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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

11. 5. 2013 - 13:24

"Das ist ein Kasperltheater in Wahrheit"

Am Konzert einer Band, die dank Empörung so bekannt ist wie Justin Bieber.

Es gibt eine Szene in der Doku "Blut muss fließen" von Thomas Kuban, in der Neonazis in einer Disco feiern. Plötzlich tritt die Lokalbesitzerin auf die kleine Bühne und ans Mikro, erklärt, die Polizei wäre vor Ort und weil sie keinen Bock auf Strafen hätte, werde nun andere Musik hier laufen. Erst murrt das anwesende, tatsächlich sehr glatzköpfige bzw. kahlrasierte Publikum. Sekunden später reihen sich die erwachsenen Männer zu einer Partyschlange mit Entenmarschschritt und feiern weiter. Das Bild ist derart absurd, dass man lachen muss. Aber es bringt die Problematik auf den Punkt: So lange angepasstes Verhalten überwiegt, ist augenscheinlich keine Gefahr im Verzug.

Das Mauthausen Komitee Österreich appellierte an die Stadt Graz, das Konzert nicht stattfinden zu lassen. Die Grünen stellten einen Antrag im Gemeinderat gegen den Auftritt. Der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl berief sich auf die Freiheit der Kunst und fand es im Vorfeld "bedenklich, wenn von einem Teil unserer Gesellschaft jeder Bezug zu Heimat, zu Schönheit von Landschaft und Brauchtum in ein extrem nationalistisches Eck gestellt wird".

Nun sind die Mitglieder der Südtiroler Band Frei.Wild keine bekennenden Neonazis und in Österreich gilt das Verbotsgesetz. Man muss nicht auf Schleichwegen Karten für einen ihrer Auftritte im Rahmen der "Feinde deiner Feinde"-Tour checken, man konnte gestern Abend in Graz zur Stadthalle gehen und sich ein Ticket kaufen. Auch an der Abendkasse, denn ausverkauft war die Show nicht. Wesentlich interessanter jedoch als das, was gestern auf der Bühne zu sehen und zu einem Soundbrei unglaublich schlecht abgemischt zu hören war, war das Geschehen im Publikum.

Wenn Udo Jürgens' "Griechischer Wein" im Original als Einstimmung unmittelbar vor dem Erscheinen der Band auf der Bühne erklingt, ist man irritiert. Mit Blut-und-Boden-Romantik hatte und werde ich Udo Jürgens nicht assoziieren. Vereinnahmung ist eines der übelsten Dinge.

Merchandise-Verkaufsstand bei Frei.Wild-Konzert in Graz

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Das Kleingedruckte

Allein vom Gewinn aus dem Merchandise könnte sich der Tourmanager eine kleine, schöne Insel kaufen. Die Fans kommen bis auf auffallend wenige schon in Shirts der Band zum Konzert. In diesem Ausmaß kannte ich das nur von Fans der Sportfreunde Stiller in der Blütezeit der Band. Doch die hatten nie einen 65seitigen Fanartikelkatalog. Auf den Rücken der Fans liest man "Sieger stehen da auf wo Verlierer liegen bleiben" oder "Gegen Rassismus und Extremismus". Das "Gegen" ist dabei zu klein geschrieben, um es aus einem Abstand von drei Metern zu erfassen.

Nach Empörungen strich die deutsche Phonoakademie die Band von der Nominierungsliste für den Musikpreis "Echo". Die Demo gegen das Konzert in Graz fiel in den Regen und mickrig aus.
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"Sie sind auf jeden Fall eine rechtspopulistische, rechtsorientierte Band. Genau genommen machen sie auf musikalischer Ebene nichts anderes als die FPÖ in Österreich auf politischer Ebene macht", sagt Rene Molnar.
Hauptberuflich ist Molnar Geschäftsführer des Grazer Jugendkulturzentrums Explosiv, und er ist Jugendkulturarbeiter. Als solcher besucht er jede zweite Woche Schulklassen in der ganzen Steiermark und hält Unterrichtseinheiten gegen Gewalt und Rassismus. Das macht er vor allem über Musik. Klingt dogmatisch, ist jedoch eine höchst spannende Angelegenheit und Molnar hat die Aufmerksamkeit - nicht nur der Jugendlichen - binnen eines Liedbeispiels.

"Südtirol hat eine eigene Geschichte. Wenn du als Jugendlicher gewisse Dinge von deinen Großeltern hörst, setzt sich das irgendwann einmal ins Hirn." Die Bandmitglieder sind Molnar allerdings sehr wohl suspekt. Molnar hat sich mit der Band auseinandergesetzt, wie er es auch mit vielen anderen Gruppen tat. "In Interviews hörst du grundsätzlich: Distanzierung, Distanzierung, Distanzierung - auch von Sänger Philipp Burger", so Molnar. Philipp Burger war bis 2001 Mitglied der rechten Rockband Kaiserjäger.

Publikum beim Frei.Wild-Konzert in Graz

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Soundbrei und Papierherzen

Live gibt man den Song "Das Land der Vollidioten" als eine der Schlussnummern, durchaus programmatisch. Zuvor bedankte sich Sänger Burger im Laufe des Konzerts bei der Stadt und ätzte gegen die Grünen: Wenn zwölf Menschen dachten, sie könnten ein Konzert verhindern - "teilweise sind die Leute geistesgestört", so Burger. Darauf singt er das balladeske "Die Zeit vergeht". Feuerzeuge und Smartphones leuchten im Publikum. An anderer Stelle regnet es Papierherzen, dann Schaumblasen wie Schnee auf das Publikum.

Die Band verwendet keine verbotenen Symbole. Das war aber von Vorherein klar. "Auch, wenn sie einen gewalttätigen Text haben, ist das nicht verboten. Da müsste man fünfzig Prozent aus der HipHop-Partie von Ö3 streichen", sagt Molnar. Was macht sie dann problematisch? "Problematisch ist, dass rechte Debatten und rechtes Gedankengut über die Musik in die gesellschaftliche Mitte vordringen. Aber das ist eine Entwicklung, die man gesellschaftspolitisch sehen muss und nicht an einer Band festmachen kann. Ich finde es sehr seltsam, dass man immer einzelne Bands 'haut', dabei ist es ein gesellschaftliches Problem, das wir da haben".

Die BesucherInnen am Konzert sind nicht nur Menschen Anfang Zwanzig. Gar kein geringer Teil sind erwachsene Männer, "gestandene" Männer, wie man in Österreich gerne sagt, und kurz- bis kahlrasiert. Niemand kann in Köpfe schauen, aber die Gesinnung ist mehr als eindeutig.
Geballte Fäuste gestreckter rechter Hände begleiten das Liedgut, das hier alle Umstehenden in- und auswendig mitsingen. Die einen eher flüsternd, die anderen voller Inbrunst. Mädchenbeine in Gummistiefeln stehen neben Hosenbeinen in Camouflage. Die Kombination mit Springerstiefeln ist selten, doch es gibt spooky Momente.

Wieso singen die so vehement über Heimat? Diese Liebe zu Südtirol können Oberösterreicher, die auch die oberösterreichische Vorband Hangar X kannten, also ebenso nachvollziehen wie angereiste Deutsche? Wer die Hände voller Bierbecher - selbstverständlich mit Band-Branding - hat, stupst Freunde mit der Schuhspitze gegen Füße oder Knie. In den Moshpits ballt sich nach der erfolgreichen Aufforderung einer neuseeländischen Vorband, Kreise zu bilden, eine Ladung Energie, der ich nicht in den Weg kommen will.

Frei.Wild-Konzert in Graz: Auf Leinwand hinter Bühne wird Bild eingeblendet, wo sich zwei Männer umarmen und dabei jeweils die Pistole an den Kopf halten

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Populär und rechtspopulistisch

"Was die Diskussion um ein Verbot des Konzerts erreicht hat, ist, dass Frei.Wild einen unglaublichen Fan-Zuwachs erhalten. Also um deren Zukunft mache ich mir jetzt schon keine Sorgen mehr", sagt Rene Molnar mit nicht zu überhörender Ironie. "Wenn man es genau nimmt: Die Band ist ja nicht wirklich so gut. Aber so kannst du bekannt werden: Wenn du ein bisschen in der Grauzone operierst, auf Gutmenschen spuckst - das ist ein Kasperltheater in Wahrheit."

Wenige Stunden vor dem Konzert kam die Meldung, dass die deutsche Neonaziband Stahlgewitter Frei.Wild vorwirft, Songteile gestohlen zu haben. Die Kleine Zeitung verlinkte die Songs in Auszügen auf YouTube. Rene Molnar ist nächste Woche wieder in Schulen unterwegs, die Band des gestrigen Abends spielt in Tirol.

Am Ende des gestrigen Konzerts knallt es Kanonensalven aus den Boxen, dass ich um meine Innenohren zittere und der Wachhund der Sicherheitsleute am Feld nebenan von der Leine gelassen wird und einen Kilometer zum nächsten Sicherheitsmann flüchtet. Call me zimperlich, doch für die Anwesenheit von Polizei in Zivil war ich gestern Abend dankbar.