Erstellt am: 13. 5. 2013 - 06:00 Uhr
Songs vom Ende der Stadt
Manche Pop-Acts sind durch ihre schiere Existenz relevant. Wenn dann auch noch die Musik stimmt, umso besser. Als Vampire Weekend 2007 den New Yorker Indie-Rock aufmischten, repräsentierten sie mit ihrem preppy Ivy-League-Auftreten und Songs über studentische Ausschweifungen und Satzzeichengebung den allgemeinen Wandel, der damals die lokale Musikszene erfasste.
Bis dahin zehrte die Rock'n'Roll-City von ihrem Punk-Mythos, vom Downtown-Cool der siebziger und achtziger Jahre, von Stätten wie dem CBGBs oder den unzähligen, schummrigen Bars und Plattenläden des East Village und der Lower Eastside, später dann von der Loft-Szene in Williamsburg und Bushwick.
Beggars Group
Doch die Zeiten änderten sich und mit ihr die Player. Die ausgemergelten Nachtschattengewächse wichen nach und nach tagträumenden Studenten. Diese kamen mit dem aggressiven Platzgreifen der beiden Elite-Universitäten NYU in Lower Manhattan und der Columbia University im Norden der Insel. Die Neuankömmlinge wurden von der alten Bohème wenig schmeichelhaft „Trustafarians“ getauft. Die Ausbildung an den weihevollsten Bildungstätten New Yorks ist für den Durchschnittsmenschen unerschwinglich. Ohne Sponsoring durch die Eltern oder Stipendien geht da gar nichts.
Glockenrotzende Verachtung und diverse Bürgerinitativen konnten die Gentrification freilich nicht aufhalten. NYU und Columbia sind mittlerweile die größten Immobilienhalter in Manhattan. Auch die Musikszene und ihre Stätten haben sich verändert. Die Lower East Side ist heute ein Spielplatz für Frat Boys und Dorm Girls. Grind-Institutionen wie die Mars-Bar oder das CBGBs sind verschwunden, Bio-Supermärkte, poshe Hotels, Clubs und Restaurants sind gekommen.
New Dorm City
Keine andere Band symbolisierte diesen Wandel besser als die vier Columbia-Abgänger Ezra Koenig, Rostam Batmanglij, Chris Tomson und Chris Baio, die geschmackssicher Segelschuhe, Blazer und Cardigans mit dem Weltgewandtheits-Pop der Erfahrungsgruppe Byrne, Simon & Eno kombinierten und nebenbei auch noch so richtig gute Songs schrieben. Das Image-Kalkül ging auf, die Band polarisierte sich mit dem namenlosen Debüt in den oberen Bereich der Charts. Der ebenfalls im Zeichen eines unaufdringlichen Weltbürger-Pop stehende Nachfolger Contra schaffte sogar auf Anhieb die No.1-Position in den US-Billboard Charts. Nicht, dass das heute automatisch Weltruhm bedeutet. Ein Fixplatz in der Ivy-League des gehobenen Indie war dem sympathischen Quartett neben Bands wie Phoenix oder Hot Chip jedoch sicher.
Danach war allerdings – zumindest in den Augen der beiden Chefsongschreiber Ezra und Rostam – die Luft draußen.Wie so oft im notorisch ungeduldigen Reich des Pop drohte auch bei Vampire Weekend das künstlerische Alleinstellungsmerkmal zum Bumerang zu werden. Was, wenn das ewige Studentenleben doch einmal zu Ende gehen sollte? Außerdem war das preppy Image immer schon eher tongue in cheek als affirmatives Abfeiern eines Lifestyles oder Sozial-Clusters. Immerhin kann einzig Bassist Chris Baio auf einer mit Samt gepolsterten Familienchouch Platz nehmen. Die restlichen Vampires haben ihr Studium mit Nebenjobs, Stipendien und Studentenkrediten finanziert und nach Abgang von der Columbia University in eher unglamourösen Berufen wie etwa als Lehrer gearbeitet.
Nach den Jahren des Sturm und Drang stellten sich Vampire Weekend also einige existentielle Fragen. Das neue Album begrüßt den Interessierten dann auch mit etwas Düsternis und Endlichkeit. Das Cover zeigt ein Schwarzweißfoto aus den sechziger Jahren, das Rostam in einer alten Ausgabe der New York Times gefunden hat. Was zunächst wie ein mystischer Nebel anmutet, ist in Wahrheit der Smog, der die Stadt damals fest im Griff hatte. In New Yorks own Nebel von Avalon verdichten sich Gedanken, die sich um die Themen Endlichkeit und Vergehen drehen. Doch das „Weniger“ an aufgesetzter Lebensfreude mündet hier einmal nicht in ein „Zuviel“ an aufgesetzter Nachdenklichkeit. Es schafft vielmehr Raum für musikalische Neuerkundungen und Vertiefungen in den Fächern kreatives Songwriting und gehaltvolles Arrangieren.
Beggars Group
Ezra Koenig versteht es, mit seinen verklausulierten aber auch sehr charmanten Wortspielen rechtzeitig für Auflockerung zu sorgen, bevor das Pathos gnadenlos zuschlägt. Ein Kniff ist, die Gefühlswelten, Reflexionen und Moralismen durch die Songs spazieren zu lassen wie Roman- oder Filmfiguren. Und diese Songs wiederum spazieren durch New York. Nicht zufällig erinnert das Lyrical-Video zum sich über ein Elektrospinett ausbreitenden „Step“ mit seinen Schwarzweiß-Stills und szenischen Kamerafahrten an Woody Allens Stadtkomödie „Manhattan“.
Musikalisch haben Vampire Weekend den Kunstgriff geschafft, sich von prototypischen Soundmarkern zu befreien, ohne dabei ihren prototypischen Sound aufzugeben. Zu verdanken ist das (laut Band) auch dem Produzenten Ariel Rechtshaid, der erstmals als Hand von Außen in den Soundmix eingriff. Verschwunden sind die westafrikanischen Gitarren-Licks und Steeldrum-Patterns. Jetzt geben die klassischen Instrumente des Westens den Ton an: Piano, Streicher und Chöre und natürlich auch weiterhin Stromgitarre, Schlagzeug und Bass. Aus Polyrhythmen-Attacken (etwa von California English) wurden Rockabilly-Stomps (Diane Young). Trotz der gelungenen Neuorientierung besteht nie auch nur einen Takt lang der Zweifel, dass wir es hier mit einem Vampire-Weekend-Album zu tun haben. „Vampires Of The City“ ist eine Weiterentwicklung, keine Neuerfindung.
End of the City
Angeheizt wurde die Veröffentlichung des Albums mit einigen PR-Stunts. Zunächst erschien Anfang Februar eine kryptische Annonce in der New York Times, die bloß den Titel des Albums und ein Erscheinungsdatum ankündigte. Später tauchten im Netz mehr oder weniger gelungene Clips auf, in denen Berufsweirdo und Schauspielstar Steve Buscemi mit und ohne Band die Werbetrommel für die Vampires rührt (Bassist Chris Baio und Buscemi sind verwandtschaftlich verbandelt).
Ezra Koenig hat in Interviews „Modern Vampires Of The City“ als Abschluss einer Triologie und als Coming-Home-Platte bezeichnet. Nach dem Erfolg des Debüts wurde er zunächst von seiner damaligen Freundin vor die Tür gesetzt, später ging er vorübergehend ins Exil nach LA und da war ja auch noch die Band, die mehrmals um die Welt tourte. Nun ist Ezra also zurück in der Heimatstadt und musste wohl erkennen, wie rasant sie sich verändert hat.
Im Video zur ersten Single „Diane Young“ (eine Chiffre für „dying young“) geht vor dem Hintergrund der Skyline von New York ein alter Saab in Flammen auf. Saab-Fans und Umweltschützer waren gleichermaßen aufgebracht. Der Aufreger war der lokalen Boulevardpresse einige flotte Zeilen wert. Die Band hat zwar anschließend jede Absicht in der Wahl des Autos geleugnet, doch auch unfreiwillig flackert ein treffendes Sinnbild über den Bildschirm. Ein weltweites Bobosymbol steht in Flammen, das Hipsterparadies geht zu Ende. New York City und seine kreative Spielwiese Brooklyn verwandeln sich wieder einmal, werden zu einer neuen Stadt, die aufgrund einer aggressiven Immobilienspekulationswelle, die nur noch wenig mit dem herkömmlichen Begriff der Gentrification, viel mehr aber mit dem der Housing Bubble zu tun hat, bald zur Ghost Town werden könnte.
Kein Wunder, dass die Figuren in „Modern Vampires of the City“ wie Untote um die Blocks ziehen. Eine Band hat ihre Reifeprüfung abgelegt und doch so viel mehr erzählt. Erneut treffen sich Kunst und Leben zwischen Brooklyn und Manhattan. Es bleibt relevant.