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8. 5. 2013 - 15:00

Besser spät als nie: Der Tag der Befreiung

Warum hat das offizielle Österreich bis 2013 gebraucht, den 8. Mai als Tag der Befreiung zu begehen? Historikerin Brigitte Bailer (DÖW) im Interview über Mitläufer, den Opfermythos und die Deserteure der Wehrmacht.

Erstmals seit Ende des Zweiten Weltkrieges richtet Österreich eine eigene Veranstaltung zum 8. Mai, dem Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, aus. Wie bewerten sie das?

Brigitte Bailer: Ich bewerte das grundsätzlich als eine sehr erfreuliche und positive Entwicklung – die einige Jahrzehnte zu lange gedauert hat. Aber nach dem Grundsatz „Besser spät als nie“ freue ich mich sehr, dass das heuer zustande kommt und hoffe, dass es auch ein Signal für die nächsten Jahre sein wird.

Warum geschieht diese Feier erst heuer zum ersten Mal?

Die Historikerin Brigitte Bailer ist seit 2004 Leiterin des Dokumentations-Archivs des österreichischen Widerstandes (DÖW).

Weil sich Österreich mit der Erinnerung an und dem Bekenntnis zu seiner Involvierung in die nationalsozialistische Vergangenheit sehr schwer getan hat. Österreich ist sehr lange, eigentlich bis zum Anfang der neunziger Jahre, der These der Moskauer Deklaration angehangen, das erste Opfer gewesen zu sein. Das ist die eine Sache, aber das hätte ja schon begründen können, dass man sich über die Befreiung freut.

In Wahrheit war es aber auch so, dass die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher sich zumindest mit dem Regime arrangiert hatte. Ein doch beträchtlicher Teil hatte seine Vorteile daraus gezogen, sei es über die Enteignung jüdischen Vermögens, sei es mit neuen Karriereschritten, sei es mit einer neuen Wohnung – immerhin sind in Wien 60.000 Wohnungen „arisiert“ worden.

Und ganz deutlich sehen wir das auch am Umgang mit den ehemaligen Angehörigen der Deutschen Wehrmacht, die nach Leseart der Opferdoktrin für ein „fremdes Land“ in den Krieg gezogen sind. In Wirklichkeit waren das unsere Leute, die uns verteidigt haben. Das heißt für viele Leute war der 8. Mai trotz aller Enttäuschung über den Krieg, trotz aller Verzweiflung über das Bombardement und anderes, nicht ein Tag der Befreiung, sondern ein Tag der Besetzung. Es hat mehrere Generationswechsel gebraucht, bis Österreich dort ist, wo andere Länder längst sind. Sie werden in Paris und vielen europäischen Städten eine Straße des 8. Mai finden, in Österreich gibt es so etwas nicht.

APA/Herbert Neubauer

Verteidigungsminister Gerald Klug betont, dass es sich bei der Mahnwache des Bundesheeres heute einzig um ein Gedenken der Opfer des Faschismus handle. Andreas Mölzer von der FPÖ will das nicht akzeptieren. Die Mahnwache sei automatisch auch ein Gedenken an die im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten, sagt er, so werde das auch in den höchsten Kreisen des Bundesheeres empfunden.

Ich wünsche mir, dass Gerald Klug recht hat. Ich bin mir aber nicht sicher. Doch ich halte es für eine positive Entwicklung, dass das Bundesheer eine Mahnwache für die Opfer des Nationalsozialismus hält, und nicht mehr eine Trauerkundgebung der deutschnationalen Burschenschaften über den verlorenen Zweiten Weltkrieg hier stattfinden kann.

Bei den Burschenschaften sind die Meinungen geteilt. Einerseits gibt es Stellungnahmen, dass die heutige Mahnwache begrüßt werde, andererseits schreibt eine Verbindung auf ihrer Website: "Wenn Sozialisten mit Heeresgewalt versuchen, politisch Andersdenkende zu unterdrücken und zu verdrängen, ist dies zwar historisch nicht ungewöhnlich, aber in der heutigen Zeit erschütternd". Was sagen sie dazu?

Erschütternd finde ich, dass bisher die Burschenschaften ungehindert die Niederlage des Deutschen Reichs und des Nationalsozialismus betrauern konnten – eine Niederlage, die tausende Menschen aus den Konzentrationslagern befreit und deren Leben gerettet hat.

Zur Umgestaltung des umstrittenen Wehrmachtsdenkmals in der Krypta: Bis Ende des Jahres sollen nun Leitlinien erarbeitet werden, unter Zuhilfenahme eines Militärhistorikers. Was sollte diese Umgestaltung ihrer Meinung nach beinhalten?

Die Umgestaltung sollte ganz klar machen, dass der Nationalsozialismus über 100.000 Österreicherinnen und Österreicher im Zuge der Verfolgung aus politischen und rassistischen Gründen das Leben gekostet hat. Man kann aber durchaus auch sehen, dass bei weitem nicht alle, die in die Deutschen Wehrmacht eingezogen wurden und im Zuge des Zweiten Weltkriegs gefallen sind, von diesem Regime überzeugt waren. Ganz wichtig scheint mir im Kontext des militärischen Gedenkens, auch den Mut jener zu würdigen, die sich diesem Krieg entzogen haben – auf welche Art auch immer. Tausende von ihnen haben auch das mit ihrem Leben bezahlt.

Fehlt ihnen diese Komponente auch bei der heutigen Veranstaltung?

Wir werden noch hören, was in den Reden thematisiert wird. Es ist die erste Feier des Tages der Befreiung. Ich würde mir wünschen, dass der Befreiung aller Opfer, etwa der politisch Verfolgten, der Juden, der Roma und Sinti oder der Homosexuellen gedacht wird.