Erstellt am: 1. 6. 2013 - 06:15 Uhr
Reise durch Europa
In den letzten zwei Tagen habe ich ca. 750 Kilometer hinter mir gelassen und drei Landesgrenzen überquert. Ich bin in Sarajevo, der Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina. Obwohl wir die Reise mit dem Auto angetreten haben und sie euphorisch "Roadtrip" nannten, kommen sich meine Reisebegleitung und ich spießig vor. Wir haben weder im, noch unter, oder auf dem Auto geschlafen, niemand hat seinen oder ihren Pass vergessen und an jeder Mautstelle hatten wir genügend Geld dabei, um gemütlich passieren zu können ohne hinter uns einen Stau zu verursachen.
Früher wäre das sicher anders gelaufen, wir hätten uns bestimmt weitläufig verfahren, wären von der Grenzpolizei herausgefischt worden und irgendein Pass wäre abgelaufen gewesen. Sind wir nur älter geworden oder doch klüger? Diese Diskussion spaltet die Reisegemeinschaft zunehmends, ich lehne mich zurück und rede mir ein, dass ich als der Jüngste nur von den anderen beeinflusst wurde.
Christian Pausch
Elf Erzählungen
Die aufregenden Geschichten auf einer Reise ergeben sich aber - im Nachhinein zumindest - gerade durch Missgeschicke und ungeplante Momente. Oder etwa nicht? Elf junge Autoren und Autorinnen versuchen das in ihrem neuen Sammelband "Reise durch Europa" herauszufinden. Die verschiedensten Arten von Reisen werden uns in elf essayartigen Erzählungen präsentiert: vom Spazieren, über das Autostoppen, bis hin zur Flugreise und das alles durch fast ganz Europa: Italien, Deutschland, Ukraine, Spanien, etc. Bei Nino Mandl ("Der Nino aus Wien") geht es sogar um das Reisen selbst:
"die ganze zeit zaus sitzen, hilft auch nix. ich mein, es ist eine zeit lang gut aber man muss dann schon schaun dass man weiterkommt. ja sicher kann man weiterkommen wenn man zaus sitzt aber man kann zum beispiel nicht das land verlassen. nichtmal seine stadt. also muss man schon schaun dass man rauskommt. ein anderer bezirk s manchmal schon genug. aber nicht immer. manchmal braucht man halt ein bissi mehr, ja vielleicht eine reise zum meer. und dann denkt man nach und es fallen einem all diese städte ein – jesolo, bibione, caorle, lignano und so weiter. und man denkt sich, naja, das ist gar nicht so weit weg. aber was mach ich dort?"
Christian Pausch
Hitchhiker's Guide
Stefanie Sargnagel, die vor kurzem erst in der Morningshow zu Gast war, beschreibt ihre Reise durch die Ukraine. Sie und ihre Reisebegleitung A. stoppen Autos und liefern uns und sich selbst tiefe schonungslose und oft sehr erhellende Einblicke in die menschliche Natur. Nicht immer was für schwache Gemüter, aber oft zum Brüllen komisch:
"Auch ein Aspekt den wir mögen: DAS MARSCHIEREN, DIE EHRBARE ERUNGENSCHAFT der Wegstrecke, DIE MÜHSAL der Reise, die uns moralisch erhebt und besser macht als alle! (…)
Vorm Schlafengehen marschieren wir noch zu einer Lkw-Fahrer-Kneipe namens NONSTOP und trinken ein paar Bier, damit wir in der Nacht ganz oft brunzen müssen und dem andern dabei auf den Bauch und den Kopf steigen. A. muss aber eigentlich eh nicht raus, das ist diese schöne Intimität, die man mit Reisepartnern bekommt. Dieses tiefe Vertrauen, das entsteht, wenn man weiß, wie es klingt, wenn der andere im Dunkeln in einem engen Zelt mit festem Strahl in eine Flasche brunzt."
Christian Pausch
Mit Akzent
Auch FM4-Autor Todor Ovtcharov hat dem Sammelband eine Geschichte beigesteuert. Die Reise findet hier im Kopf, in der Erinnerung, statt. Dimiter, ein junger Bulgare, der jetzt in Wien lebt, wartet auf den Anruf seiner Freundin, für deren Eltern er nicht gut genug ist. Im Gedanken schweift er in seine Heimat ab:
RDE
"Er war schon mal in eine ähnliche Situation geraten. In Bulgarien. Es war Nacht und er wollte zu seiner Freundin. Zweti wohnte in einem Plattenbausarg in der größten Sofioter Wohnsiedlung „Ljulin“. Ljulin ist eine Stadt in der Stadt. Hunderttausende Menschen nennen diesen Betondschungel ihr Zuhause. Dimiter erinnerte sich daran, wie er vor Zwetis Wohnblock stand, ohne Telefonguthaben und ohne Geld in der Tasche. Die Sprechanlage war kaputt und Dimiter wusste nicht, wie er sagen konnte, dass er unten wartete. „Hey Kleiner, steckst du in Schwierigkeiten?“ Dimiter drehte sich um."
Empfehlung
Spannend, erfrischend, erhellend, aufwühlend und interessant sind die elf Geschichten in "Reise durch Europa" des neuen Wiener Verlags Redelsteiner Dahimène Edition. Das ist vermutlich auch der Vorteil eines Sammelbandes: da ist sicher für jede_n was dabei.