Erstellt am: 6. 5. 2013 - 19:00 Uhr
Leider Steil
Liebe 2013, Unterabteilung romantische. Da winken die Auskenner ab und schlagen lieber neue polyamouröse und queere Modelle vor. Die romantische Liebe zu zweit ist ein alter Hut und außerdem doch bloß eine Erfindung, sagen sie. Oder: Sie ist ein Instrument des Patriachats zur Einzementierung überkommener Geschlechterverhältnisse. Und außerdem ist sie schlicht unmöglich. Das Ideal ist aufgerieben zwischen unbedingten Treueansprüchen, Verlustangst und gelockerten sozialen Bindungen, weshalb heute die Kompromissformel der seriellen Beziehung dominiert.
Kiepenheuer und Witsch
Die Auskenner haben mit alledem natürlich recht. Und trotzdem stirbt das Bedürfnis nach der romantischen Verschmelzung mit dem Gegenüber nicht ab. Im Gegenteil: Liebe tut - auch seitdem die Leute im Netz an ihren Gefühlsbenutzerprofilen putzen und feilen - immer noch weh, wie die Soziologin Eva Illouz schreibt. Vielleicht ist die Liebe auch narzisstischer geworden. Fütter mein Ego, sangen die Einstürzenden Neubauten einmal.
Man will alles, aber man will weniger dafür riskieren. Man will sich nicht mehr für den anderen aufopfern, sondern das Beste für sich herausholen. So kracht die romantische Sehnsucht nach Ich-Aufgabe mit der Ideologie des therapeutischen Liebescoachings, die das Ich ohne Rücksicht auf Verluste aufpäppeln will, zusammen.
Wie anachronistisch ist unter solchen Bedingungen ein Liebesroman, der im auf alt getrimmten Cover auch noch ein Herz aufgemalt hat? Joachim Bessings Roman „Untitled“ (benannt nach einem Parfüm des als subversiv geltenden Modeschöpfers Martin Margiela) ist so maßlos, so hypernarzisstisch, so altmodisch selbstverliebt ins eigene Liebesleid und gleichzeitig so gegenwärtig, dass es eine Freude ist. Es spielt im Berliner Hier und Jetzt, kommt aber angeblich aus Addis Adeba. Dort wohnt Bessing, der eine Zeitlang im Stilressort der „Welt am Sonntag“ arbeitete und 2011 aus unbekannten Gründen entlassen wurde. Der ehemalige Modejournalist lud einst mit seinen teilweise nicht unblasierten Dandy-Kollegen in das Berliner Hotel Adlon zur Feier der Tristesse Royale und übte sich im Distinktionsgebaren durch Anhäufung von Markennamen und Popsongs. Damals, um 1999, nannte man so etwas Popliteratur.
„Untitled“ ist ein Buch, das noch einmal Pop als affektiv aufgeladenes Spiel mit den Dingen und Waren aufführt. Die digitalen Nabelschnüre, die Liebende (und ganz allgemein nach Aufmerksamkeit Heischende) heute miteinander verbinden, dienen als Intimitätersatz. Logo, dass das nicht richtig funktioniert. Logo, dass man trotzdem nicht damit aufhört. Wann smst sie zurück? Wann bekomme ich das Instagram-Foto? Wird ihr „unser“ Lied von den Strokes auf MP3 gefallen?
Die Story von „Untitled“ ist übrigens circa so neu wie das Wort Unglück. Ein Mann verliebt sich plötzlich und unsterblich in eine verheiratete Frau, die er nicht kriegen kann und leidet. Punkt. Das Motto zum Buch stammt aus der Romantik, von Novalis: Wem gefiele nicht eine Philosophie, deren Keim ein erster Kuss ist?
Gut, Philosophie gibt es in „Untitled“ keine, dafür aber viel von dem süßes Sehnen mit all seinen ichzerstörerischen Nebenwirkungen. Es wird viel geheult und kaum geschlafen. Dem Erzähler wird sogar ein Gehirntumor diagnostiziert, so sehr setzt ihm sein Liebeswahn zu. Zudem ist er genau so nah am realen Joachim Bessing gebaut, dass man ständig rätselt: Ist das noch eine Werther-Nachdichtung im Skype-Zeitalter oder schon ein Therapieprotokoll?
In der deutschen „Zeit“ lobte der Ex-Popliteraturkollege und Freund Rainald Goetz den Roman in den Himmel: „Alles, was Joachim Bessing über die Liebe sagt und denkt, ist kompletter Unsinn. Auch das erhöht sehr die Freude beim Lesen, dass man mit diesem Buch und seinem Autor dabei dauernd streitet. Die Heftigkeit des Vortrags, die Monomanie, die Egozentrik: falsch! Grandios!“ Eine Woche später konterte in derselben Zeitung die Rezensentin Marie Schmidt: „Bessing labert einen höchstens schwindlig.“
Wenn man mich fragt: Goetz hat zu 91% recht, nur zum Schluss geht das Buch tatsächlich ein bisschen aus dem Leim.
Der Anfang ist übrigens auch nicht übel. Denn die Widmung lautet so pathetisch wie lakonisch: „Für Dich“.