Erstellt am: 10. 5. 2013 - 14:27 Uhr
Lendwirbel oder nicht
"Gibt's heuer eigentlich einen Lendwirbel oder hat er sich endgültig selbst dekonstruiert?", fragt jemand und ist damit nicht allein. Anfang Mai ist der Lendwirbel im Grazer Bezirk Lend seit 2008 erst als Blockparty, dann als soziokulturelles Straßen- und Stadtteilfest alljährlich ein Versprechen in vielen Köpfen: Hinaus in den öffentlichen Raum, sich treffen und Sachen machen oder auch nur zusehen dabei, wie andere Sachen machen.
Bloß waren letzte Woche beim Spazieren durch den Lend kaum Ankündigungen zu finden, genau genommen ein Plakat verwies auf die Grrrls Night Out im Freien am 11. Mai. Das Ende des Lendwirbels - steht es bevor? Auf der Lendwirbel-Seite lautet das Leitmotiv 2013: "Stell dir vor, es ist kein Lendwirbel, und alle gehen hin!".
Genau dieser Glücksfall ist letztes Jahr passiert: An einem Freitagabend im Mai waren hunderte Menschen in den Lend gekommen, obwohl es überhaupt kein "Programm" gab. Kein Konzert im Schaufenster oder unter freiem Himmel. Man traf einen nach dem anderen, plauderte Stunden lang. Es war ein wunderbarer Abend.
Was ist da los?
Der Lendwirbel ist eine Erwartungshaltung geworden. Und plötzlich gibt es keinen Plan samt Karte und Ankündigungen, wo wann was stattfindet? Was ist da los - oder ist auch nichts los?
"Es gibt heuer ja keinen Lendwirbel", sagen jene, die den Lendwirbel von Anfang an mitgetragen haben. Eine Institutionalisierung wollte man vermeiden. Der Lendwirbel sei die Verdichtung an normalen Aktivitäten, die im Bezirk passieren.
Bei den Vorbereitungstreffen einigten sich die aktiven LendwirblerInnen basisdemokratisch auf dezentrale Informationspolitik. Mit der Folge, dass man als neugierige Besucherin jetzt Infos via Facebook zusammensuchen müsste. Schließlich trug die "Annenpost", ein Projekt der Fachhochschule Joanneum, die einzelnen Termine zusammen.
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Selbstermächtigung und ihre Grenzen
Der Lendwirbel und seine InitiatorInnen setzen seit Beginn auf Selbstermächtigung, Eigenverantwortung und Eigeninitiative. Doch man kann - klarerweise - nicht einfach etwas mitten auf einem öffentlichen Platz aufbauen. Um den organisatorischen Aufwand kümmerte sich bis ins Vorjahr das offene Organisationsteam.
"Lendwirbel" ist keine eingetragene Marke. Hinter dem Lendwirbel steht keine kommerzielle Agentur. Stets wollten die, die sich zusammenfanden und engagierten, unabhängig agieren. Das arbeitsame Kernteam - zu dem Interessierte jederzeit stoßen konnten - checkte im Vorfeld Sammelansuchen für Straßenteilsperren und Fördergelder, um anfallende Gebühren zu begleichen. Dem ist diesmal nicht so.
Dennoch spielten die Kanadier Terror Bird etwa in einem Gemeinschaftsbüro, Just Friends And Lovers in einer Auslage. Gestern Nachmittag war der Mariahilferplatz voller Menschen, die dort saßen, nicht zu lauter Live-Musik lauschten oder ein Polaroid von den A-Mag-Machern bekamen. Die drei jungen Journalismusstudierenden spielen mit ihrem vierteljährlich erscheinenden Printmagazin mit Augmented Reality und stellten die zweite Ausgabe persönlich vor. Am Lendplatz waren die Bikepolospieler mit Soundsystem. Abends twitterten Menschen vom "kleinen Nachtwirbel", einer Privatparty in einer alten Textilfabrik. An Begeisterungsfähigkeit mangelt es nicht.
Radio FM4
In den öffentlichen Raum
Im Juni erscheint mit "Ortsentwürfe - Urbanität im 21. Jahrhundert" ein Sammelband, der sich mit Teilhabe im öffentlichen Raum - von Kairo bis zum Lend - beschäftigt.
All die kleinen, ehrenamtlichen Eigeninitiativen, die den Lendwirbel stets zu dem gemacht haben was er ist und die nun vermisst werden, waren hier die notwendigen Behördenwege vielleicht abschreckend? Das How-Do vermitteln erfahrene LendwirblerInnen allerdings auf Anfrage und in den Vorbereitungstreffen.
Von der öffentlichen Stadt wünschen sich Lendwirbel-Akteure mehr Initiative, Geschehen wie einen Lendwirbel mit zu ermöglichen. Um etwa den "Schlagergarten Gloria", ein Picknick im Park mit Musik, zu machen, muss man klarerweise Auflagen einhalten. Zum Beispiel: Pro hundert BesucherInnen braucht es einen Ordner. Feuerlöscher müssen bereitstehen, die Rettung informiert sein, Stromanschlussgebühren sind zu zahlen und es braucht das Zertifikat eines Fachelektrikers sowie extra Mülltonnen und Dixie-Klos. All diese Auflagen summieren sich.
Warum tut man sich das an? "Ich bin wie viele andere Initiativen da ansässig. Ich wohn' da, und hab' da mein Büro und will, dass das Stadtleben auch auf der Straße, auf Plätzen und schönen Orten funktioniert", erklärt Franz Lammer, der Schaufenster-Konzerte organisierte und letztes Wochenende eben den Schlagergarten Gloria.
Kein Event
Rainer Rosegger
Beim Lendwirbel legte es bislang niemand auf einen Gewinn an. Selbst für die Gastronomen vor Ort ist der zusätzliche Umsatz in der Lendwirbel-Zeit nicht unbedingt die Triebfeder, mitzumachen. Die Wirte haben kein Interesse an einem Event, mit dem sie es sich auf Monate mit den Nachbarn verscherzen. Damit es keinen Ärger gibt, hat sich etwa der Filmemacher Norbert Prettenthaler mit einem griechischen Lokal abgesprochen und zeigt in einem Fenster Filme.
"Die Stadt stockt die Ordnungswache auf und ahndet Verwaltungsstrafen wie Hunde nicht an der Leine zu führen, irgendwo auf einer Parkbank zu sitzen, aus einer Bierflasche am Hauptplatz zu trinken und Tauben zu füttern. Die Stadt will regulieren und verbieten und alles wissen, was passiert. Das ist der Trend, in dem wir uns bewegen - auch global", sagt Franz. "Und das ist echt bitter, weil der Lendwirbel Sachen ermöglichen will. Es muss einfach möglich sein, dass sich ein Stadtviertel ein bissl mehr im öffentlichen Raum aufhält."
Die Hinweise verdichten sich, dass heute und morgen gute Tage werden, um sich ein bisschen im Lend aufzuhalten.