Erstellt am: 3. 5. 2013 - 16:58 Uhr
Der Tag der alten Helden!
Letztes Wochenende wurde einer ganzen Generation an blutjungen MusikerInnen eine Plattform geboten, ihr Update alternativer elektronischer Musik darzustellen. Künstler wie Actress oder Haxan Cloak haben Krems mit Sound konfrontiert, den man perfekt zur Illustrierung von Albträumen verwenden könnte. Am ersten Tag des zweiten Donaufestival-Wochenendes porträtierte man nun die Väter und Mütter der modernen jungen KlangkünstlerInnen.
Eine Reihe von Legenden ist am Donnerstag aufeinander getroffen und hat sogar erstmals gemeinsame Gigs gespielt, zum Beispiel die Hardcore-Noiseband Girls Against Boys. Die sind mit dem charismatischen Schreihals David Yow von The Jesus Lizard aufgetreten und erinnern uns, warum verbissene Hardcore-Positionen noch immer wichtig wären.
Das letzte Konzert des Abends zuerst
Beim Donaufestival haben Girls Against Boys ihren ersten Auftritt nach vielen Jahren Pause absolviert und so viel sei verraten: Die vier haben Donnerstag Nacht ihren früheren Ruhm mit 90ies Hardcore-Riffs zünftigst heraufbeschworen. Die Augen der Fans, und auch die von Girls Against Boys, haben vor Wiedersehensfreude geglänzt. David Yow ist kurz vor Konzertende noch ins Publikum gesprungen und hat eine Frau (eh eine Bekannte) enthusiastisch geküsst. Die Noise-Rock-Energie sprudelt also noch immer.
david visnjic
David Pfister über Martin Rev (Suicide)
Auch Martin Rev ist am Donnerstag dabei gewesen. Er ist Instrumentalist des legendären New Yorker Punkrock Duos Suicide, das er mit Alan Vega 1970 gegründet hat. Für Genres wie Electro-Clash, Synthie Pop und natürlich Punkrock waren sie Wegbereiter.
Die New Yorker Band Suicide ist so vieles und ist für so viel Gutes verantwortlich, dass ich eine Dissertation schreiben müsste, um sie nur in Ansätzen verständlich zu machen. Das Duo war eine der ersten Formationen, das herkömmliches Rock-Instrumentarium durch elektronische Geräte wie Drum-Machines ersetzte, aber dennoch nicht den Gestus und das Erbe uramerikanischer Popmusik wie eben Rock'n'Roll oder die fortgesetzte Form Rockabilly in ein neues Jahrzehnt führte.
Elektronische Musik in so unglaublich vielen Facetten verdankt Suicide Unendliches. Und Suicide sind tatsächlich. Martin Rev schließt im Interview auch nicht die Möglichkeit einer neuen Suicide-Platte aus. Beim Donaufestival ist er mit seinen Soloarbeiten und Suicide-Tracks vor Ort. Diese setzt der gute Mann live so um: Er spielt Playbacks, die zwischen Industrial, Sixties-Verehrungen, Latino-Pop und Bierzelt-Schlager pendeln und schlägt dazu auf ein Keyboard, das programmiert wurde, um schrille Verzerrungen zu erzeugen.
david visnjic
Der Gaukler und seine Wahrhaftigkeit
Nochmal möchte ich darauf hinweisen, dass er keine Akkorde oder Melodien spielt, sondern zufällig auf die Tastatur trommelt. Dazu singt oder toasted er unverständliche Texte. Eigentlich genauso wie sein Kumpel und Sänger bei Suicide Alan Vega. Liest sich schrecklich. Ist es aber nicht. Martin Rev gibt den zynischen Gaukler, aber eigentlich sind seine Noise-Eskapaden nur Make-Up und notwendige Verklärung, um umarmende Volksmusik zu produzieren. Harte Romantik in Leder, die aber eigentlich nur geliebt werden will.
david visnjic
Daniela Derntl über David Yow
David Yow liebt Katzen. Er ist der Sänger der amerikanischen Noise-Rock-Band The Jesus Lizard und schon das Cover des 1992 erschienen Albums "Liar" zeugt von seiner Tierliebe. Yow ist aber nicht nur Sänger, sondern auch Maler und Comic-Zeichner. Im Kunstraum Stein in Krems stellt er 38 von insgesamt 82 Katzen-Comics aus. Diese süßen und humorvollen Bilder illustrieren alle möglichen Wörter und Wortverbindungen, die die Buchstaben CAT in ebendieser Reihenfolge enthalten: Catholic, Catastrophe, Catamaran, Cat Burglar, Cat Stevens oder Fritz the Cat.
David Visnjic
Die Liebe zu Katzen wurde ihm in die Wiege gelegt, seine erste hieß MeYow und war wahrscheinlich die erste Katze, die ihren Familiennamen aussprechen konnte. Ein sehr beliebter Stubentiger fehlt allerdings in seiner Ausstellung: Grumpy Cat, denn die hat er trotz Facebook und Co nicht gekannt. Sie ist jetzt die Nummer 83 auf seiner Liste und wird bald der Kollektion hinzugefügt.
Nach der Ausstellungseröffnung wird Yow auch auf der Bühne zu sehen sein: Er begleitet die amerikanische Noise-Rockband Girls against Boys mit einer Kunstperformance. In der geht es, wie könnte es anders sein, natürlich auch um Katzen.
David Pfister über Ruin
Nun erlebt ja das ästhetisch spannende aber politisch manchmal ambivalente-Black Metal-Genre schon seit einiger Zeit ein Revival. Als Ahnung in der elektronischen Musik sowieso und im Indierock auch.
Letztes Wochenende hatten wir die ironische kalifornische Band Bosse De Nage. Die machen gleich mit einem Manifest klar, dass sie sich auf die ironische Kunstform Pataphysik (eine Parodie auf moderne Wissenschaften) in ihrer Black-Metal-Darstellung beziehen.
david visnjic
Natürlich hegt diese Band die Liebe zur musikalischen Ästhetik des Black Metal, aber es ist ihnen wichtig, dass sie sich von den extremen inhaltlichen Standpunkten und der Ikonografie dieses Genres distanzieren. Das ist verständlich und diese Haltung, wie sie auch Kandidaten wie "Liturgy" pflegen, ermöglicht eigentlich die Aufrechterhaltung dieses Genres.
Aber wir haben hier ein Problem. Die Faszination von Black Metal speist sich aus der kompromisslosen Haltung. Konterkariert man mit Ironie, evoziert man zwar neue spannende Stile, aber die Faszination von Black Metal wird dadurch getötet. Nur die, na sagen wir mal oftmals dämliche Hingabe an die ernste Black-Metal-Bilderwelt macht den Reiz dieser Musik aus.
david visnjic
Der Deutsche Martin Eder ist eigentlich Maler. Aber er ist auch musikalisch aktiv - mit der Black-Metal-Variation Ruin. Eder ist sich ebenfalls des Glatteises bewusst, auf dem er sich musikalisch bewegt. Aber er entzahnt im Unterschied zu vielen anderen Kollegen, wie eben Bosse De Nage, diese spezielle Musikform nicht. Ernsthaft geht er mit seinen Musikern auf eine Reise, die alle Ästhetiken von Black Metal ohne Zynismus darstellt und mit Ambient und Ahnungen von Electronic perfekt in das Jahr 2013 geleitet. Wäre der Burzum klug, dann würde er so agieren und musizieren.
Daniela Derntl über Adrian Sherwood
Adrian Sherwood, der Miterfinder von Dub, schickt sein Lieblings-Genre in die Hölle. Während draußen der Regen aus dem weiß-grauen Himmel fällt, wird die Minoritenkirche am frühen Abend von Mark Stewart, dem Sänger der britischen Post-Punk-Band The Pop Group, in den Grundfesten erschüttert.
Er performt dort seine "Lovesongs for the entire planet" und wird dabei von Mika Vainio von Pan Sonic und Editions-Mego-Mann Russell Haswell an den Geräten unterstützt. Seine Gedichte und verstörenden Liebeslieder, die nur schwer als solche auszumachen sind, werden in Noise und Distortion eingebettet, die einem den Hals zuschnüren. Tieffrequente Soundwälle, die vom On-U-Labelchef Adrian Sherwood in Echtzeit gedubbt werden, massieren die Magengrube.
Das Quartett entwirft ein poetisches Angstgemälde mit politischen Inhalten. Schönheit hat hier nichts verloren, man beginnt viel mehr der Verzweiflung zu vertrauen. Diese vier alten Männer kennen sich schon lange, machen aber erstmals im Kollektiv Musik.
david visnjic
Adrian Sherwood war in den späten Siebziger Jahren als fahrender Plattenverkäufer in ganz Großbritannien unterwegs. Als er damals seine Reggae-Scheiben in einem Laden namens "Revolver" in Bristol verkauft hat, fällt ihm ein großer, pickeliger Schuljunge namens Mark Stewart auf. Als sich die beiden drei Jahre später wieder treffen, kauft Mark Stewart keine Platten mehr, sondern macht selber welche, die auf Adrian Sherwoods Dub-Label On-U herauskommen.
Warum kann sich Sherwood noch an Stewart erinnern, obwohl er damals im Plattengeschäft in Bristol nicht ein Wort mit ihm gesprochen hat? "He just stood out of the Crowd, because he was so passionate about things." Diese Leidenschaft glüht auch 35 Jahre später noch.