Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Rummel der Melancholie"

Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

21. 5. 2013 - 17:46

Rummel der Melancholie

Das Night and Day Festival von The XX. Plus: Tickets zu gewinnen für die Chromatics in der Arena.

Berlin ist eine Stadt, die ihre Bewohnerinnen in puncto Konzert- und Partyangebot ziemlich verwöhnt. Und dennoch war das Night and Day Festival von The XX in Null komma Nix ausverkauft.

Das liegt einerseits am Line Up: The XX haben Freunde und Geistesverwandte wie die Chromatics, den Transgender Rapper Mykki Blanco, The Kindness oder Mount Kimbie eingeladen. Insgesamt findet die Veranstaltung auch nur dreimal statt: je einmal in Berlin, in London und Lissabon.

Ein weiterer Grund für den Ansturm auf die Karten dürfte aber auch die legendäre Location sein: Der Spreepark im Plänterwald. Zu DDR-Zeiten der einzige Vergnügungspark des Ostens. So ziemlich alle meine Freunde sind bereits eingestiegen und haben schmucke Fotos von ausgeweideten Dinosauriern und Schwanentretbooten auf Algenlacken gemacht.

Ich hatte immer schon eine große Liebe zum Verfall verlassener Themenparks. Ich hab das Weihnachtsmannland an der Küste zwischen Sao Paulo und Rio besucht und das mysteriöse Tokioter S-Bahn-Netz bezwungen, um allein im von Erdbebenrissen durchzogenen Sesamstraßen-Park zu stehen.

natalie brunner

Als logische Konsequenz dieser Obsession ist ein Besuch des Night and Day Festivals Pflicht und nicht Kür. Ich muss da hin, zu den umgekippten, mit Graffiti überzogenen Dinosauriern, zu dem leeren, sich monoton drehenden Riesenrad und den auf dem Trockenen liegenden Schwanentretbooten. Ich stehe auf diese Poesie des offensichtlichen Scheiterns und kann mir das Szenario vortrefflich in Kombination mit der Melancholie von The XX und ihrer geladenen Kolleginnen vorstellen.

Baue dein Haus am Ort deines Scheiterns

Berlin ist voll von Orten, die mit Geschichte und dem aus Lebenswillen geborenen Improvisationsgeist imprägniert sind. Oft glaube ich, ich laufe durch eine riesige Kulisse: Boutique Hotels am ehemaligen Todesstreifen und eine sehr viel Amüsement bringende Kombination von Jungmüttern und Immer-noch-wach-Ravern in den Parks sind mein Sonntaglieblingsprogramm.

Das Areal, das sich XX für ihr Festivalchen ausgesucht haben, sieht auch aus wie ein Filmset und hat als Authentizitätsbonus eine mehr als drehbuchreife Geschichte des Scheiterns, alle großen Dramen inklusive: Hochschaubahn-Unfälle, Konkurs, Flucht des maroden Betreibers inklusive einiger schon den Gläubigern gehörenden Attraktionen nach Peru. In der Klimax, als der Besitzer feststellen musste, dass in Peru niemand aus einem DDR-Rummel gemopste Attraktionen braucht, versuchte er „im Mast des Fahrgeschäftes Fliegender Teppich 167 kg Kokain von Peru nach Deutschland zu schmuggeln“.
Das geht schief, endet mit Gefängnisaufenthalten für alle Beteiligten und einem geschlossenen Vergnügungspark.

natalie brunner

Der Spreepark ist also einer dieser Orte Berlins, an dem Geschichte klebt wie Ahornsirup auf Pancakes und Mayo auf dem Soja-Döner. Passend zum Ort und wechselt sich apokalyptischer Regen mit normalen Scheißwetter ab.

Verzweifelte kleine englische Damen, die Regenschirme kaufen wollen, taumeln durchs Unterholz. Vielleicht liegt es an den 15 Espressos, die ich getrunken habe, aber ich bin tatsächlich aufgeregt, was mich wohl erwarten wird, als ich mit der Zwergenbahn in Richtung Bühne fahre.

Der Regen wird stärker. Mykki Blanco hat sich das auch anders vorgestellt. Mir ist schon in meinem Plastikzwergen-Outfit kalt, in Leder-Hotpants und BH würde ich wahrscheinlich sofort sterben. Aber Mykki Blanco ist eine hartgesottene Hip Hop Queen und zieht ihr Bad Ass Bitch Programm, ohne mit der kajalgestärkten Wimper zu zucken, durch.

So wie das Video zu "Join my Militia", mit weniger Kleidung, ohne tote Fische und mit mehr Tageslicht kann man sich den Auftritt des queeren Rap-Superstars vorstellen.

Der frühe Auftritt von Mykki Blanco wurde an diesem Tag noch mehr bejammert als der Regen. Die XX haben ein Line Up zusammengestellt, das Ähnlichkeiten zu ihren eigenem Werk hat: sphärische Pop Electronica, oft mit fragilem Duettgesang. Mykki Blanco, die aus jeglichem Rahmen fallende Rabaukin, war der heimliche Star des Nachmittags. Für uns gibt es hingegen Trost: Wir können uns die Blut-und-Sperma-Absolution von Mykki, Trägerin der besten Outfits, auch nochmal beim Spring Festival abholen.

natalie brunner

Mount Kimbie gehören zu den nettesten Menschen, die ich kenne. Ihr Tourmanager, der zweifellos auch in die obenerwähnte Kategorie gehört, drückt mir einen Regenschirm mit den Worten: "So sorry you got wet" in die Hand. Ich kann mir den tiefen Scherz, dass ich hoffe, dass er der einzige Typ bleibt, der das jemals zu mir sagt, nicht verkneifen und als Belohnung für die Unverschämtheit kriege ich auch einen Backstagepass, den ich sofort ankündige, an die meistbietende weibliche Besucherin zu verkaufen, die Jamie XX nachstellen will (was ich natürlich NICHT getan hab!).

natalie brunner

Mount Kimbie haben vor ein paar Tagen beim Poolbarfestival in der Pratersauna die Menschen mit Klängen von ihrem noch nicht erschienenen Album "Cold Spring Fault Less Youth" beglückt. Dunkelheit und geschlossene Räume sind besser für die Echos der Versprechungen, die Mount Kimbie ankündigen, aber in ihren Kompositionen nicht auflösen. Mount Kimbie sind sehr empfindsame Künstler. Das hört man. Bei ihrer Musik sind sie sich der Poesie des Ortes bewusst und es klingt so anders als es im Club.

Auf einer Waldbühne im Nieselregen verflüchtigt sich die Wirkung der Kompositionen der neuen Meister des harmonischen Teasens zu schnell.

Man kann sich sogar direkt vor der Box noch wunderbar unterhalten, deshalb ziehe ich es vor, zu den sphärisch übers Gelände schwingenden Klängen von Mount Kimbie umgestürzte, mit Tags verzierten Tyrannosaurus Rex zu betrachten und vor geschändeten Schwanentretbooten über die Vergänglichkeit von Emotionen zu meditieren, während meine Freunde nur motzen, dass ihnen die Schlangen bei der Biertränke zu lang sind). Ich erkläre ihnen, dass sie kein Herz haben und Romantik wohl für einen Selbstbedienungsladen halten.

natalie brunner

Umringt von Pärchen schau ich mir die Chromatics an, die es als erste Band des Nachmittags schaffen, etwas Druck aufzubauen und auch ein Statement in Sachen Style abzugeben.

Es ist schon klar: Wenn man Chanel-Modeschauen akustisch untermalen darf, wird man kaum in H&M-Jogginganzügen auf der Bühne herumschlurfen. Aber es ist keine Selbstverständlichkeit, dass die Damen und Herren auf der Bühne das komplexe Gleichgewicht von minimalen Gesten und maximaler Wirkung durchblicken. Die Chromatics tun das. Ganz in schwarz - einzig Producer Johnny Jewel hat ein paar Tränen aus Diamanten in seinem Gesicht kleben - wird aparter Schmerz und entrücktes Leiden auf einem schwebenden Synthie-Teppich ausgebreitet. Um mich herum wird gestritten, ob die Sängerin Ruth Radelet an Nico erinnert, und wir sprechen nicht nur von der Frisur. "Kill for love" ist im ersten Teil des Sets, die zwei großen Coverversionen Neil Youngs "Into the Black" und "Running Up That Hill" von Kate Bush.

natalie brunner

"In the City" fehlt leider, was daran liegt, dass die Stage Time aller Bands (bis auf die von The XX) auf 45 Minuten begrenzt ist. Mir ist das zu wenig für Musik, die Entfaltung braucht.

Diesen Mittwoch gibt es in der Arena in Wien ein hoffentlich stundenlanges Konzert der Chromatics. Sie reisen gemeinsam mit den Sound und Geistesverwandten Glass Candy an, die so wie sie auf dem schnuckeligen "Italiens do it better"-Label veröffentlichen. Ein Label, das von Emotionalität und Traurigkeit zusammengehalten wird, wie die Chromatics am 10.12.2010 meinem Kollegen Philipp l´Heriter erklärt haben.

Diamanten auf Chanel-Anzügen hin oder her, ihr könnt die Freuden des großen apathischen Schmerzes gratis auskosten. Weil wir 5x 2 Gästelistenplätze für die Chromatics in der Arena Wien für euch reserviert haben. Verlost werden die unter allen, die wissen, welcher Soundtrack die Chromatics wie schwarze Diamanten auf nassem Asphalt glänzen ließ.

Die richtige Antwort war "Drive", die Gewinnerinnen wurden bereits per Mail verständigt.