Erstellt am: 16. 9. 2013 - 06:00 Uhr
Künstlerinnen in Nahaufnahme: Marlene Haring
Marlene Haring und ich sitzen in einem Wiener Kaffeehaus im Stuwerviertel.
Marlene Haring
Die Worte, die sie wählt um ihre Kunst zu erklären, sind bedacht. Und das, was unter anderem am meisten hängen bleibt, ist ihr ansteckender Lacher. Marlene Haring hat großen Spaß an ihrer Kunst. Seit über 15 Jahren mischt sie den heimischen Kunstbetrieb mit ihren schlauen Arbeiten auf. Wenn man Marlene Haring dazu einlädt bei einer Ausstellung mitzumachen, dann kann alles passieren. Dafür dreht sie Pornovideos, man bekommt einen Knutschfleck verpasst, vielleicht darf man auch seine Geschlechtsorgane der Künstlerin zeigen. Ein kleiner Exkurs in das Schaffen von Marlene Haring.
Love, Sex & Art
Wenn man Glück hat, bekommt man als junger Künstler ein gewisses - in diesen prekären Zeiten meist geringes - Budget für eine Ausstellung zur Verfügung gestellt. Farbe, Pinsel, Dinge, die man für eine Installation halt so braucht. Was macht man also mit 1000 Euro, wenn einem eine Galerie in Salzburg anbietet, eine Arbeit vor Ort zu entwickeln?
Marlene Haring
Marlene Haring und ihre damalige Kunstpartnerin in Crime - Catrin Bolt haben unter dem Namen "halt + boring" von 1998-2003 zusammengearbeitet und sie haben 2003 das Budget für eine geplante Ausstellung in Salzburg in der "Galerie 5020" für Callboys verbraten. Die sexuellen Interaktionen haben sie gefilmt und dann zehn Videos ausgestellt.
Marlene Haring ist neben Anna Witt, Ralo Mayer und Christian Meier für den BC21 Award nominiert.
Beiträge zu Marlene Haring gibt es heute in der FM4 Morningshow & FM4 Homebase zu hören.
"Wir haben uns vor der Ausstellung 1 1/2 Wochen in Salzburg aufgehalten, um herauszufinden, was wir dort machen wollen. Die ganze Stadt ist kulturgeschichtlich extrem aufgeladen und andererseits lähmt sie einen auch. Und uns war dann schnell klar, dass es die einzige Möglichkeit ist, die 1000 Euro zu vervögeln. Für diese 1000 Euro haben wir uns dann Callboys genommen, die Aktionen nüchtern mit einer statischen Kamera gefilmt."
Das Ausstellungspublikum hat damals betreten wie auch interessiert reagiert. Aber immerhin, viele Frauen kamen mit ihren Freundinnen und auch ihren Töchtern mehrmals vorbei.
"Günther Förg, der die Eröffnungsrede gehalten hat, wollte sein Honorar nicht haben. Da haben Catrin und ich vor der Ausstellung noch einmal 250 Euro übrig gehabt. Wir haben uns spontan noch einen Callboy genommen und hatten dann noch etwas Privatspaß!"
Du hast die Haare schön
Eigentlich wollte die 1978 in Wien geborene Künstlerin Musikerin werden. Sie hat Klavier und Saxophon gelernt. Doch die Musik rückt in den Hintergrund, als sie in der Schule zwei Jahre Kunst als Hauptfach hat und auf dem Chelsea College of Art and Design einen Kunstgrundkurs besucht. 1998 landet sie in Wien, um an der Akademie der Bildenden Künste bei Peter Kogler "Kunst & Digitale Medien" zu studieren. Es ist vor allem auch ihre Diplomarbeit, die für viel Furore sorgt: "Marlene Haarig oder In meiner Badewanne bin Ich Kapitän!" von 2005.
Normalerweise laufen Diplom-Präsentationen hektisch ab, die Kommission von 20 Lehrenden läuft von Arbeit zu Arbeit, begutachtet, kommentiert und bewertet. Dann werden die zukünftigen KünstlerInnen auf das künstlerische Konzept abgeklopft und gut ist es.
Marlene Haring hatte auf dieses Frage-Antwort-Spiel keine Lust und sie hat sich eine pointierte Performance einfallen lassen und eine groteske Situation erzeugt: Sie hat sich aus vielen blonden Haaren ein Ganzkörper-Haarkostüm genäht und sah damit aus, wie eine Mischung aus Steinzeitmensch und der blonden weiblichen Version von Chewbacca aus Star Wars.
Marlene Haring
Dann hat sie sich vor das Ateliergebäude der Kunstakademie gelegt und auf die Kommission gewartet. Marlene Haring ist losgekrochen ohne ein Wort zu sprechen. Die bald irritierte Kommission sowie schaulustiges und extra eingeladenes Publikum ist ihr gefolgt. Die Künstlerin ist innerhalb von 20 Minuten bis zu sich nach Hause gekrabbelt, ins Bad abgebogen und hat sich ein Schaumbad eingelassen. Die Kommission und BesucherInnen hat sie dazu eingeladen, mitzubaden - erst dann wollte sie Fragen zu ihrer Performance beantworten. Ums bloße "an der Nase herumführen" ging es der Künstlerin aber nicht, sondern die Arbeit hat auch noch eine andere, viel spannendere Perspektive:
"Ich hab damals schon einige Jahre im Stuwerviertel gelebt und wollte eine Arbeit über die Situation vor Ort machen. Nämlich, dass sich die Bedeutung des Körpers, den man als Frau hat, beim Übertreten der Straße hinein ins Stuwerviertel verändert. Ich bin über die Straße getreten und war als Frau somit potenziell eine Prostituierte. Also habe ich mich in diese Ganzkörperblondine verwandelt, bin zügig durch den grünen & den Wurstelprater ins Stuwerviertel gekrabbelt - mit etwa 50 Schaulustigen im Gepäck. In meiner Wohnung bin ich gleich ins Badezimmer rein und hab einen Zettel auf die Tür gepickt, auf dem stand: "Wer mit mir reden will, soll mit mir baden!". Ein paar Menschen sind zu mir in die Wanne gestiegen - wo ich mit Bier in der Hand gewartet habe. Es gab auch Getränke und Essen und einige andere Arbeiten von mir und, wie schon entlang des zurückgelegten Weges, von eingeladenen KünstlerInnen, zu sehen. Weil irgendwas müssen die Leute ja machen nach so einem Spaziergang (lacht)."
Marlene Haring liebt das Spiel mit Erwartungshaltungen. Eingeschriebene Rollen in der Kunst werden aufgebrochen. Hier die KünstlerIn, dort das Publikum, das zuschaut und bewertet. Nein, so einfach macht es einem Marlene Haring nicht. Und auch das Stilmittel der Übertreibung ins Absurde verwendet sie gerne.
Eine der wohl aufwendigsten Arbeiten ist die Installation "Heute bleibt die Küche kalt, wir gehen in den Wienerwald" von 2004. Marlene Haring hat Berge an Spaghetti gekocht und damit eine typische 70er-Jahre-Küche "geschmückt". Eine Küche, die aus ihren Laden und Schränke Spaghetti speit - wie der Freud’sche, surrealistische Albtraum einer Hausfrau. Für diese Arbeit hat sie 2005 den "Birgit-Jürgenssen-Preis" verliehen bekommen:
"Die Nudeln sind bei der Eröffnung auch noch so runtergefallen und haben ihr eigenes Leben gehabt. Die haben sich bei der ganzen Eröffnung wie Würmer bewegt. Ich stand den ganzen Tag mit einer Helferin in der Küche und wir haben etwa 80 Kilo Nudeln gekocht. Ich weiß noch, dass wir den Supermarkt leergekauft haben und noch in einen weiteren Supermarkt gehen mussten. Die Idee war, wie ein Ort, der viel Geschichte in sich trägt - was so eine Küche ja tut - diese Erfahrungen wohl selbst verarbeiten würde, vor allem die potenziell negativen Erfahrungen, die diese Küche herausspeit."
Arbeiten wie diese haben natürlich einen feministischen Grundtenor. Würde sich Marlene Haring selbst als Feministin bezeichnen?
"Sehe ich mich als Feministin? Ja! Geht ja gar nicht anders. Weil man davon ausgehen kann, dass einem als Person in einem weiblichen Körper immer noch Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten passieren. Das heißt nicht, dass es Männern nicht auch passiert. Ich glaube aber, dass es von der Gewichtung her so ist, dass es Frauen von der Struktur her öfter passiert. Und somit ist es unvermeidbar, Position zu beziehen. Ich möchte versuchen, für mich in dem Feld, in dem ich arbeite, so zu agieren, dass die Ungleichheiten die vorhanden sind, aufgedeckt werden"
Marlene Haring
Marlene Haring schafft mit ihren Arbeiten die Gratwanderung, diese Ungerechtigkeiten aufzuzeigen, ohne belehrend zu sein, dafür mit viel Humor. Ihre Kunst ist schlau und macht viel Spaß. Das ist Unterhaltung für die Betrachterinnen als auch für die Künstlerin selbst.
Zum Beispiel dann, wenn Marlene Haring einem gegen Geld Knutschflecke verpasst - so passiert 2006 auf der "Scope Miami". Für günstige 10 Dollar wurde man besaugt. Auch gut: 2009 hat Marlene Haring die Wiener Secession "wegen Schambehaarung geschlossen". 2010 hat sie die Session ebenfalls "haarig" bespielt:
Marlene Haring
Marlene Haring
"Es gibt viele Möglichkeiten etwas zu erreichen. Politischer Aktivismus ist eine davon. Ich will aber Kunst machen. Humor hab ich immer schon sehr wichtig gefunden, Humor ist eine sehr direkte Art das Publikum anzusprechen. Und dann kann man nachschauen: 'Wieso habe ich gelacht und gibt es da noch andere Ebenen in der Arbeit?'. Das heißt nicht, dass alle meine Arbeiten zum Schreien sind. Sind sie ja nicht (lacht). Aber es ist eine naheliegende Einstiegsmöglichkeit, die ich gerne verwende."
Kunst unter vier Augen
Was sind die nächsten künstlerischen Visionen von Marlene Haring? Sie würde gerne eine "Secret Service Agency" realisieren. Die Idee hat sie vor einiger Zeit schon im Rahmen einer Ausstellung im Modern Art Museum in Oxford umgesetzt: Sechs Senioren haben als Agentinnen an einem Wochenende für jeweils 15 Minuten im Hinterzimmer des Museums "Secret Services" angeboten. Marlene Haring selbst hat bisher in ihrem Leben schon etwa 250 Secret Services durchgeführt. Was während den 15 Minuten passiert, das wissen nur die AgentIn und die Person, die den Dienst in Anspruch nimmt. Kunst und performative Handlungen nicht für die breite Masse, sondern ganz intim unter vier Augen:
"Eine der Frauen war einst wirklich Agentin. In den 1970ern hat sie geheime Nachrichten über die tschechische Grenze geschmuggelt. Eine andere war praktische Ärztin in Pension. Sie hat vor allem Gespräche angeboten. Secret Service, ein Ort zum Reden, ohne Zwang."
Marlene Haring
Auch das kann gute Kunst sein. Und mit guter Kunst und schlechter Kunst verhält es sich bei Marlene Haring wie in einem sehr guten Zitat von Francis Alÿs: "Manchmal führt es zu nichts, wenn man etwas macht, manchmal führt es zu etwas, wenn man nichts macht."
"Gute Kunst muss mich zum Denken anregen, das kann auf vielen Ebenen passieren. Auf einer Humorebene, auf einer linguistischen Ebene oder auf einer emotionalen Ebene. Manchmal stecken KünstlerInnen viel Energie in eine Arbeit und das Ergebnis ist enttäuschend, weil der Aufwand und das Ergebnis in keinem befriedigendem Verhältnis zueinander stehen. Das ist schade. Was ist gute Kunst? Kunst ist gut, wenn sie mich irgendwo kitzelt!"