Erstellt am: 11. 5. 2013 - 16:19 Uhr
Stylischer Schrecken
Ich liebe sie fast alle, jene Filmemacher, denen eiskalter Perfektionismus vorgeworfen wird, die von manchen Kritikern in die cineastische Streber-Ecke gestellt oder als übersorgfältige Manieristen gebrandmarkt werden, von Gottvätern wie Alfred Hitchcock und Stanley Kubrick bis zu Musterschülern wie Paul Thomas Anderson, Christopher Nolan oder Darren Aronofsky.
Vielleicht hat eine solche Affinität zu einer außergewöhnlichen handwerklichen Pingeligkeit ja mit einem unauslöschbaren kleinbürgerlichen Background zu tun, wie böse Stimmen meinen. Ich bekenne mich in dieser Hinsicht zwar restlos schuldig, möchte aber doch noch ein anderes Argument anbringen.
In den mittleren Neunzigern befand ich mich in New York im wahnwitzigen Appartment des Ausnahmekünstlers Joe Coleman und wir redeten über seine Werke. Die Undergroundlegende mit dem Rauschebart, ein ehemaliger Radikal-Aktionist, Serienkiller-Spezi und Sammler von monströsen Artefakten, erzählte von seinem ganz speziellem Malstil mit einem Einhaarpinsel, von monatelanger Arbeit an einem Bild und von seiner gleichzeitigen Verachtung für alles schnell Hinskizzierte, Gehudelte, Unausgegorene.
„Menschen, die sich im Griff haben“, meinte Coleman damals sinngemäß, „tun sich leicht mit Action-Paintings und abstrakter Malerei. Ich für meinen Teil habe aber immer ein inneres Chaos zu bändigen. Und ich muss deshalb alles bis ins mikroskopische Detail ausarbeiten, eingrenzen, umrahmen.“
Das Chaos zähmen
Die Aussage von Joe Coleman berührte mich auf einer so persönlichen Ebene, dass sie mich bis heute verfolgt. Und sie lässt sich natürlich bestens auf Filme, Musik und Literatur übertragen.
Soll heißen: Korsetthafte Filmdramaturgien, klassische Songabläufe oder traditionelle Romangliederungen müssen keineswegs mit einem biederem Konservatismus einhergehen. Ganz im Gegenteil. Bestimmten Künstlern geht es in der Konfrontation mit Ängsten, Abgründen und Neurosen vor allem auch darum, dem existentiellen Chaos die Stirn zu bieten, es mittels einer Struktur ansatzweise zu zähmen.
Um es ganz platt und plakativ zu sagen: Innerlich aufgeräumte Typen, die eine gewisse Lockerheit verstrahlen, tun sich leichter mit unaufgeräumten Wohnungen, experimentellen Filmen, zerfaserten Tracks oder konkreter Poesie. Besessene, obsessive Personen dagegen, die ständig befürchten, vom Strudel des Daseins verschluckt zu werden, brauchen Ordnungen, Muster, Abläufe, sie müssen planen und kontrollieren.
Um nun endlich auf Park Chan-Wook zu sprechen zu kommen: Der neben Kim Ki-Duk populärste Filmemacher aus Südkorea würde wohl das Statement des Malers Coleman sofort unterschreiben. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass alles im Appartment des Regieperfektionisten blitzsauber funkelt und an seinem Platz steht. Dennoch oder gerade deswegen ist Park Chan-Wook jemand, der aufwühlende, extreme, gefährliche Emotionen so gut versteht wie wenig andere zeitgenössische Filmkünstler. Sein ganzes Schaffen dreht sich darum, dem Wahnsinn des Menschseins auf die Spur zu kommen – und ihn durch strenge Stilisierung zu bändigen.
Centfox
Rache ist alles andere als süß
„Sympathy for Mr. Vengeance“ heißt der erste Streifen von Park Chan-Wook, der mir 2002 unterkommt, auf einer großen Festival-Leinwand glücklicherweise. Ein eiskalter Film, bis heute vielleicht seine verstörendste Arbeit. In kargen und bewusst statischen Tableaus, wie sie auch Ulrich Seidl forciert, erzählt der Regisseur vom Vergeltungsfeldzug eines blassen Durchschnittsbürgers, der für alle Beteiligten in den Untergang führt.
"Es gibt nur ganz wenige Filme, die von Hass und Rache aufrichtig erzählen", sagt Park. "Diese Gefühle empfindet doch jeder einmal, trotzdem ist es moralisch verboten, sich dazu zu bekennen. Wenn ein Mensch die Lust hat, seine Rachegedanken rauszulassen, dann gibt es kein Ventil dafür. Es brodelt also nur in deinen Gedanken herum. Du wirst krank, wenn du das immer runterschluckst. Vielleicht lasse ich diese Gefühle in meinen Filmen raus."
Rache ist alles andere als süß im Kino des Park Chan-Wook. In der Manga-Adaption „Oldboy“ verpackt er 2004 den Zorn und die Wut in comichaft schematisierte Einstellungen. 15 Jahre verbringt das Entführungsopfer Oh Dae-Su in absoluter Isolation, nur der Drang nach Rache hält ihn am Leben. Eines Tages wacht der gequälte Mann plötzlich in Freiheit auf, von seinen Peinigern keine Spur. Eine einsame Odyssee durch die Nacht beginnt, bei der lebende Meerestiere verspeist werden, Knochen zersplittern, Blut in Strömen spritzt.
„Oldboy“ ist aber keine dumpfe Gewaltorgie. Das preisgekrönte Meisterwerk wirkt wie eine moderne Antwort auf antike Tragödien, verpackt in einen Thriller mit ziemlich kranken Hintertüren. In „Sympathy For Lady Vengeance“ (2005), dem Abschluss seiner Rachetrilogie, findet Park dann Bilder von sanfter Schönheit und surrealer Düsternis. Hier macht sich eine angebliche Kindesmörderin auf die Suche nach dem wahren Täter. Wie immer in den faszinierenden Filmen von Park Chan-Wook hat die Rache aber ihren Preis - und die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen.
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Außenseiter im Strudel der Gefühle
In Interviews schwärmt der Koreaner damals von seiner Begeisterung für den amerikanischen Film Noir. Das macht Sinn, denn auch in der Welt des Park Chan-Wook wimmelt es vor gefährlichen Kriminellen, lasziven Femme Fatales und schwerkalibrigen Waffen. Aber gegen Parks Werke wirken selbst stockdüstere Noir-Klassiker bisweilen wie optimistisches Familienkino.
Der Hang zu Blut und Beuschel, das ist aber nur eine Facette im Schaffen des Regisseurs. Den Durchbruch geschafft hat der ehemalige Philosophiestudent anno 2000 mit dem relativ konventionellen Actionthriller „Joint Security Area“. Nach der Vollendung seiner Rachetrilogie sehnt er sich schließlich nach leichteren Stoffen. Dabei entgleitet ihm in „I'm A Cyborg, But That's OK“ (2006) aber das Geschehen in Richtung Belanglosigkeit. Mehr als ein knallbunter, poppiger Fleckerlteppich will Park nicht gelingen.
Was einige Hardcorefans aber am meisten an dem Genrehybrid irritiert: Wie spielend Park Chan-Wook den Weg vom knochenharten Rachekino zur romantischen Komödie geht. Dabei ist die Entwicklung vom Hass zur Liebe durchaus logisch. Radikale Außenseiter stehen weiterhin im Zentrum dieser Filme, nur haben jetzt charismatische Frauen die blindwütigen Männer abgelöst.
Um große, tragische Gefühle und soziale Outcasts geht es auch im Vampirdrama „Thirst“ (2009), einer Antithese zum antiseptischen „Twilight“-Kino. Ein Film, der seine atemberaubenden Momente hat und dennoch einen kreativen Leerlauf signalisiert. Park ist an diesem Punkt seiner Karriere in jene Falle getappt, die auf alle eingangs erwähnten Stil-Fetischisten lauert: Hinter all den schick-schaurigen Bildern ist nur mehr stellenweise das Leben spürbar. Was natürlich irgendwie auch zu einem Film über Untote passt.
Centfox
Der Horror der Pubertät
Nun legt der Südkoreaner also sein US-Debüt vor. „Stoker“ heißt der Film, bei dem sich bereits im Vorfeld das positive Gefühl einstellt, dass Park Chan-Wook den Schritt nach Hollywood nicht setzte, um sich ans Blockbusterkino zu verkaufen.
Anstatt wie sein Kollege Kim Jee-woon mit dem Schwarzenegger-Vehikel „The Last Stand“ die eigene Handschrift überwiegend aufzugeben, signalisiert bereits der Trailer, dass es Park nur um eine frische Herausforderung geht. Den Stillstand aufbrechen, im besten Fall überwinden, eine neue Werkphase beginnen, das scheinen die Intentionen des Filmemachers.
Die Schrecken der Pubertät: Das Grundthema von „Stoker“ wurde im modernen Horrorkino schon öfter aufgegriffen. Klassiker wie „Carrie“ von Brian De Palma zeigen das Heranwachsen einer jungen Frau als traumatisierende Situation, bei der die erste Menstruation irgendwann in einem Blutbad endet.
Ein typischer Genrebeitrag ist „Stoker“ aber nicht geworden. Zum Glück, denn wo das Mainstream-Horrorkino aktuell oft zwischen Torture Porn und Remake-Wahn stagniert, flirtet Park Chan-Wook bloß mit gruseligen Referenzen und deutet die blutigen Schocks diesmal bloß an. Der Film, der sich übrigens in keinem Augenblick an den Vampirismus-Urvater Bram Stoker bezieht, betört als düsteres Familiendrama, mit vagen Anklängen an Hitchcock, Buñuel und das flirrende und freigeistige Kino der siebziger Jahre.
Centfox
Schleichendes Grauen in satten Farben
Wer jetzt beim Wort „düster“ an die Trademark-Dunkelheit denkt, die viele Filme der letzten Jahre geisterhaft umhüllt, liegt erfreulicherweise auch falsch. „Stoker“ findet eine ganze eigene Bildsprache für das schleichende Grauen und erzählt die Story der jungen India zum Teil in satten, knalligen Farbkompositionen.
Elegant schwebt die Kamera durch das pittoreske Landhaus, in dem die Protagonistin nach dem Unfalltod des Vaters mit ihrer Mutter lebt. In einer Reminiszenz an den Suspense-Klassiker „Shadow Of A Doubt“ taucht plötzlich ein mysteriöser Onkel namens Charlie auf, hinter dessen schmierigem Charme finstere Familiengeheimisse schlummern.
Wirkten einige von Park Chan-Wooks früheren Filmen wie brutale Schläge in die Magengrube des Zuschauers, schleicht sich „Stoker“ behutsam und verführerisch heran, flüstert einem angedeutete Perversionen ins Ohr, zurrt langsam einen Seidenschal um unseren Hals. Nicole Kidman als verhuschte Mutter und Matthew Goode als lasziver Onkel sorgen für sanften Schauder. Eine echte Gänsehaut erweckt aber die unglaubliche Mia Wasikowska als schrullige India. Durch „Alice in Wonderland“ blitzschnell zum Weltstar mutiert, hypnotisiert die 24-jährige Australierin hier mit ihrem wirklichen Können.
Centfox
„Stoker“, das ist ein surreal angehauchter Thriller, ein grausames Gedicht aus Hormonen, Angstschweiß und inzestuösen Andeutungen. Nur manchmal überwältigt der Manierismus den Film so sehr, dass sich hinter der stylishen Fassade ein Vakuum auftut. Am Ende, wenn India dann zu ihrer wahren Bestimmung findet, ist aber alles wieder gut. Da wird dann klar: Park Chan-Wook hat jenen bitterbösen und schrecklich schönen Film gedreht, den man von Tim Burton nicht mehr zu erhoffen wagt.