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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

19. 5. 2013 - 16:10

Rotweinschmerzen

Der Song zum Sonntag: The National - "This Is The Last Time"

Wenn Matt Berninger seine nicht selten ziemlich verfinsterten Innenwelten in den Texten seiner Band The National zum Leben erweckt, dann hat das nie ausschließlich mit dem Ausstellen von stumpf-populistischem Leiden zu tun. Berninger bringt hier keine leicht nachvollziehbare, maßgeschneiderte Emotionalität zum Glühen, sondern versieht seine Geschichten über Schmerz, Liebe, Rausch und Taumel mit einem merkwürdigen Spin, der oft die Positionen verschiebt und unklar macht. Was habe ich da gerade gefühlt? Ertappe ich mich beim Dinge-Denken, die ich nicht denken mag? Wer ist denn hier in unserem Gezanke und Gefühlsgerangel, innerhalb der schal gewordenen Beziehung im Recht? Niemand, natürlich.

Zu 90% lebt, wie man so sagt, The National von der Dichtkunst Berningers und seinem trunkenen Bariton. Die aus Ohio stammende, längst schon in New York stationierte Band macht Indierock ohne Schnörkel und ist damit sehr erfolgreich geworden. Ihr letztes, sehr gutes, fünftes Album "High Violet" hat sich rund 600.000 Mal verkauft – kann man sich heutzutage nur schwer vorstellen, sich aber auch ein bisschen freuen darüber.

The National

The National

The National

Mit ihrem jetzt erscheinenden Album "Trouble Will Find Me" - das wieder sehr gut geworden ist - sollte doch eventuell ein Grammy möglich sein, das Quängelige, die Dringlichkeit und die Zerrissenheit sind The National vielleicht ein wenig abhandengekommen, dafür ist die neue Platte ein sauber ausarrangiertes, wie aus Marmor gehauenes Dokument des "guten" Rock-Geschmacks geworden. Solide wird hier geschwelgt.

Am Dienstag wird Christian Lehner in Connected Ausführlicheres über The National und ihr neues Album "Trouble Will Find Me" berichten.

Unter Mithilfe eines veritablen Aufkommens von Gaststars wie St. Vincent, Sufjan Stevens, Sharon Van Etten, Richard Reed Perry von Arcade Fire oder Nona Marie Invie von der zauberhaften Band Dark Dark Dark haben The National ein fein gearbeitetes Stück Kunsthandwerk gedeichselt. Unmerklich hat man leise Drum-Machines in den Gesamtklang eingepasst. Streicher streichen bedeutsam. So sind hier sehr viele großartige Songs zu erleben, "Sea Of Love" beispielsweise, "Slipped", "Pink Rabbits" oder "Graceless" - den Bruch aber, das Knistern unter der Oberfläche und das Würdelose muss man immer wieder vermissen. Ohne Matt Berninger wäre das alles nicht gar so viel, es wäre wunderhübsch und ein bisschen langweilig.

Wenn man aber zu hemdsärmeligem Dad-Rock in den guten Rotwein weinen möchte, dann geht das kaum besser als mit The National, mit der facettenreichen Poesie des Frontmanns, die der immer zu schönen Musik entgegenarbeitet und ihr eine Aura des Mulmigen und Diffusen verleiht, eine Ahnung, dass hier irgendetwas nicht ganz in Ordnung ist. Das muss sein. Die Schnitte im Herz und im Leben transportiert Berninger mit Schnitten im Text.

In der Mitte der Albums findet sich mit "This Is The Last Time" ein zunächst unscheinbarer Song, in dem Berninger besonders kunstvoll, also unaufdringlich, mit dem Wechsel von Zeitebenen und Perspektiven hantiert: Er erzählt von den Momenten, in denen die Liebe gut war, lässt aber gleichzeitig ganz selbstverständlich eine Dosis Egoismus und Selbstherrlichkeit mitschwingen: "Oh, when I lift you up / You feel like a hundred times yourself / I wish everybody knew / What's so great about you."

Das ganze Album als Stream


Mittlerweile ist freilich aber alles, was einst bezaubernd war, verflossen, der Erzähler hat jetzt Schmerzmittel und Bier, um gut durch den Tag zu kommen. "This Is The Last Time" switcht behutsam zwischen Anschuldigungen an den verlorengegangenen Partner und Liebesbekenntnissen, zwischen Selbstbetrug und Verleugnung, zwischen Beschwörungen der wunderbarsten Augenblicke des Zusammenseins und dem Jubel der vermeintlichen Erlösung.

Nach 3 Minuten 10 Sekunden könnte das Lied vorbei sein und es wäre sehr gut gewesen, es gleitet jedoch von Streichern getragen hinüber in einen wie aus einem anderen Stück gezogenen Schlusspart, in dem Berninger sein Gegenüber das erste Mal im Song direkt anspricht und sich eingesteht, dass es ihm vielleicht nicht gar so gut geht: "Jenny, I am In Trouble / Can’t Get These Thoughts Out Of Me."

"This ist he last time" endet mit einem Gegensatzpaar, das alle Komplikationen noch einmal knapp auf den Punkt bringt: "Baby you gave me pain and tears / Baby you left me sad and high". Die Liebe ist ganz furchtbar und das Beste im Leben. Matt Berninger weiß, dass alles sehr kompliziert ist, ganz und gar unerträglich, ermüdend und herrlich wie das Kribbeln einer ersten schüchternen Berührung.