Erstellt am: 18. 5. 2013 - 12:55 Uhr
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Disclaimer zu Beginn: Falls es irgendjemand hier stört, von einem Musikjournalisten was über seine Arbeitswelt zu lesen, dann ist dieser Blog nichts für euch.
Rechtfertigung hinterdrein: Diese Erkundung des eigenen Bauchnabels mündet ein paar Absätze später direkt in ein paar Betrachtungen zur fragwürdigen Verfassung des Pop, die dann vielleicht doch interessieren.
Welcher Tag war es eigentlich, an dem das Daft-Punk-Album gestreamt wurde? Mittwoch? Ich könnte nachschauen, aber ich mach's erst recht nicht, schließlich soll es genau darum gehen: Ich habe keine anderen Informationsquellen dafür als ihr selbst. Um ehrlich zu sein, hatte mir nämlich keiner was davon gesagt.
Andererseits: Über sein Unwissen ehrlich zu sein, das ist eine verlockend vermeidbare Schwäche bzw. zunehmend sinnlose Kategorie im Zeitalter des Immernachschauenkönnens, und darauf, nehm ich an, vertraut die verbliebene Musikindustrie, wenn sie den Stream des neuen Daft-Punk-Albums online stellt, ohne den beamteten VerlautbarerInnen wie mir Bescheid zu geben. Nicht dass sie unsereiner gar nicht brauchen würden zur Verbreitung ihrer Kunde, aber sie konnten sich eben drauf verlassen, dass wir aus Eitelkeit so tun würden, als wären wir eh im Bilde gewesen.
Kann gut sein, dass ich von irgendeiner Mailinglist runtergekippt bin oder dass ich unter den Hunderten ähnlichen Aussendungen, die jeden Tag reinkommen, eine wesentliche übersehen hab. Kann aber auch genauso gut sein, dass niemand unter den VerlautbarerInnen was von diesem Stream-Termin wusste; außer den Auserwählten, die nach Paris zum Interview geschickt wurden.
Nein, ich bin nicht neidig. Ich hatte schließlich selbst vor einem gefühlten Jahrzehnt, als ich noch auf der Mailinglist einer damals noch existierenden Plattenfirma war, das Vergnügen, in Paris mit Bangalter und de Homem-Christo über ihr damals neuestes Album zu reden, und nein, sie trugen keine Masken, sie waren auch keine überheblichen Arschlöcher, wie es derzeit schick scheint zu behaupten, und ja, einer von ihnen hatte einen großen Hund dabei.
Der Eindruck blieb, dass das blitzgescheite Menschen sind, mit der großen Gabe, ganz genau zu wissen, was sie tun, ohne sich dabei zu verkrampfen. Ein guter Konzept-Pop-Act (und deshalb gibt es derer nur eine Handvoll pro Generation) ist wie eine Seiltänzerin, die jeden Schritt ihres Wegs ständig an jeden einzelnen ihrer Muskel, an die Möglichkeit des Fallens und den Vergleich mit anderen Seiltänzerinnen denkt, und dabei auf elegante Weise erst recht nicht runterfällt.
Trotzdem sind auch Daft Punk mittlerweile schon eine alte Band (sind sie eine Band?) in einem ratlosen Geschäft, das seinen Arsch nicht mehr von seinem Ellbogen unterscheiden kann.
In diesem Sinne war es erfrischend, neulich die Tweets von Simon Price, einem Rezensenten für den Independent (Ex Melody Maker), zu lesen:
*
The Shard: Jener Londoner Wolkenkratzer, auch nicht so ein wirklich credibler Schauplatz für eine Daft-Punk-Präsentation, muss man schon sagen.
Sony emailed me yesterday about a Daft Punk party at the top of the Shard*. No, not an invite. Just telling me it was happening. Yeah THANKS.
Rub my face in it, why don't you? Weird way to get journalists onside.
It takes a lot of strength to rise above the fact that a record company has shat on you, and still say an album is AMAZING. (But I'm gonna.)
Still, as long as Jude Law, Tinie Tempah, Calvin Harris, Rita Ora, Hot Chip & Laura Whitmore got to hear the Daft Punk album, I'm delighted.
What I'm trying to say is, I got an email from Sony the other day. I opened and read it. It said they were SUCKERS.
Na bitte, so gesehen ist es doch eine gute Sache, dass ich keine Mails von der Sony gekriegt hab.
Wie es sich ergab, hab ich mir den Stream von „Random Access Memories“ dann nur ein einziges Mal angehört. Nicht weil das Album so uninteressant gewesen wäre. Im Gegenteil: Es hat durchaus was zu sagen, wenn Leute wie Daft Punk, deren ganze Existenz schon seit den späten Neunzigern auf der digitalen Adaptierung der analogen Proto-Roboterästhetik der Ära des handgemachten Disco (sowie der futuristischen Phase des Rock) beruht, sich mit Nile Rodgers zusammentun und so eindeutig eine Lanze für das MusikerInnenhandwerk brechen.
Da schließt sich immerhin ein Kreis, darüber könnte man lang reden und nachdenken.
Und das Auftauchen von Giorgio Moroder, der über seine Geschichte spricht, ist ein umso spannenderes Statement in Anbetracht des neulichen Moroderschen Facebook-Protests darüber, was die Konsumelektronik des mp3-Zeitalters mit unseren Ohren anstellt. Siehe Screenshot:

public domain
Die unüberhörbare Ironie ist bloß, dass mir Moroders Stimme auf Daft Punks Album erst recht über einen Stream zu Ohren kam, dessen Bässe auf den großen Speakers (aus dem Laptop durch den Verstärker geschickt) so erbärmlich zerbröselten, dass ich nicht anders konnte, als sentimental an das erste Mal „Homework“-Hören zurückzudenken. Diese Bassdrum, die so dreidimensional war, dass man sie – für den Preis einer Schallplatte – gleich als Heimtrampolin verwenden konnte.
Was der Stream mit Daft Punk angestellt hat, grenzt dagegen an Selbstsabotage. Und vielleicht lag es ja auch daran, dass auf den Timelines der beiden sozialen Netzwerke, in die ich mich eingeklinkt hatte, so viel mittige Seufzer der Enttäuschung und sarkastische Spitzen verbreitet wurden (selbst das Lob klang schrill nach Defensive).
Wie es soweit kommen konnte, ist ziemlich klar:
Die Plattenfirma hat die iTunes-Kooperation am Beispiel Bowie ausprobiert, das hat wunderbar geklappt, ist ab jetzt die Option für die wirklich großen Dinger und passt zur Realität der auf allen Linien zunehmend monopolisierten Internetwelt, die die von einer Handvoll Majors beherrschten Achtziger demächst wie ein Mustermodell der Mediendemokratie aussehen lassen wird.
Es geht aber eigentlich nur mit Musik, bei der so wie im Falle Bowie – Tony Visconti in Ehren – der Sound nicht im Mittelpunkt steht.
Während also der Bowie-Stream für ein oder zwei Tage die Geräuschwelt meines Büros monopolisierte, wurden Daft Punk an jenem Tag, Mittwoch oder Donnerstag oder was immer, von The National verdrängt.
Deren digital an mich bemustertes Album (Danke!) ging dank der zur Vermeidung jeder Hörpause programmierten, beschissenen neuen iTunes-Software (die ich doch eigentlich bei jedem Update abgelehnt hatte, keine Ahnung wie ich sie mir dann trotzdem eingetreten hab) jedes Mal, wenn ich einen neu importierten Track fertig gehört hatte, in einen Song aus dem jüngsten Primal-Scream-Album über.
Ein für The National eher ungünstiger Vergleich übrigens. Das klang beim Überspringen von National auf Scream jeweils so, als hätte jemand die Farbe aufgedreht oder die Fenster geputzt.
Und irgendwann an jenem Nachmittag, Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag oder was immer, kamen auch noch Vampire Weekend dazwischen, deren Album irgendwann schon vor Wochen in der Inbox erschienen war. Ich hatte es erst vor mir hergeschoben, dann vergessen, und jetzt hatten längst alle anderen die Verlautbarungsarbeit zu diesem tatsächlich hervorragenden Werk getan.
Es war also – schoss es mir mit der unüberbietbaren Geschwindigkeit des Schwachsinns durch den Kopf – schon zu spät was drüber zu sagen.
Ich weiß, dass ich nicht der einzige bin, der sich bei diesem Reflex ertappt hat.
Während vor Jahrzehnten MusikschreiberInnen noch in Angst leben mussten, einen Umbruch zu versäumen und mit errötetem Gesicht, flüssigen Perlen auf der Stirn und verschwitztem Haaransatz auf abgefahrene Züge aufsprangen, braucht man sich mittlerweile im Zweifelsfall nur zu ducken, und was immer man gerade verpasst hat, ist (zumindest bis zum ersten Reunion- und Reissue-Zyklus in 10 Jahren, falls es einen solchen dann noch geben sollte) bereits spurlos vergessen.
Eigentlich ist „Random Access Memories“ als Anti-Homework mit seinem programmatischen Verlassen des Heimstudios zugunsten einer mit den letzten Hacks von Hollywood eingespielten Produktion und seinem beinahe reuigen Tribut an den kolossalen Aufwand jener fernen Zeiten des musikalischen Perfektionismus, an deren uferlosem Nachlass sich die jungen Daft Punk digital bedienten, ja ein liebevoll hergestelltes Statement gegen gerade diese Beliebigkeit der nebenbei mit mehrfach geteilter Aufmerksamkeit konsumierten, scheinbaren Vielfalt.
Und es ist, zumindest an meinem Schreibtisch hier, dank seiner Verwendung der Stream-Terror-Taktik paradoxerweise selbst ein Opfer jener schwerelosen neuen Promo-Weltordnung geworden.
Was wenn eine Band wie Daft Punk ihre Macht dagegen dazu genutzt hätte, dieses Album demonstrativ ausschließlich als Tonträger zu veröffentlichen?
Weit weniger hätten es gehört.
Aber die Botschaft - und der Sound - wären vielleicht angekommen.