Erstellt am: 15. 5. 2013 - 09:31 Uhr
Puttin' on the Glitz
Ich wusste genau, an welcher Stelle des "Trailer"-Vorspanns man die Augen schließen musste, um den unheimlichen Totenkopf zu verblinzeln. Von 1975 bis 1994 moderierte Frank Hoffmann die Filmsendung "Trailer" im ORF und es war neben "Hart aber Herzlich" wahrscheinlich meine Lieblingssendung.
Weitere Filmkritiken
Umso erschreckender, dass ich mich aus ungefähr sechs Jahren "Trailer"-Konsum nur an zwei Filme erinnern kann, die besprochen wurden: "A Chorus Line" und "Strictly Ballroom". Die schlechte Gedächtnisleistung aber bietet eine ziemlich treffende Zusammenfassung dessen, was ich an Filmen immer schon am meisten liebte. Abgesehen von glitzernden Zylindern und herrlich geschmackloser Polyester-Tanzkleidung ist das Übertreibung, Überhöhung, manchmal auch Pathos. Inszenierungen, die über Realitätsnachbildungen hinausgehen.
warner
Wir brauchen Baz
Das Kino von Baz Luhrmann, der mit "Strictly Ballroom" seinen Durchbruch feierte, rannte bei mir offene Türen ein. Seine Filme beschwören Opulenz, Kitsch und Pomp. Geschmack ist der Todfeind der Kunst, sagt Luhrmann im Interview mit Der Spiegel. Und gerade weil er das Schrille, das Grelle und das Laute umarmt, ist er der ideale Regisseur, um sich F. Scott Fitzgeralds "The Great Gatsby" anzunehmen. Wer den Roman im Kopf hat, der weiß, dass die pastellfarbene Zurückhaltung der Verfilmung aus dem Jahr 1974, in der Robert Redford den Long Island Millionär Gatsby spielte, weniger werkgetreu ist, als man annehmen möchte. Durch einen "Zärtliche Cousinen"-artigen Weichzeichner lässt Regisseur Jack Clayton die gelangweilten Reichen weitaus edelmütiger erscheinen, als sie im Roman gezeichnet werden. Beinahe, um sich umso mehr davon abzuheben, wirkt Luhrmanns "The Great Gatsby" zu Beginn beinah cartoon-haft überzeichnet. Schnurrbärte, Sprechweisen und Augen-Make-Up mit der Aufdringlichkeit wie aus "Dick Tracy" findet man hier. Und das auch noch in 3D. Oh me, oh my!
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Eine Stimme voller Geld
Die Stimme der Vernunft und Integrität in dieser Geschichte ist Nick Carraway (Tobey Maguire), der an der Wall Street arbeitet und ein vergleichsweise bescheidenes Häuschen bezieht, umgeben von pompösen Anwesen, die von Leuten bewohnt werden, die man in new money und old money einteilen kann. Wobei, wozu eigentlich große Unterscheidungen machen, verdorben sind bei Fitzgerald beide Welten. Daisy Buchanan, ein luftiges Wesen und Nicks Cousine wird eine Stimme voller Geld diagnostiziert, zwischen Damenspitz, Weltschmerz und Langeweile hängt sie vergangenen Zeiten nach und dabei am blitzweißen Sofa rum.
Carey Mulligan ist weitaus weniger hysterisch angehaucht und durchsichtig als Mia Farrows Daisy in "The Great Gatsby" an Redfords Seite. Aber eine Daisy von Farrowscher Durchsichtig- und Hellhäutigkeit wäre in Luhrmanns herrlichem Spektakel wahrscheinlich auch untergegangen. Auch wenn die 70er Jahre Inszenierung von "The Great Gatsby" große Schwächen und Längen hat, so war für mich stets Lois Chiles die einzige, die die patente Profi-Golferin Jordan Baker spielen kann. Hier zieht Luhrmann eine Überraschung aus dem Ärmel. Das ist Elizabeth Debickis zweite Filmrolle und die große schlanke Frau mit dem exakten Bob und den Augen aus der Deschanel-Dimension füllt die Leinwand und wirkt wie eine lebendig gewordene Zeichnung aus alten Ausgaben der "Vanity Fair".
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Candy is dandy ...
Das neureiche Partyvolk der Roaring Twenties ist prahlerisch und vulgär, der schnöde Mammon, in dem man wahlweise schwimmt oder sich nach ihm sehnt, definiert die Beziehungen der Menschen untereinander. "The Great Gatsby" dreht sich um die Korruption des amerikanischen Traums durch Materialismus. Das luxuriöse Leben, die Statussymbole und die verschwenderischen Gesten sind wie gemacht für den Überschwang von Baz Luhrmann. Das grüne, bedeutungsschwangere Licht am Anlegesteg der Buchanans, ein gelber Rolls Royce, ein grelltürkiser Pool. Wahnwitzige, temporeiche Kamerafahrten, große Gesten und statt auf Ära-adäquaten Sittengemälde-Soundtrack setzt er - wie in "Romeo and Juliet" und "Moulin Rouge" auf Anachronismus.
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... but liquor is quicker
Wieviele andere Regisseure können einen vertitablen Nummer Eins Hit vorweisen? Eben. Baz Luhrmanns rührende Ratschlag-Ballade "Everybody's free to wear sunscreen"
Mit Jay-Z als Produzent des Soundtracks wummern Songs von Andre 3000 und Beyonce durch Gatsbys Anwesen oder wird ein tragisches Ereignis musikalisch von Jack White begleitet. Herzklopfen und Euphorie dominieren vor allem den Beginn des Films - ein wenig ausgebremst durch eine Rahmenhandlung, die so unaufregend wie unnötig ist. Diese wenigen Szenen, in denen Erzähler Nick Carraway die Geschehnisse jenes Sommers im Jahre 1922 in eine Remington Schreibmaschine hämmert sind das Valium in einem vor Adrenalin berstenden Film. Eventuell gibt es jene - im Winter angesiedelten - Szenen nur, damit man und mal ordentlich 3D Schneeflocken um die Nase wirbeln kann. Schneeflocken und rumfliegende Daunenfedern sind die Existenzberechtigung der Verwendung von 3D in Filmen abseits von Fantasy und Science Fiction. "The Great Gatsby" fügt güldene Glitzerkonfetti dieser Liste hinzu.
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Die gibt es in rauen Mengen auf den Parties auf Jay Gatsbys Anwesen, bei denen vergnügungssüchtige Flapper und Dapper die Hände in die Luft und die Beine von sich werfen. Wer genau dieser Gatsby ist, weiß man nicht so genau. Ein Spion, wird vermutet, ein Verwandter des Kaisers und ziemlich sicher habe er bereits mal jemanden umgebracht. Niemand habe ihn je gesehen und das kann man als Kinopublikum bestätigen. Luhrmann zeigt eine Silhouette im Dunklen, eine Hand mit einem Ring am kleinen Finger, eine Figur an einem weit entfernten Fenster.
Der Mann mit dem Seitenscheitel
War der erste Auftritt von Leonardo DiCaprio in "Django Unchained" schon aufgeladen durch all die Dinge, die man über seine Figur Calvin Candie gehört hat, so ist das beinahe bescheidenes Understatement im Vergleich zur ersten leinwandfüllenenden Nahaufnahme von Jay Gatsby, Millionär und Inhaber eines formidabel pomadierten Seitenscheitels. Wieder ist DiCaprio the king of the world. Und sein Imperium, sein Anwesen, sein gelber Rolls Royce - alles nur Dinge, die Jay Gatsby angehäuft hat, um seine alte Liebe Daisy zurückzugewinnen.
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Tanz am Abgrund
Robert Redford spielte den verschwenderischen Millionär in den 1970er Jahren ohne dessen dunkle Seite zu zeigen. Leonardo DiCaprio, der, seit das Jungenhafte aus seiner Augenpartie verschwunden ist, ein grandioser Darsteller gequälter Figuren wurde, steckt zwar ebenso in blütenweißen Leinenanzügen, doch er tanzt am Abgrund. Hatte Redford Edelmut geschultert, so ist ins edle Tuch von DiCaprios Gatsby Verzweiflung eingewebt, Anspannung, Besessenheit und Prahlerei. "He was a son of God…and he must be about His Father’s business, the service of a vast, vulgar, and meretricious beauty." beschreibt ihn F. Scott Fitzgerald. So wie hier drei beißende Adjektive dem Wort "Schönheit" vorangestellt werden, so lässt auch Luhrmann hinter dem schönen Schein, der Ansammlung an Pelzen, Perlen und Tafelsilber menschliche Abgründe zunächst erahnen und dann mitansehen. Wie elegant angezogene Spring Breaker flüchten seine Figuren in den Exzess und für Moral ist es in jenem Sommer ohnehin viel zu heiß.
warner
Tal der Asche
"The Great Gatsby" startet am 16. Mai in den österreichischen Kinos
Heiß ist es auch im "Valley of Ashes", einem Ort, der die unbegrenzten Möglichkeiten negiert. Hier wohnen die Arbeiter und die Armen und statt Glitzerkonfetti wirbelt Asche durch die Luft. Die Schilderung der Klassenunterschiede der Romanvorlage, die mit eindeutiger Symbolik geschildert wird, übersetzt Luhrmann ebenfalls in eindeutige Bilder, die gelegentlich im Tal des Kitsch landen. Oder aber im Typografie-Fegefeuer: "Courier New"-Buchstabensuppen schauen auch dann nicht berauschend aus, wenn sie Worte von F. Scott Fitzgeralds bilden und im Hintergrund ein Sternenhimmel zu sehen ist. Aber das sind nur einzelne, weniger gelungene Funken, die schnell verlöschen in diesem rauschhaften Feuerwerk von einem Film.
Hotsy-Totsy!
Wer "The Great Gatsby" "Style over Substance" vorwirft, hat übersehen, dass Luhrmanns Stil bereits die Substanz ist. Zwischen Dekadenz und Extravaganz betont er die Sozialsatire, die auch in "The Great Gatsby" steckt. Mit Pomp, Glitter und Wucht spiegelt er im schönen Antlitz Leondardo DiCaprios die hässliche Fratze des Niedergangs des amerikanischen Traums. Alles hotsy-totsy, wie man 1922 vielleicht gesagt hätte.
P.S. Baz Luhrmann will übrigens nochmal zu Shakespeare zurückkehren und mit Leonardo DiCaprio "Hamlet" verfilmen. Wie heißt es so schön genau da? Though this be madness, yet there is method in it.