Erstellt am: 21. 5. 2013 - 14:20 Uhr
Digitaler Alchemismus
Die Zeiten, als Alchemisten in ihren Werkstätten saßen und mit obskuren Zutaten experimentierten, beseelt vom fieberhaften Wunsch, Gold herzustellen, sind lange vorbei. Aber jüngst gibt es ein virtuelles Aufflammen dieser skurrilen Figur des Mittelalters: Im Internet haben visionäre Computer-Hacker den Plan gefasst, ihr eigenes Geld herzustellen. Bitcoin heißt das Projekt und gerät alle paar Monate in die Schlagzeilen. Mal wegen eines spektakulären Kurshochs, mal wegen eines Kurssturzes, mal weil die Polizei eine Bitcoin-Zahlung wegen Geldwäscheverdachts beschlagnahmt, so wie vor ein paar Tagen in den USA.
http://bitcoin.org
Die Idee zu Bitcoin ist radikal libertär: Kein Staat und keine Bank soll in den freien Markt der digitalen Händlergemeinschaft hineinpfuschen, folglich braucht es ein eigenes Tauschmittel. Dies soll eine Art digitale Version von Metallgeld sein, so das Konzept. Also fälschungssicher, mengenmäßig streng begrenzt statt beliebig vermehrbar, folglich auch inflationssicher. Und es soll anonyme Transaktionen ermöglichen, so dass die unbeschränkte Vertragsfreiheit zwischen TauschpartnerInnen gegeben ist – und sei das auch für Drogen- oder Waffenhandel.
Hack das Geldsystem
Technisch läuft das so: Bitcoin besteht wie eine Filesharing-Plattform aus einem Peer-to-peer-Computernetz. Im open source code ist eine Menge von 21 Millionen Bitcoin festgelegt. Um diese in Zirkulation zu bringen, können die im Netz angeschlossenen Computer darum konkurrieren, eine vom System gestellte Rechenaufgabe zu lösen. Wer diese Rechenaufgabe am schnellsten löst, bekommt eine bestimmte Summe elektronischer „Münzen“ aus dem Bestand – ähnlich wie beim Goldschürfen. Die Lösung einer solchen Rechenaufgabe versieht gleichzeitig eine Zahlungstransaktion zwischen zwei Bitcoin-NutzerInnen mit einem „bezahlt“-Stempel. Beim Geld-Schürfen wird somit nebenher eine nützliche rudimentäre Bankdienstleistung erfüllt, für die die Kundschaft nichts zahlen muss: Unbezwingbar billig!
Das Problem dabei: Irgendwann ist das Kontingent von 21 Millionen Bitcoin aus der virtuellen Goldmine herausgeschürft, ab diesem Zeitpunkt wird auch in Bitcoin der Zahlungsverkehr kostenpflichtig sein müssen und die Gratis-Verlockung genauso verpuffen wie jedes andere Gratis-Angebot eines kommerziellen Produkts nach Abschluss der Markteinführungsphase. Denn für die Lösung einer Rechenaufgabe fressen die mitbietenden Computer ganz schön viel Kosten für Hardware-Ausrüstung und Strom.
Gold als leuchtendes Vorbild
Das Einziehen einer Obergrenze für das Geldangebot mit dem Versprechen auf Inflationssicherheit ist auch weniger segensreich, als es auf den ersten Blick wirkt: Denn eine Währung, die irre knapp ist und bei steigender Nutzung folglich immer weiter im Wert steigt, gibt wenig Anreize zum Ausgeben, sondern mehr zum Horten. Doch wenn Geld gehortet statt investiert und ausgegeben wird, weil ich damit rechnen muss, dass es von Tag zu Tag mehr wert wird, wirkt das lähmend auf die Wirtschaft: Wenn alle ihre Ausgaben möglichst lange aufschieben, muss ein Geschäft nach dem anderen zusperren, und die Wirtschaft gerät in einen Abwärtsstrudel.
Bis so ein Szenario eintritt, müsste es aber überhaupt erst so weit kommen, dass Bitcoin das herrschende Geld verdrängt. Das ist aber praktisch ausgeschlossen. Geld ist heute Recheneinheit (d.h. Preise werden darin ausgedrückt), Tausch- und Zahlungsmittel (d.h. ich kann damit Rechnungen bezahlen) und Wertaufbewahrungsmittel (d.h. ich kann damit sparen). Bitcoin hingegen nicht. Bitcoin kann man heute an Internet-Börsen gegen Euro kaufen. Aber der Kurs ändert sich Tag für Tag, wie bei einer Aktie, je nachdem was die Leute für eine Einschätzung der künftigen Kursentwicklung haben.
Doch so lange ich Löhne in Euro erhalte oder zahle und bei allem, was ich kaufen muss, in Euro zahle, würde ich ein großes Risiko eingehen, wenn ich meine Internetdienstleistung zu einem fixen Bitcoin-Preis anbiete. Das tut folglich auch niemand, sondern alle Unternehmen, die Bitcoin akzeptieren, schreiben ihre Preise in Euro (oder Dollar oder sonstwas) an, und der Preis in Bitcoin ergibt sich aus seinem aktuellen Tageskurs in der jeweiligen Währung. Andere Währungen sind stabiler, weil sie gesetzlichem Annahmezwang unterliegen und eine Zentralbank für ihre Stabilisierung zuständig ist. Bitcoin lehnt beides ab. Bitcoin hat folglich für manche Anziehungskraft als Spekulationsobjekt – deshalb ist der Kurs so volatil, und deshalb ruhen bis zu zwei Drittel des Bitcoin-Bestands auf Konten, die nicht angerührt werden.
Nur in geringerem Ausmaß wird es vielleicht auch zum Bezahlen im Kreise von hartgesottenen Fans benützt, aber sicher nicht als Recheneinheit. Und das wird es auch mit ziemlicher Sicherheit niemals, weil die Mengenobergrenze zum Horten statt Ausgeben motiviert. Und wenn doch, dann kommt irgendwann der Staat und dreht alles ab. Eine anonym transferierbare Währung eignet sich nämlich super zum Steuerhinterziehen, und das können die lückenhaften Staatskassen dieser Welt nämlich derzeit am allerwenigsten gebrauchen.