Erstellt am: 5. 5. 2013 - 18:06 Uhr
Zornige Donnergötter und ihre Boten
Am letzten Festivaltag hat es in Krems ordentlich gescheppert. Philipp Quehenberger hat das Gewitter in der Minoritenkirche zusammengebraut, Omar Souleyman und The Gaslamp Killer haben es angeheizt und die Death Grips brachial entladen.
Neben MusikerInnen, die in der Avantgarde und Subkultur beheimatet sind, ist es beim Donaufestival aber auch wieder um performative Aktionskunst abseits der Konzertbühnen gegangen.
Eva Brunner über die Operation Otto Retter
Eine besonders charmante und skurrile Führung hat der Schweizer Künstler und "Menschen-Erfinder" Hans Peter Litscher an beiden Wochenenden gezeigt. Mit seiner "Operation Otto Retter" hat er die BesucherInnen mit der Frage konfrontiert: "Who the fuck is Otto Retter?". Laut Litscher ist der verstorbene Otto Retter schillernder Exil-Kremser gewesen, international angesehener und glühend verehrter Transgender-Crossdresser. Außerdem ist Retter laut Litscher der Erfinder des Kremser Transgender-Jodlers. Den können wir jetzt auch alle singen.
David Visnjic
Daniela Derntl über Philipp Quehenberger
"Der immer schneller werdenden Technotracks überdrüssig, starteten Peter Rehberg und Ramon Bauer das Label Mego, machten Musik mit Kühlschränken und befreiten abstrakte Elektronik vom akademischen Mief."
Dieses Zitat steht im aktuellen Groove-Magazin, in dem Auszüge aus dem Ende Mai erscheinenden Buch "Wienpop" zu lesen sind. Der Artikel über diese Oral-History fokussiert die Neunziger Jahre in Wien. Kruder&Dorfmeister waren damals das große Ding, das Gilles Peterson als seinen Beatles-Moment bezeichnet hat.
Diesen spannenden Artikel lese ich am Samstag Nachmittag unter den Fliederbäumen in einem Kremser Park. Einen Beatles-Moment hatte ich nie, einen Kruder&Dorfmeister-Moment auch nicht, aber einen Philipp-Quehenberger-Moment. Vor zirka zwei Jahren hab ich mir spontan und deshalb absolut uninformiert das Ballett vom mittlerweile verstorbenen Bildhauer Franz West beim Impuls-Tanz-Festival angesehen. Menschen mit gemeißelten Körpern sind halbnackt vor mir herum gesprungen. Es war ein abstrakter Tanz zu abstrakter, absolut genialer elektronischer Musik. Als der Vorhang fällt und Philipp Quehenberger auf die Bühne tritt, fallen mir auch Schuppen von den Augen: War ja klar, dass er für diese Musik verantwortlich ist! Wer sonst? Okay, vielleicht noch Patrick Pulsinger und Erdem Tunakan. Die können ja auch Schwanensee remixen.
David Visnjic
Philipp Quehenberger, der Tiroler Grenzgänger zwischen Techno, Jazz und Hardcore eröffnet die Samstag Nacht beim Donaufestival. Seine experimentellen Platten erscheinen auf dem bereits erwähnten Label Mego, Cheap oder auch bei Laton, deren Betreiber Franz Pomassel und Anna Ceeh die Skweee-Partys beim Donaufestival und in der Wiener Secession organisieren.
Der klassisch ausgebildete Tastenberserker Quehenberger spielt in der Minoritenkirche, wo zwei Tage zuvor Mark Stewart gemeinsam mit Mika Vainio, Adrian Sherwood und Russell Hasswell ein höchst wirksames Noise-Neuroleptikum verabreicht hat. Mit Mark Stewart hat Quehenberger schon zusammengearbeitet: Auf Stewards Album "Edit" oder auf seinem Album "Phantoms in Paradise", co-produziert von Patrick Pulsinger.
Wer ihn nicht kennt, muss wissen, Philipp Quehenberger ist durch und durch ein Live-Musiker. Der vom Free-Jazz-kommende Klangforscher kann durch seine immense Improvisations-Lust nur schwer zu einem Ende kommen. In der Minoritenkirche erschrickt er selbst beim Blick auf die Uhr. Es ist längst Zeit, das Konzert zu beenden. Doch dem Publikum ist es vollkommen egal, mit geschlossenen Augen ist es in die unerbittlichen stoischen Rhythmen von Quehenberger abgetaucht. Techno, im weitesten Sinne, eine Slalomfahrt zwischen Starkstromschlägen und sonorem Rauschen.
David Visnjic
Nach einem nebelverhangenen Konzerterlebnis schnappen draußen die Besucher nach Luft: "Er hätte noch mehr Gas geben sollen, mein Kaffee ist noch im Magen geblieben." Ein forderndes Publikum, das von der Musik explizit körperliche Reaktionen verlangt. Ein Vorzeichen für die kommende Konzertnacht und schon zu Beginn ein kleiner Höherpunkt.
Eva Brunner über Omar Souleyman
Omar Souleyman ist in seinem Heimatland Syrien eine lebene Legende. Wer schafft es schon zu einer Diskografie von über 600 Live-Mitschnitten?
Souleyman schafft den Spagat zwischen syrischen, arabischen, armenischen, irakischen sowie kurdischen Rhythmen und groovigen Lo-Fi Beats. Souleyman wollte ursprünglich Musik für Hochzeitspartys machen. Dass er dabei auch großen Anklang beim gemeinen jungen Mitteleuropäer findet, hätte sich der stets sonnenbebrillte Souleyman vielleicht nicht gedacht. Seinen Erfolg in westlichen Ländern hat das US-Label Sublime Frequencies weiter ausgebaut.
David Visnjic
Für Björk hat Souleyman den besten Remix ihres aktuellen dritten Remix-Albums "Bastards" gemacht. Souleymans Version von "Crystalline" ist sogar besser als das Original. Aber Souleyman kann mehr als nur Beats für Hochzeitspartys programmieren und Songs von anderen adaptieren. Das hat er beim Donaufestival und seinem Live-Debüt in Österreich bewiesen.
David Visnjic
Daniela Derntl über The Gaslamp Killer
William Benjamin Bensussen ist The Gaslamp Killer aus Los Angeles und ein DJ mit einem völkerverbindenden musikalischen Bildungsauftrag. Der Turntableist entwirft ein popkulturelles Mosaik mittels Cut-Up-Technik: In seinem Set reiht sich World Music an Oldschool-Hip-Hop, Dubstep an Sixties-Psychedelica und Break-Core an Sci-Fi-Jazz.
David Visnjic
Es ist eine obskure Mischung. Die weitgehend unbekannten oder unveröffentlichten Schmuckstücke seines Mixes bekommt er von befreundeten Produzenten wie Flying Lotus, auf dessen Brainfeeder Label er auch veröffentlicht. Mein Freund A. ist unzufrieden und nennt es einen lieblosen Sound-Abwasch, ich hingegen finde diesen hyperaktiven Höllenritt höchst unterhaltsam.
Eva Brunner über Death Grips
Endlich haben es Death Grips auch nach Österreich geschafft. Sie machen sich rar, geben keine Interviews, gelten generell als scheu und versuchen nicht, die Gunst des Publikums mit netten Zwischenansagen zu erlangen. Death Grips fokussieren sich auf das Wesentliche: ihre Kunst.
David Visnjic
Im Stadtsaal sind MC Stefan Burnett und Andy Morin zwar ohne den eigentlichen Mastermind, Drummer Zach Hill, aufgetreten. Trotzdem haben sie mit ihrer gewohnt deftigen Mischung aus Punk Rock, Grind Core, Hip Hop und Noise die Schädeldecken des Publikums kräftig massiert. Für einen richtig heftigen Moshpit sind die Donaufestivalbesucher zwar zu gut erzogen. Trotzdem ist jeder, der das Death-Grips-Konzert besucht hat, in seinen musikalischen Grundfesten erschüttert worden.
Die Death Grips zeigen, wohin einen Musik treiben kann. Sie schaffen es, mit ihrem erbarmunglosen, physisch zehrenden Sound eine innerliche Reinigung von zuviel gefälligem Charts-Unfug vorzunehmen. Warum sollte man sich dem nicht bedingungslos beugen?
David Visnjic
Daniela Derntl über Ghostpoet
Der 30-jährige Ghostpoet kommt aus Coventry, einer Stadt, die im zweiten Weltkrieg weitgehend zerbombt wurde. Dieses betonierte Pflaster war auch die Spielwiese der Ska-Band "The Specials", die Anfang der Achtziger Jahre mit dem Song "Ghost Town" erfolgreich war. Aus der Geisterstadt Coventry verschlug es Obaro Ejimiwe, wie Ghostpoet wirklich heißt, nach London, wo er als Versicherungsangestellter sein Einkommen fand. In der Nacht widmete er sich seiner Musik und die Legende will es, dass er just an dem Tag gekündigt wurde, als er bei Gilles Petersons Label Brownswood unter Vertrag genommen wurde.
Auf dem Donaufestival stellt er sein zweites Album "Some say I so I say light" vor. Nach dem Death Grips Freak-Out, bei dem Freund M. von einem Unbekannten gebeten wurde, ihn richtig fest in den Magen zu boxen und auch andere Handgreiflichkeiten beobachtet wurden, erschien das Ghostpoet-Konzert einigen vielleicht fad.
David Visnjic
Für mich war es Balsam für die Ohren: Ghostpoet macht melancholischen HipHop-Blues, seine Spoken-Word-Performance erinnert an die Selbstgespräche von Passanten auf der Straße. Die Band im Hintergrund bestehend aus Keyboarderin, Schlagzeuger und Bassist, vermittelt einen Smooth-Jazz-Touch. Ghostpoet ist einer von den Guten, nicht nur musikalisch, sondern auch als Typ!
David Visnjic
Kehraus mit Skweee
Bleepender 8-Bit-Funk macht den Kehraus beim Donaufestival. Die in Skandinavien entstandene Musikrichtung Skweee klingt wie Super Mario auf Speed. Vier Vertreter des Genres liefern sich in der Halle drei ein feuchtfröhliches DJ-Battle, sie bespritzen sich gegenseitig mit Wasser. "Caution, Wet Floor" warnt ein Schriftzug aus Gaffa-Tape auf der Bühne, das Publikum tanzt trotzdem Barfuß oder in weißen Maleranzügen und schwenkt dabei ausgelassen Fliederbüsche in der Luft, die auch in Richtung Bühne fliegen. Dieses lustige und entspannte Miteinander beendet die Nacht. Der Gewinner der DJ-Battle: Das Donaufestival.