Erstellt am: 18. 5. 2013 - 11:51 Uhr
Wir sind Helden
Sie werden "Helden" genannt und sind das Top-Produkt von "Hümania", dem neuen Großmarkt am Wiener Stadtrand. In München hat der Prototyp des Kaufhauses bereits Fuß gefasst, nun wird die Ware Mensch auch nach Wien importiert. Muskulöse Bauarbeiter, Betthäschen, Haushaltshilfen, Lebenspartner, Ersatzomas, sexy Dominas: Hier werden menschliche Bedürfnisse durch Menschen befriedigt. Bei "Hümania" kann man Menschen nicht nur einfach kaufen, sondern lebenslang besitzen. Es sind Migranten, Arbeitslose, Obdachlose, Verschuldete: "Hümania" bietet ihnen eine zweite Chance und ein neues Zuhause.
Vitrinen und Beratung: die zwei wesentlichsten Sparten im "Hümania"-Markt. Weiß man nicht, was man möchte, wird man direkt zu den Schaufenstern geführt, wo die Produkte sich samt Preisschildern präsentieren. Wollen mehrere den selben Menschen kaufen, wird er versteigert. Für die Kunden ist es ein wahres Kauferlebnis. Hier kann man sich einen neuen Partner kaufen, eine Geliebte oder einen Sexsklaven. Damit das funktioniert, muss man die Ware vermarkten und inszenieren, das ideale Berufsfeld für Werbetexter.
Milena
Working Class Heroes
Milena
Das denkt zumindest auch Caro, die bei "Hümania" als Werbetexterin und Produktmanagerin angestellt wird. Ihre Aufgabe: in einzelnen Interviews Profile für die zukünftigen Produkte zu erstellen. Je klarer die Stärken und Kompetenzen definiert und kommuniziert werden, je besser ist die Verkaufsstrategie. Der Nachteil: Caro ist den ganzen Tag mit gebrochenen Existenzen konfrontiert. Toyboys, die sich an "Hümania" verkauft haben, Migrantinnen, die kein Wort Deutsch sprechen, Kinder ohne Eltern. Die erste Hoffnung, mit ihren Texten für ein besseres Leben ihrer Kunden zu sorgen, bleibt bei Caro nicht lange aufrecht. Zu bald wird sie mit dem Innenleben "Hümanias" konfrontiert, den widerwärtigen Managern und dem Menschenhandel auf Luxusniveau.
Auf der anderen Seite ist es nicht besser. Die "modernen Sklaven" bekommen in dieser Geschichte ein Gesicht. So etwa Christian, der verträumte Globetrotter, der sich einmal zuviel verspekuliert hat und nun sein Dasein verkaufen muss. Er landet als Toyboy in einer Nobelvilla, wird von der Tochter an ihre Mutter verschenkt. Oder Mona, die noch kein Wort gesagt hat und dadurch schwer zu vermitteln ist. Das alles scheint so falsch, dass es schon wieder glaubhaft ist.
Try to be Mensch
Die Diktatur des Konsums steht im Zentrum des dritten Romans des Werbetexters Jan Kossdorff. Aber noch mehr: Seine Utopie am Stadtrand Wiens wirkt so unglaublich, dass man sich nicht wundert, wenn sie morgen Realität werden würde. Das Prekariat der Hoffnungslosen, denen nichts weiter übrig bleibt, als sich selbst zu verkaufen, das ist der letzte Schritt in die absolute Enteignung des Ichs. Dies betrifft hier aber nur die Minderheit: Der große Teil der Menschen in diesem Roman gehört zur Schicht der "Owners", ein weiterer wortverliebter Zynismus, den Kossdorff seinem Text einverleibt. Die "Helden" sind die Sklaven, die "Owner" die Zielgruppe von "Hümania", das selbst den Humanismus und die Manie im Wortstamm trägt. Aber es geht um noch viel mehr als um die Enteignung. In dem Zusammenhang sei an die alte Serie "Der Leihopa" mit Alfred Böhm erinnert, in der sich ein alter Mann als Nanny überforderten Familien anbietet. In "Kauft Leute" geht es um die Erweiterung: Hier kauft man den Opa auf Lebenszeit, enteignet ihn seiner Persönlichkeit, nur damit er eine Rolle auslebt. Opa, Sexsklave, Gespielin: Die Arbeit ist die Rolle.
Milena
Weitere Leseempfehlungen:
Ist man mit den Theorien des Soziologen Erwing Goffman vertraut ("Wir alle spielen Theater"), dann weiß man um die Strategien der Performance und Inszenierung im Alltag. Wir alle spielen eine Rolle, wir alle performen ständig. Diese Formen der Inszenierung sind längst im digitalen Raum angekommen, das Facebook-Profil ist hier nur der populärste Schritt. Bewerben wir uns für eine Stelle, wird der potenzielle Arbeitgeber vermutlich zuerst auf Google unseren Namen suchen, um das Abbild unserer Persönlichkeit zu finden. Bei Kossdorff stehen die Menschen gleich in den Schaufenstern, viel Unterschied ist nicht.
Pervers ist die Geschichte, aber vorstellbar. Oder würden wir wirklich wegsehen, wenn uns der Mensch im Schaufenster anlächelt?