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Eva Umbauer

Popculture-Fan und FM4 Heartbeat-moderierende Musikjournalistin.

19. 5. 2013 - 03:03

La Hengst und die versteckten Kameras

Linzfest: Die Königin des deutschen Diskurs-Pop Bernadette La Hengst und der überbordende Melancholiker Joel Gibb mit seinen Hidden Cameras samt dem Subchor aus Wien.

FM4 am Linzfest

Vom 18 bis zum 20. Mai 2013. Alle mutigen Webstories unter

Bernadette La Hengst betritt die Bühne, in dieser ihr eigenen Mischung aus gut gelaunt und etwas schroff. Cowboyhut am Kopf (aus Stroh) und Trenchcoat um die Schultern. Letzterer wird gleich abgelegt, ersterer bleibt. Kurzes dunkles Pünktchenkleid und schwarze Trainers. Nackte Beine, nackte Schulter. Bernadette geht sogleich in medias res: "Integrier mich, Baby", der Titelsong von ihrem aktuellen Album. Ein poppiges, hibbeliges Lied mit der Textzeile "Warum hast du vor mir Angst?"

Wer hat Angst vor Bernadette La Hengst?

Natürlich hat niemand hier am Linzfest, am spätnachmittäglichen grünen Rasen samt Eis schleckenden Kindern, Angst vor Bernadette La Hengst. Ein bisschen Familienatmosphäre, im kleinen Rahmen, aber nicht unähnlich zu britischen Festivals, wo sich immer so unfassbar nett Kind und Kegel tummeln. Bernadette - selbst Mutter einer inzwischen neunjährigen Tochter - greift zur Gitarre und singt "Ich springe auf dem Trampolin". Hab ich letzthin auch getan, da fühlt man sich gleich viel frischer. Ella, die Tochter von Bernadette La Hengst, nach deren Geburt die Mutter das Stück "Rockerbraut und Mutter" geschrieben hatte, ist vor der Bühne, schaut zu, freut sich. Auf die Bühne durfte sie diesmal nämlich nicht. Sonst artet das noch in Kinderarbeit aus, feixte Mutter vorm Auftritt. Ella, dieses herrlich unruhige Gen der Mutter anscheinend vererbt bekommen, sucht nach anderen Betätigungen: Sie presst vor dem Konzert eine Melone. Um wohlfeile 20 Cent pro Glas kann man den Saft erwerben, meint sie. Das wird mal eine Geschäftsfrau, denk ich und leg einen Euro hin für den Saft.

In einem der Songs, den Bernadette La Hengst heute spielt, heißt es "Bist du Malerin? Unternehmerin? Weißt du eigentlich, wer du bist?" Sie spinnt es weiter: "Bist du ein egomaner Feminist oder christlicher Fundamentalist? Ein streitsüchtiger Pazifist?" Das Stück kommt ebenfalls vom aktuellen Longplayer und heißt "Deine eigene Art". Bernadette fragt/singt: "Hast du dir etwas angespart? Fühlst du dich gefangen in deiner eigenen Art?".

Alle Fotos: a_kep

Bernadette La Hengst, ja, die kann schon ein wenig irritieren, wie sie einen da so in die Ecke drängt mit ihren Texten, die in Musik mit Anleihen aus allerlei Stilen verpackt sind. Tut sie aber heute nicht. Zu schön ist wohl der Tag. Profi La Hengst macht ihr Ding. Dub, Riot Grrl Punk, Deutscher Schlager, Disco. Der Beat ist bei La Hengst selbstverständlich weiblich. Sie steht allein auf der Bühne, Gitarre umgehängt, ein paar Knöpfe drehend. Eine komplette Band? Muss nicht sein. Diese One-Woman-Show funktioniert auch so. Apropos "funktionieren": Der Song "Das träge Glück" - auch vom aktuellen Album - behandelt die Sehnsucht nach Langsamkeit und das Gefangensein in einer Maschinerie, auch wenn man sich Freiräume schafft, wie Frau Hengst das beständig tut. "Das träge Glück" ist übrigens der Trampolin-Song. Aber gleich wieder runter vom Trampolin, nächstes Stück: "Rolling Role Models". Bernadette La Hengst widmet es Pussy Riot. Dann schlägt die Künstlerin, die aus dem kleinen deutschen Ort Bad Salzuflen stammt, in Hamburg aktiv war und seit einiger Zeit in Berlin lebt, ein Tauschgeschäft vor. Was könnte man tauschen? Hier und jetzt? La Hengst kommuniziert kurz - auf Englisch - mit jemandem im Publikum. Das Stück "Liebe ist ein Tauschgeschäft" - vom 2008er Album "Machinette" - steht an: "Ihr müsst immer nur singen Tauschgeschäft, wenn ich euch ganz tief in die Augen blicke." Ok, tun wir.

Bernadette La Hengst groovt, rock-n-rollt. "Elvis!", murmelt sie. Dankeschön, merci vielmals, sagt sie. Von einem "Haus im Ozean" singt sie dann. Das Stück kommt ebenfalls vom aktuellen Longplayer und ist ein Selbstporträt der Künstlerin als (Nahost-)Reisende. Wie ein richtig toller alter Schlager klingt das Stück, nicht nach dem mit volkstümlicher Partymusik versetzten Unterhaltungstrash, der Schlager heute zumeist ist. "Mein Leben ist ein flüchtiges Exil", singt La Hengst, bevor sie zum Thema "Schafft die Leidenschaft ab" übergeht: "Ich hab nichts mehr zu verlieren, außer mich und mein Herzblut". Aber dann, garantiert sie uns, "die alte Euphorie ist wieder da". Ja, ich spür sie auch. Upfront und sehnsuchtsvoll, Bernadette La Hengst, wie sie leibt und lebt. Eines ihrer alten Stücke ist auch dabei: "Der beste Augenblick in deinem Leben". Kommt noch immer gut. Sie hüpft auf und ab, ein rotes Höschen blitzt. Wieviel Zeit noch bleibt, fragt Bernadette, hängt sich die Gitarre wieder um und erzählt von ihrem Musikerkollegen Rocko Schamoni, mit dem sie jetzt eigentlich das nächste Stück gern im Duett singen würde. Aber Rocko ist nicht hier, hat keine Zeit. "Grundeinkommen Liebe" heißt das Stück, das letztlich eine Ode an die (freie) Kunst ist. Merci beaucoup, sagt sie wieder, und "eine Nummer noch, für alle Jungs und Mädchen und die, die dazwischen sind". Wieder ein Song vom neuen Album: "Ich bin drüber weg". Ok, einmal geht noch: "If you don't know, you don't know anything..." und weg ist sie.

The Hidden Cameras

Joel Gibb von den Hidden Cameras

a_kep

Joel Gibb ist müde. Sagt er jedenfalls. Er ist aufgewacht, in München, um fünf Uhr morgens, in der Wohnung einer alten Highschool-Freundin. Sie hat ein kleines Kind und ebendieses weckte ihn auf. Oder nein, das war vor ein paar Tagen, gar nicht am Morgen vor dem Linz-Konzert? Er weiß es auch nicht genau. Aber jedenfalls hat er sich eingebildet, er wäre geweckt worden. Joel Gibb sieht blendend aus. Herrliche Zähne, trainierter Körper. Aber Joel Gibb ist "brooding", am Abend vor dem Konzert, er "brütet" ein wenig, über irgendetwas. Dass das mit dem neuen Album so lange dauert, nervt ihn, sagt er. Heuer soll es endlich erscheinen, denn bei Konzerten spielt er bereits neue Stücke. Grüß Gott, Linz, sagt er dann auf der Bühne. Eine gefühlte Ewigkeit ist es her, dass ich die Hidden Cams spielen gesehen hab. Joel Gibb mal im feinen Zwirn, mal in Lack und Leder, sozusagen, heute: ein plain white T-Shirt hat er an und Jeans dazu. Joel Gibb, der Kanadier, lebt nach wie vor in Berlin. Ob er dort glücklich ist? So würde er es nicht sagen, meint er im FM4-Interview. Der lange Winter hat ihm zugesetzt. Und dass die Musikindustrie in Trümmern liegt auch. Aber reden wir nicht darüber, sagt er im Interview. Tief und dunkel sind einige der neuen Stücke, auf der Bühne, mit oder ohne dem Wiener Subchor, jenem interessanten Hobby-Chor, mit dem sich Joel Gibb angefreundet hat und der heute neben der sechsköpfigen Band mit ihm auf der Bühne steht. Tief und dunkel, das passt aber ganz gut. Chilly now, end of summer... Nein, jetzt nicht Joni Mitchell singen im Kopf. Aber "chilly" ist es schon, dort an der Donau in Linz. Kühl wird es am Abend am Fluss, auch wenn der Tag noch so schön war. Das hat er gebraucht, der Joel, die Sonne und so. Auf der Bühne ist er wieder ganz der Alte, war ich doch schon etwas in Sorge ob des etwas ermattet wirkenden Joel vom frühen Abend.

"In The Na" ist dabei im Live-Set und als Zugabe ein anderer Hidden-Cameras-Klassiker: "I Believe In The Good Of Life". "Ein Lied für die Nacht", sagt er, "und dann musst du gehen." Joel Gibb hat auf der Bühne wieder sein Deutsch gefunden, im Interview blieb er ja beim Englischen. Das housige "Underage" - vom 2010er-Album "Origin: Orphan" - war toll und "Walk On" - ebenfalls von diesem Album - war superschön: "If you cry, cry, cry..."

  • Linzfest on Demand: Schorsch Kamerun, Retro Stephson, Blumentopf und mehr: Die Sondersendung aus Linz zum Nachhören.
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Joel Gibb hat neben dem neuen Album, das im Herbst erscheinen soll, noch einen Longplayer in petto. Einfach verschiedene Stile zeigen, meint er. "Gay Goth Scene" ist toll - ein Stück, das die Hidden Cameras seit zehn Jahren immer wieder spielen, jetzt wird es erstmals veröffentlicht, als Single. Das Cello kommt gut dabei. Das Cello kommt immer gut bei diesem Konzert, vor allem wenn es perkussiv eingesetzt wird. "Kann Linz tanzen?", fragt Joel Gibb, und er gibt sich selbst die Antwort darauf: "Es ist möglich." Nachsatz: "Vielleicht nicht in Graz, aber in Linz." Oops. Und hier sind sie wieder, die guten "alten" Hidden Cams: "Learning The Lie" spielen Joel Gibb und Band. "Nicht schlecht", lobt Joel, "sehr gut, Linz." Seine Bühnenansagen stören Konzert-Flow und Stimmung keineswegs, ganz im Gegenteil. War ein feiner Hidden-Cameras-Abend. Good to see you again, Joel!