Erstellt am: 13. 5. 2013 - 11:10 Uhr
Turn it up, Mum, it´s Dizzee!!
Nach etwas längerer Zeit war ich wieder einmal in der "alten Heimat". Großbritannien. Wir sind am Weg von Hay-on-Wye - in Wales, nahe England - quer durch das Land an die Cardigan Bay im Westen von Wales. Das Kind schreit: "Mum, turn it up, it´s Dizzie Rascal!!" Es ist nicht mein Kind, sondern das einer britischen Freundin, die das Auto lenkt. Mit - für mich - fast halsbrecherischer Geschwindigkeit geht es zwischen den Hecken dahin. Schier unendliches Farmland, kaum Menschen, nur tote Dachse am Wegesrand. Erschossen, von den Bauern, mutmaßt die Frau am Steuer. Sie erschießen die geschützten Tiere, weil diese als Schädlinge verfemt sind, und legen sie dann an den Straßenrand, damit man glaubt, sie wären gegen ein Auto gerannt und dann verendet. Auch der Fuchs wird hier gejagt. Wenn kümmert es, dass das inzwischen verboten ist? Den Fuchs haben wir immer gejagt, finden die meisten hier, und wir jagen ihn weiter, egal, was die in London sagen. In tatsächlich halsbrecherischer Geschwindigkeit geht es bei der Fox Hunt zu Pferd über Stock und Stein, Fluss und Hecke, dem armen Tier hinterher. Auch Terrier schickt man nach wie vor im Rahmen der Fuchsjagd in Fuchsbaue zum fürchterlichen unterirdischen Kampf, der unweigerlich mit dem Tod endet.

Fox Hunting
Frittierte Wurst mit Panier?
Wir reden weiter, über Tiere. Das Kind will - wenn wir an der Küste sind - eine "battered sausage" essen. Nein, bitte nicht, sagt die Mutter. Warum nicht, fragt das Kind. Weil das grauslich ist, sagt die Mutter. Warum es grauslich ist, will das Kind wissen. Da sind Pferde drinnen, sagt die Mutter. Na und, schreit das Kind. Nicht na und, widerspricht die Mutter und braust in - für mich jedenfalls - weiterhin halsbrecherischer Geschwindigkeit die von Hecken gesäumte schmale Strasse entlang. Zu ihrer Verteidigung: Sie ist hier aufgewachsen. Dann gibt Mum - selbst Pferdebesitzerin, wie viele Menschen hier - Details preis, die Schlachtung von Pferden betreffend. Diese sollen das Kind von der Idee, "battered sausage" essen zu wollen, abbringen. Sie scheinen jedoch ohne Erfolg zu bleiben. Ganz im Gegenteil: Das Kind findet, die Mutter kocht nie etwas aus dem "Family Cook Book" - Pies und anderes Zeug aus der klassischen alten britischen Küche. Schon deshalb müsste bei diesem Ausflug eine "battered sausage" - eine grau anmutende Wurst im Backteig - drinnen sein.

UK
Themenwechsel
Fahren wir zuerst kurz an die Mwnt Beach und dann an die Llangrannog Beach? Nein, sagt das Kind. Ich will nicht nach Mwnt. Aber dort ist es so schön, sagt die Mutter. Kind: Ich will dort aber nicht hin. Aber wir wollen Eva doch die Mwnt Beach zeigen, insistiert Mum. Kind zeigt einen Anflug von (britischer?) Höflichkeit und scheint einzuwilligen. Für mich ist alles ok, sage ich, egal wo genau wir hinfahren, "I just tag along!" Kind ist zufrieden. Man muss wissen, wir reden hier nicht von mondänen Sufer-Stränden, sondern vom bezaubernd rauhen Land an der Cardigan Bay, wo man sich einfach in einen Ganzkörper-Tauchanzug zwängt und in die Brandung wirft. Mwnt - ja, es wurde dann doch zuerst Mwnt - ist unfassbar windig und hat nur einen winzigen Zuckerlshop. Llangrannog hingegen ist weniger bis fast gar nicht windig und hat einen richtigen Chippie-Shop, der wohl auch "battered sausage" - für das Kind - im Programm hat.

blueseasurf.co.uk
FM4 Heartbeat, Montag, 22-00 Uhr und danach für 7 Tage on Demand.
Beim Pub in Llangrannog stand ein junger Mann mit E-Gitarre, Verstärker und Mikro. Er sang bluesige Stücke, die irgendwie nicht an diesen Ort zu passen schienen. Während sich die Menschen gierig, fast verzweifelt die wenigen Mittagssonnenstrahlen ins Gesicht scheinen lassen, sang, oder besser schrie er eine Coverversion von Oasis hinaus: "Don´t Look Back In Anger". Der Refrain hallte noch weit weg am Küstenwanderweg nach: Don´t look back in anger! Don´t look back in anger. Tun wir doch gar nicht.
Wieder im Auto
"It´s Will. I. Am! Mum, turn it up!!", ruft das Kind auf dem Rücksitz. Das Kind - ein Mädchen, zwölf Jahre alt, also eher schon mehr Teenager als Kind - mag u.a. Dizzee Rascal, Will. I. Am, Jessie J, Little Boots, La Roux, Two Door Cinema Club und die Boyband One Direction. "Bulletproof" von La Roux kommt noch immer gut hier im Autoradio, und ich gestehe, ich habe die Balladen von One Direction liebgewonnen auf diesem Wales-Trip.
Ob ich Harry oder Liam besser finde, fragt das Kind irgendwann.
Liam Gallagher? Nein, Liam von One Direction natürlich, nicht Liam von Oasis. Oasis, das ist alte Musik, sagt das Kind, aus den 90ern, und die sind - für das Kind, aber auch wohl für mich - lange her.
Später an diesem Tag fahren wir nach New Quay. Ich esse Cod & Chips. Der Kabeljau ist fantastisch, die handgeschnittenen Kartoffeln auch, und das salt und der vinegar tun das Übrige. Mushy peas sind selbstverständlich auch dabei. "Here are your fish & chips, Eva!", sagt das Kind, aus dem Chippie-Shop kommend, während ich den (verfressenen) Mops vom Laden fernhalte(n muss) und mit ihm im Arm in wenigen Minuten eine wohl größere Fangemeinde um mich (und den Mops) schare als jede junge aufstrebende Indieband in Großbritannien.
Und das Kind? Durfte es "battered sausage", diese grau anmutende dicke Wurst im Backteig, essen?

WAles
Vor über zehn Jahren war ich einmal in Wales, in Hay-on-Wye, jenem Städtchen am Wye-Fluss, das als Bücherstadt Bekanntheit erlangt hatte. Inzwischen erscheint der Ort moderner, frischer, weniger "muffig". Und er hat jetzt noch mehr Book Shops. "They overdo it on the books a little", findet das Kind. Was zuviel ist, ist nunmal zuviel, sagt das herrlich altkluge Kind. Hay ist auch jener Ort, an dem das Hay-Festival stattfindet, ein gutes Arts-Festival zwischen englischer und walisischer Kultur, bei dem etwa auch einmal Jarvis Cocker aufgetreten ist.

blackfairys-buecher
Nahe Hay-On-Wye lebt seit einiger Zeit auch ein gewisser Alan McGee, einst Creation-Records-Impressario in London und Entdecker von Oasis. Der Schotte, der die letzte Zeit mehr oder weniger mit dem angenehmen Nichtstun verbracht hat, will jetzt Creation neu beleben, und die La´s ebenfalls. Diese legendäre Indierockband der frühen 90er Jahre wird in Großbritannien schon seit Längerem von den Die-Hard-Fans zurückerwartet. McGee könnte es möglich machen. Und er möchte wieder Bands managen. Patrick Wolf etwa könnte ein neuer Schützling des noch immer charismatischen Musikmoguls werden. Kasabian hat Alan McGee abgelehnt, mit dem realistischen Argument, er würde nicht wissen, wie er die Band noch weiterbringen könnte. Das ist ehrlich. Und schließlich braucht ein Alan McGee niemanden des Geldes wegen zu nehmen.

nme
Ich fahre zurück nach London. Bahnstation Abergavenny, Wales. Ich liebe die walisischen Durchsagen, die immer vor den englischen kommen. Y Venni heißt Abergavenny auf Walisisch. Wer einmal Gruff Rhys von den Super Furry Animals auf Walisisch singen gehört hat, muss dieser geheimnisvollen Sprache einfach erliegen. Am Weg zurück von der Küste hatte das Kind gefleht: "Mum, please, don´t move here!", als mir Mutter erklärte, hier, in dieser Gegend, gäbe es rein walisisch-sprachige Schulen. Eva, kannst du dir vorstellen, Mathematik auf Walisisch?, fragt das Kind. Nein, ich kann mir Mathematik gar nicht vorstellen, konnte das nicht einmal auf Deutsch, geschweige denn in einer anderen Sprache.
Wieder an einem Bahnhof. In Newport, Wales. Keine schicke Stadt. Die Stereophonics kamen einst von hier. Ihre Texte, ihre irgendwie immer so zusammengebissenen Zähne, das alles macht Sinn, wenn man diese Stadt, die noch immer den Touch der Bergwerksschließungen unter Margaret Thatcher an sich hat, so betrachtet. Via Bristol, Swindon und Reading zurück nach London. Sarah Blackwood von Client zum Pläuschchen treffen. Client? Gibt es die noch? Das Frauenduo mit dem cleveren Electropop. Nein, liegen auf Eis, obwohl ihnen jemand ein komplettes neues Album komponiert hat. So als ob sie das nicht selbst könnten. Tststs.

Schreyer-Kommunikation.de
Back in London. Nahe London Bridge und Tower Bridge. Die Bermondsey Street ist nicht weit weg. Patrick Wolf hat einmal gesungen "She kisses him on Bermondsey Street. She´s no clone from Vogue magazine." Wer hätte in den 90ern gedacht, dass diese Gegend der britischen Hauptstadt - am Weg hinaus nach Stratford, wo ja die Olympischen Sommerspiele letztes Jahr stattfanden - einmal so richtig gentrifiziert werden würde. Aber diese 90er Jahre, hat das Kind in Wales ja eh gesagt, die sind lange her, sehr lange.
P.S.: Ja, das Kind durfte diese grau anmutende Wurst im Backteig namens "battered sausage" essen. Wir saßen am Hafen. Eine Delphin-Schule zog vorbei - sie hatten tatsächlich lachende Gesichter, während sie aus dem Wasser sprangen. Und der Mops plumpste über die Hafenmauer; aber das ist wieder eine andere Geschichte. Keine Sorge, es geht ihm gut.