Erstellt am: 12. 5. 2013 - 16:28 Uhr
Ein Schiff wird kommen
- Alle Songs zum Sonntag auf FM4.
- Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.
Die Einsamkeit und das Outsidertum von Bradford Cox durchziehen textlich alle Platten von Deerhunter – und auch die seines Solo-Projekts Atlas Sound – als zentrale Themen. Das Verstoßensein und das Nirgendwo-Hingehören – Bradford Cox durchleidet es in seinen Stücken eindrucksvoll, er umarmt es gleichzeitig aber auch ostentativ trotzig und markiert sich selbst als sexy Outcast. Diese Balance bekommt er gut hin, ohne weinerlicher Schmerzensboy zu sein.
In der Figur Bradford Cox steht der aus Atlanta, Georgia stammenden Band Deerhunter einer der spannendsten, interessantesten und aufregendsten Frontmänner der jüngeren Rockgeschichte vor – also auch ein Typ, der oft einfach bloß rumnervt, übellaunig meint, die Weltformel erfunden zu haben, Interviewer anpflaumt und kindsköpfig den Rebell gibt. Das schöne englische Wort „antics“, das mit „Possen“ oder „Mätzchen“ nur unzulänglich ins Deutsche übertragen ist – Cox könnte es erfunden haben.
Wenn er sich auf der Bühne in Frauenkleider wirft und Perücke trägt, kann das bei ihm auch heute gar noch wie eine wilde, aufrührerische Geste daherkommen. Er wickelt sich falschen Verband samt falschem Blut um die Finger oder gibt bei einem Konzert eine improvisierte 50-minütige, nur schwer erträgliche Cover-Version von „My Sharona“, weil er sich durch den Zwischenruf eines Quälgeists aus dem Publikum in seinem künstlerischen Stolz gekränkt fühlt. Das alles ist nicht immer gut. „My idea of punk is not being interested in what other people think of punk", hat Cox kürzlich in einem Interview gemeint.
Robert Semmer
An dieser Stelle sollte sich eigentlich ein Link zu dem Song "Dream Captain" von Deerhunter befinden. Leider wurden die Songs des neuen Deerhunter-Albums sehr schnell von YouTube und dergleichen entfernt. Zu hören ist der Song im Zimmerservice zwischen 19 und 21 Uhr
Die Idee von Punk hat Cox jetzt auch mit dem fünften (nicht sechsten! – „Microcastle/Weird Era Cont. ist nämlich ein Doppelalbum) Album seiner Band Deerhunter, deren künstlerischer Direktor, Hauptsongschreiber zu 98% und zärtlicher Diktator er ist, auch in musikalischer Hinsicht schon an der Oberfläche leicht erkennbar umgesetzt: Die ersten beiden Stücke auf der letzte Woche erschienenen Platte namens „Monomania“ („Egomania“ wäre vielleicht doch zu viel des Guten gewesen) nennen sich dann auch gleich vielsagend „Neon Junkyard“ und „Leather Jacket II“ – Bradford Cox reitet heute mit seiner Band im Andenken an die Bikerfantasien von Kenneth Anger in schwerem Leder auf dem Moped durch heruntergekommene Schrottlandschaften – aber geil ausgeleuchtet.
Mit dem 2010 erschienen Meisterwerk „Halcyon Digest“ war die sich von Album zu Album immer feiner und feingeistiger ausformulierende Neudeutung von Shoegaze und Dreampop, von in Songform gegossenen Ambientdüften, Krautrock und Krautpop wohl am Ende der Aufwärtsspirale angelangt. „Monomania“ ist jetzt auf den ersten Blick das typische Zurück-in-die-Garage-Album, mit dem Deerhunter dem spätestens seit „Halcyon Digest“ vor der Tür wartenden größeren Ruhm wieder einmal ein bisschen mit voller Absicht den Weg verstellen.
Zu weiten Teilen dominieren hier räudiger Bierdosen-Rock, Noise, Blues-Punk und nach Whiskey und Schweiß schmeckende Musik aus den Sümpfen des Südens der USA. So hölzern wie bei beispielsweise bei den Kings of Leon gerät Deerhunter die Angelegenheit freilich nie. Man hört, dass hier Menschen am Werk sind, denen auch andere Musiken vertraut sind, immer wieder tun sich dann doch überraschende Ideen im Klangdesign auf, und Gitarrist Lockett Pundt darf mit der Nummer „The Missing“ einen flockigen Popsong beisteuern, der die Platte gut durchlüftet. Die delirierende Poesie und die Geschichtchen über Angst, Isolation und Pein von Cox entheben „Monomania“ ohnehin in andere Sphären des Unbehagens.
In dem Stück „Dream Captain“, einem von vielen ganz und gar unaufregenden und herrlichen Stücken auf dieser komplett wunderbaren Platte, die „Monomania“ ist, verdichten sich die Zwiegespaltenheiten, sein Zorn und allgemeine Wirrungen des Lebens des Bradford Cox in einem kurzen Seemanns-Lied, verpackt als Southern Rock, der liebevoll schunkelt.
Bradford Cox wird an Land krank, er muss weg von hier, raus aus den Zwängen, er will an Bord, der Dream Captain möge ihn doch bitte mitnehmen. „I'm a poor boy from a poor family“, zitiert er die ja auch nie um Flamboyanz verlegene Rockband Queen und meint darauf „I ain't got nobody left to take care of me”.
Er will aus den Fesseln der Gesellschaft fliehen - “I don't need anybody to tell me what I want” – sich gleichzeitig aber auch in höchster Unterwerfung dem Kapitän andienen: „Dream captain, take me on your ship/ It's my only, my only wish/ I can do whatever you command/I'm a boy man, and you're a man man.” Eskapismus, Weltenflucht, ein starker sexueller Unterton, das Cruise Ship möglicherweise auch als Bild für den Drogentrip: Eine kleine Geschichte über das Weg- und Weiterkommen - dem einen Gefängnis entronnen werfen wir uns mit voller Überzeugung hinein in die nächste Knechtschaft.