von Woolwich zogen.

Die Phone-Ins, Message Boards, FB-Timelines und Twitter-Feeds Großbritanniens sprudeln heute nur so über vor rassistischen Rachegelüsten. Und weil eh schon "islamisch" und "islamistisch" eins ist, kann es zwischendurch auch gleich einmal die Energiefirma EDF erwischen, deren Name schließlich fast so klingt wie EDL, siehe meinen Screenshot via Twitter. Whatever. Hauptsache wir waren wieder einmal schnell zur Stelle und die zwei Typen mit den Macheten haben ihr Ziel erreicht.

Twitterfeed von EDF energy

Robert Rotifer