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Ali Cem Deniz

Das Alltagsmikroskop

21. 5. 2013 - 14:37

Fliehen oder Kämpfen?

Jesús Carrascos Debütroman erzählt mit einer schonungslosen Sprache die Geschichte einer traumatischen Flucht.

Karge, lebensfeindliche Wüstenlandschaften. Ein unendlicher Horizont, unmenschliche Hitze, kein Schatten und kein Wasser. Wer sich in so einer Gegend aufhält, macht das bestimmt nicht freiwillig. Der Protagonist von Jesús Carrascos Debütroman "Die Flucht" ist ein namenloser Junge, der es wagt, diese Landschaft zu betreten. Was ihn dazu bewegt hat, lässt sich zunächst nur erahnen. Eines ist aber klar: Es braucht wohl einiges, damit sich ein Kind auf so ein Unterfangen einlässt.

Geplagt von Hunger und Angst streift er durch die Wüste. Er versteckt sich in Erdlöchern, bis sein Körper verkrampft. Die Verfolger bleiben ihm dabei dicht auf den Fersen: seine Familie, die Dorfbewohner, der Dorfpolizist und die Windhunde. Der Junge muss bald einsehen, dass er alleine nicht überleben wird.

Cover von "Die Flucht"

Klett-Cotta Verlag

"Die Flucht" von Jesús Carrasco ist in einer Übersetzung aus dem Spanischen von Petra Strien bei Klett-Cotta erschienen.

Auf der Suche nach Nahrung und mit der unbewussten Sehnsucht nach menschlicher Interaktion schleicht er sich an ein Lagerfeuer. Dort lernt er einen alten Ziegenhirten kennen. Auch er ist ein Ausgestoßener. Der alte lebt mit seinen Ziegen und seinem Hund isoliert und weit weg vom Dorf und von den Städten. Er nimmt den Jungen schützend auf, doch der ist nicht sofort bereit ihm zu vertrauen. Der menschenscheue Junge nähert sich dem alten Mann nur mit großer Skepsis.

Doch das Misstrauen in seinen Reisebegleiter verwandelt sich in einen enge Beziehung, als der Junge begreift, wieso der alte Mann ihm hilft. Sie haben im Dorfpolizisten einen gemeinsamen Feind.

Dieser Polizist gibt die Verfolgungsjagd nicht auf. Die ganze Geschichte hindurch hetzt er den Jungen und den alten Hirten durch die trockenen Wüstenlandschaften. Und hier wird klar: Das Weglaufen alleine wird nicht reichen, um die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Die Flucht verwandelt sich in einen brutalen Kampf um die Existenz.

Ein schöner Albtraum

Jesús Carrasco gelingt es mit nur sehr wenigen Dialogen, einen spannenden Abenteuerroman mit vielen ruhigen und einigen explosiven Momenten aufzubauen. Die Handlung reduziert Carrasco auf das Wesentlichste und so rückt seine Sprache ins Zentrum des Romans.

Der Gegensatz zwischen der vagen Handlung und der klaren, detaillierten Sprache macht die Geschichte besonders lesenswert. Jesús Carrasco geizt dabei nicht mit grausamen und widerlichen Einzelheiten aus der apokalyptischen Welt seiner Protagonisten. Dadurch bekommt der Roman etwas Phantastisches. Ein schöner Traum ist das nicht, aber ein schöner Albtraum.