Erstellt am: 11. 5. 2013 - 17:08 Uhr
Anreise und Aufenthalt
Als deutscher Schriftsteller, so heißt es, wäre es eigentlich unmöglich, im Laufe des Lebens keinen Preis zu bekommen. Ähnlich schwierig sei es für Autorinnen im deutschsprachigen Raum, kein Stipendium zu ergattern. Da müsse man sich schon arg blöd anstellen.
Diese angebliche Überversorgung mit Preisen und Stipendien ist ja etwas durchaus Positives:
Wovon soll ein armer Schlucker von Schriftsteller denn sonst leben? Nicht jeder wird Bestsellerautor, und die Vorschüsse der Verlage sind eher bescheiden; es sei denn, man ist Starautor, Piratenpolitikerin oder sonst irgendwie aus Funk und Fernsehen bekannt.
So hat sich für den deutschsprachigen Raum ein großes System von Schriftstellerstipendien und Förderungen gebildet.
Wenn man wollte, man könnte sich täglich irgendwo bewerben: Beim deutschen Literaturfonds, beim Literarischen Colloquium Berlin, für ein Aufenthaltsstipendium in New York oder am Timmendorfer Strand oder für den Mannheimer Literaturpreis.
Alle Bundesländer unterstützen die Dichter unter ihren Landeskindern, aber auch jedes Genre wird gefördert: es gibt den Hörspiel-Essay-Kinderbuch- Preis, den Thüringer Krimipreis, den Moerser Literaturpreis, den Münchener Kurzgeschichtenwettbewerb und das Albrecht-Lempp-Stipendium von der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit.
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Natürlich gibt es auch bei Stipendien die feinen Unterschiede. Was Rang und Namen hat, weilte schon in der berühmten Künstlerresidenz Villa Aurora in Los Angeles oder wurde in die legendäre Villa Massimo nach Rom berufen, oder in die beliebte Villa Concordia in Bamberg. Das Künstlerdorf Schöppingen und der Künstlerhof Schreyahn nehmen Stipendaten auf, die Robert-Bosch-Stiftung vergibt ein Osteuropa-Stipendium, und immer mehr Städte leisten sich neuerdings einen Stadtschreiber – in Deutschland boomt die Stadt-, Dorf-,Schloss-, Turm-, sogar die Inselschreiberei. Stadtschreiber sprich Artist in Residence kann man in Mainz, Thun, Erfurt, Baden-Baden oder Bruneck, in Augsburg oder Brandenburg werden, man kann zwei Monate in einem Hotel in Spreewald wohnen und schreiben, oder als „Poet in Residence“ Lyrik in Dresden verfassen, auch das Goethe Institut in Peking lobt eine Stelle als Stadtschreiber aus. Mineralwasserfirmen und Wohnungsbaugesellschaften unterstützen Schriftsteller, Industriellengattinnen geben sich als Mäzeninnen und stiften Literaturpreise. Wobei die großen Preise wie der Büchner-Heinrich-Mann-, Karl-Brenner- oder der Fallada-Preis meist an bereits etablierte Autoren vergeben werden.
Für die meisten Stipendien muss man sich bewerben und zuvor auch schon etwas veröffentlicht haben, da entscheidet dann ein Gremium, ein Sachverständigenrat, da setzen sich Literaturwissenschaftler, Literaturredakteure, Stadträte, Lokalpolitiker, und Sponsoren zusammen. Meistens werden Anreise und Aufenthalt übernommen und zusätzlich ein Taschengeld gezahlt, schließlich sollen sich die AutorInnen in dieser Zeit ja ausschließlich dem Schreiben widmen können.
Für diese Bewerbungen muss man allerdings auch der Typ sein – aber was soll man sagen – auch mir, die gar nicht so der Typ ist und nie eine Bewerbung geschrieben hatte, wurde ein Stipendium angetragen!
Und so stand ich vor dem schönen Luxusproblem, mir eine westeuropäische Stadt aussuchen zu müssen, in der ich, betreut von einem/r ansässigen Schriftsteller/in, zwei Monate verbringe sollte. Im Gegenzug würde dann diese/r Schriftsteller/in nach Berlin – in meine Stadt – kommen. „Wohin, wohin mit mir?“ war die Frage. Vielleicht dahin, wo es warm und schön ist und wo ich noch nie war?
Schließlich setzte sich Lissabon durch, eine hiesige Autorin wurde gefunden, die aber gerade bei einem anderen Stipendiumsaufenthalt weilte und so würde ich die ersten Wochen in Lissabon erst einmal auf mich gestellt sein.
Bei aller Freude über das unerwartete Stipendium kam bald die Frage auf, „Was sollte ich da zwei Monate machen?“ Ein neues Projekt ist nicht in Aussicht, noch nicht einmal eine Idee für ein Buch vorhanden, und wer glaubt, die Ideen flögen einem in der entsprechenden Umgebung einfach so zu, dem sei gesagt: Falsch gedacht. So sagte auch der Berliner Autor Ulrich Peltzer zum Thema Aufenthaltsstipendien befragt frei heraus: „Man soll den Autoren lieber das Geld direkt geben, damit sie dort schreiben können, wo sie es am besten können – zu Hause“.
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Aber zwei Monate Lissabon – ohne Verpflichtungen – das ist doch erst einmal eine himmlische Aussicht! Freie Zeit en masse, die unbekannte Stadt, die Landschaft, das berühmte Licht, jeden Tag werde ich stundenlang alleine rumlaufen, mich verirren, mir alles anschauen, einsam sein, ans Meer fahren, es könnte herrlich werden!
Weil mir aber nach meiner Autoreise nach Aserbaidschan eine schnöde Flugreise nach Lissabon als zu wenig herausfordernd schien, brach ich mir kurz vor der Abreise noch bei einem Konzert eine Rippe an, Nr. 10, genauer gesagt.
Eine unspektakuläre Verletzung, die aber sehr schmerzhaft und langwierig ist, sodass ich angemessen gehandicapt mit einem Riesenkoffer und dem auswendig gelernten Satz „Pode-adjudar-me se faz favour?“ (Können sie mir bitte helfen?) und „fractura kutchelan“ (Rippe gebrochen) ins schöne Lissabon reiste. Und wirklich dort ankam und am Abend noch, Ibuprofen 600 sei Dank, die breite Straße Richtung Wasser lief und dann tatsächlich auf dem großen berühmten Platz „Praça do Comércio“ stand, ergriffen auf den Tejo starrte und innerlich einen naheliegenden Gedanken formulierte: So, jetzt bist du also in Lissabon.
Wie es mir dann seit meiner Ankunft hier ergangen ist, kann der geneigte Leser in den nächsten Wochen an dieser Stelle erfahren.