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13. 5. 2013 - 16:23

"Helfen ist zum Risiko geworden"

Der Bürgerkrieg in Syrien ist nicht mehr nur ein lokaler Krisenherd. Längst hat der Konflikt die Nachbarländer erfasst. Max Santner vom Roten Kreuz erzählt uns von seinen Erfahrungen.

Nachbar in Not
Flüchtlingshilfe für Syrien

Die israelische Armee fliegt Luftangriffe in Syrien und in der Türkei sind Autobomben explodiert - das sind nur zwei Beispiele der jüngsten Vergangenheit, die zeigen, dass der Krieg in Syrien längst die ganze Region erfasst hat. In der EU und in den USA wird jetzt darüber diskutiert, ob Waffen an die Rebellen geliefert werden sollen, die gegen den syrischen Diktator Bashar al-Assad kämpfen - ein weiterer Schritt, der das syrische Kriegsfeuer anheizt.

Rund 70.000 Menschen sind bei den Kämpfen in Syrien bereits gefallen, über eine Million Syrer sind auf der Flucht, um in Notquartieren in Nachbarländer unterzukommen. Der ORF und "Nachbar in Not" haben deswegen eine Hilfsaktion für Syrien gestartet.

Robert Zikmund hat mit Max Santner, dem Leiter der Auslandshilfe des Österreichischen Roten Kreuzes gesprochen, welche Hilfe gerade besonders dringend benötigt wird und wie die aktuelle Situation in Syrien ist.

Max Santner vom Roten Kreuz Österreich

FM4 / Alex Wagner

Robert Zikmund: Sie haben in erster Linie die Strecke zwischen Beirut im Libanon und der syrischen Hauptstadt Damaskus per Auto bereist. Aus den TV-Nachrichten, also den Bildern, die wir aus Syrien mitbekommen, erfahren wir immer schrecklichere und grausamere Details bis hin zum Einsatz von Giftgas und von Massakern an Kindern. Welche Eindrücke haben Sie selbst in Syrien und vor allem auch in der Hauptstadt Damaskus gesammelt?

Max Santner: Meine Reise nach Damaskus ist bereits sechs oder sieben Wochen her. Das heißt, ich beschreibe Verhältnisse, wie sie zu dieser Zeit vorzufinden waren. Wir sind damals überland von Beirut nach Damaskus gefahren. Der Grenzübertritt war verhältnismäßig problemlos trotz der Straßensperren und wir sind dann vier Tage im Zentrum von Damaskus gewesen. Das Zentrum ist eine schwer befestigte Stadt, aber innerhalb dieses Zentrums in der sogenannten "Green Zone" hat man nicht das Gefühl, dass man um sein Leben fürchtet. Hier spielt sich das Leben in einer Art Kriegsnormalität - so würde ich das bezeichnen - ab.

Das heißt, die Menschen arrangieren sich?

In einzelnen Teilen der Städte, das wissen wir auch aus Homs oder Aleppo, arrangieren sich die Menschen. Aber das Charakteristische ist, dass neben dieser scheinbaren Normalität auf der anderen Seite der Straße durchaus apokalyptische Verhälnisse anzutreffen sind.

Und vermutlich ist es in diesen sieben Wochen noch schlimmer geworden...

Also wir wissen, dass in der Zwischenzeit die Anschläge im Zentrum von Damaskus zugenommen haben und dass hier eine Situation herrscht, die immer enger wird für die Zivilbevölkerung.

Herr Santner, wie fühlt man sich, wenn man die Grenze nach Syrien überquert? Immerhin sind bereits zahlreiche Helfer dort ums Leben gekommen?

Unmittelbar diese Strecke, die ich bereist habe, da hatte ich nicht das Gefühl, dass ich gefährdet bin. Aber Sie haben vollkommen recht, es sind bei Hilfsmaßnahmen von unserer Partnerorganisation dem Syrisch-Arabischen Roten Halbmond bis jetzt 18 Mitarbeiter ums Leben gekommen. Die Dunkelziffer liegt viel höher. Und es sind viele von ihnen für längere Zeit inhaftiert oder gefoltert geworden. Helfen ist zum Risikogeschäft geworden.

Wie kann man sich die Arbeit des Helfens überhaupt vorstellen, den Zugang zu den Betroffenen? Auf der Website vom Roten Kreuz sprechen Sie von teilweise bis zu 62 Gruppen etwa bei Aleppo, mit denen man im Extremfall einzeln verhandeln muss.

Das Prinzip der humanitären Hilfe ist die Unabhängigkeit und der Versuch der Neutralität. Unsere Helfer versuchen sehr wohl, jenen Verwundeten zu helfen, die regimetreu sind, und auf der anderen Seite genauso Oppositionsgruppen, die der Hilfe bedürfen. Das heißt, man muss mit beiden Seiten ständig in Kontakt sein und das ist schwierig. Sie haben die Zahl 62 genannt. Das heißt im konkretten Falle von Aleppo, dass man mit jedem lokalen Machthaber und Führer verhandeln muss, ob man überhaupt dorthin kann und ob eine gewisse Sicherheit für Helfer vorhanden ist. Das ist nicht schwarz-weiß, sondern dunkelgrau.

Lassen Sie mich da naiv ein bisschen nachhaken. Man hört oft in der internationalen Politik, welcher Staat auf welcher Seite steht. Wenn man dort als Fremder vor Ort ist, kann man dann gut und böse wirklich zuordnen oder ist diese moralische Kategorie in so einem Fall gar nicht angebracht?

Ich würde sagen, eine klare Zuordnung zu einer Seite ist ganz schwer möglich. Vor allem für die Leute vor Ort, die teilweise weniger Informationen haben, als wir sie bekommen. Und hier zu sagen, das ist der Gute, das ist der Böse, ist unmöglich. Das kann man nur ganz schwer nachvollziehen.

Millionen Menschen sind in Syrien auf der Flucht. Ein Flüchtlingslager in Jordanien soll so groß wie die Wiener Innenstadt sein - mit einem Dutzendfachen an Bewohnern. Wie ist die Situation in den Lagern in Jordanien, der Türkei und dem Libanon?

Zunächst muss man mal festhalten, dass die Refugees, also diejenigen, die Syrien verlassen, zu einem Großteil nicht in Flüchtlingslagern untergebracht sind. Das ist ein Vorurteil, mit dem man aufräumen sollte. Es gibt ein Lager in der Türkei, es gibt ein großes in Jordanien, aber insgesamt sind das vielleicht ein Viertel der Menschen, die Syrien verlassen haben, oder noch weniger. Die meisten Flüchtenden sind bei Familien untergebracht, im Umkreis der Städte, in informellen Zeltlagern, und hier muss man ganz deutlich vor Ländern wie Jordanien und dem Libanon den Hut ziehen, dass sie imstande sind, halbwegs friedlich noch mit dieser Flüchtlingssituation umzugehen. Ich sage bewusst noch. Das sind riesige Zahlen. In beiden Ländern spricht man von 450.000 offiziell registrierten Flüchtlingen. Auch hier ist die Dunkelziffer sicher höher. Im Libanon sollen sich angeblich schon eine Million Syrer aufhalten. Und das ist natürlich ein unglaublicher Druck auf die Volkswirtschaften und es stellt sich die Frage, wie lange schaffen sie es, das zu bewältigen.

Die Menschen sind in einem Lager zentral versammelt oder auf die ganzen Suburbs verteilt. Sind die nicht fast unmöglich für Hilfe zu erreichen?

Natürlich lassen sich Flüchtlingsbewegungen oder große Flüchtlingsgruppen in einem offiziellen Lager viel besser "kontrollieren". Hier hat man dann Zugang in den Lagern, keine Frage. Umgekehrt ist es so, dass die Flüchtlinge, die sich nicht in Lagern aufhalten und sich dezentral in den Suburbs von Amman oder im Libanon aufhalten, schon zu erreichen sind, indem man sie registriert. Sie kommen dann zu einzelnen Hilfspunkten, wo Güter wie Lebensmittel oder Güter des täglichen Bedarfs verteilt werden können. Das ist eine logistische Frage, aber die ist zu bewältigen und dafür sind die großen Hilfsorganisation auch gerüstet.

Sehr viele Menschen wollen helfen. Kommt diese Hilfe bei denen auch an, die sie am dringendsten brauchen und wie hilft man am besten?

Der ORF hat gemeinsam mit "Nachbar in Not" eine große Hilfsaktion gestartet und wir versuchen einfach das Überleben zu ermöglichen oder zu erleichtern. Man kann mit sogenannten Hilfspaketen, also Nahrungsmitteln oder Gütern des täglichen Bedarfs, Menschen wirklich helfen. Mit sechzig Euro ist es möglich, ein Überlebenspaket, ein Nahrungsmittelpaket zu finanzieren, für eine Familie mit fünf Personen für einen Monat lang. Das zweite Paket im Wert von 25 Euro - da geht´s um Seife oder kleinere Küchengeräte, also einfache Dinge, die man braucht, weil die Menschen ohne irgendetwas über die Grenze gekommen sind. Diese beiden Hilfspakete werden über jene Mittel, die wir über die Aktion "Nachbar in Not" bekommen, finanziert und von Organisationen wie zum Beispiel dem Roten Kreuz an die Menschen vor Ort gebracht.

Herr Santner, vielen Dank für Ihre Erzählungen.

Bitte, gerne.