Erstellt am: 15. 5. 2013 - 14:32 Uhr
Wir Bulgaren sind komische Leute!
Ich huste die ganze Zeit. Ich habe auch unerträglichen Schnupfen. Schuld daran sind die Wahlen in Bulgarien. Letzten Sonntag habe ich mehr als 50 Minuten unter dem Regen vor der bulgarischen Botschaft in Wien gewartet, um meine Stimme bei den vorgezogenen Parlamentswahlen abzugeben.
Mit Akzent
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Wir Bulgaren sind komische Leute! Vor zwei Monaten stürzten wir die Regierung durch Massenproteste. Sogar in Wien wurde protestiert. Aber nun, bei den Wahlen am Sonntag, sammelten die gleichen "vom Volk ins Vergessen" geschickten Politiker wieder die meisten Stimmen. Mehr als 60 Parteien sind bei den Parlamentswahlen angetreten. Der Wahlkampf hatte die meisten Schläge unter der Gürtellinie zu bieten in Bulgariens jüngster Geschichte.
Zuerst wurde in den Medien eine Aufnahme des Ex-Premiers Borissov, einem seiner Minister und einem hoher Staatsanwalt verbreitet, in der sie offen über Korruption reden. In diesem Gespräch beleidigt Borissov viele hochrangige Funktionäre und lobbyiert offen für ein "unabhängiges" Gerichtswesen. Es ist unklar geblieben, wer die Aufnahme "bestellt" und wer sie den Medien zugespielt hat. Man sprach von illegalem Abhören seitens des Innenministeriums. Am Tag vor den Wahlen fand die Staatsanwaltschaft dann ganze 350.000 illegal gedruckte Stimmzettel in einer Druckerei, die Borissovs Partei GERB nah stehen soll. Trotz all dieser Gesetzesverletzungen wird GERB die größte Partei im zukünftigen Parlament sein.
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Auf den zweiten Platz kommen die "Sozialisten", die alle aus der kommunistischen Nomenklatur stammen. Als sie das Land alleine regierten, stürzten sie Bulgarien in eine Hyperinflation. Als sie zuletzt in einer Koalition mitregierten, wurden sämtliche EU-Fonds für Bulgarien wegen Korruption eingefroren.
Die zwei restlichen Parteien, die es ins Parlament geschafft haben, sind scheinbar absolute Gegensätze, die ethnisch türkische DPS und die Ultranationalisten von "Attaka". Der Vorstand der türkischen Partei ist tief in der ehemaligen Staatsicherheit verwurzelt. In den Jahren, als die DPS den Großparteien als politischer Mehrheitsbeschaffer gedient hat, sind ihre Anführer in mehreren Korruptionsskandalen involviert gewesen.
"Attaka" existiert eigentlich nur dank der türkischen Partei, gegen die sie ihre Wählerschaft mobilisiert (und umgekehrt). "Attaka" ist offen xenophob und setzt sich für einen EU-Austritt ein.
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Wie diese politische Subjekte jetzt eine Regierung bilden sollen, bleibt mir ein Geheimnis. Ob jetzt alle ihre Prinzipien aus dem Wahlkampf aufgeben und sich im Namen der Macht umarmen? Falls das passiert, wird das "im Namen Bulgariens" proklamiert werden. Von welchem Bulgarien?
Kein einziger Bekannter von mir in Wien und in Bulgarien hat für eine dieser vier Parteien gestimmt. Mein Bulgarien ist nicht parlamentarisch vertreten.
Es kommt höchstwahrscheinlich zu Neuwahlen. Hoffentlich regnet es dann nicht, denn das Husten geht mir auf die Nerven. In Wien gab eine Rekordzahl von 1.600 Menschen ihre Stimme ab. Ob die jetzt auch alle husten?