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Pia Reiser

Filmflimmern

6. 5. 2013 - 10:51

Low Budget! Hai-Tech!

Trash, Klamauk und Farce. Mit "Hai-Alarm am Müggelsee" zerschlagen Sven Regener und Leander Haußmann die Konventionen der deutschen Komödie.

Überzeugt davon, dass viel zu selten Filmzitate im Alltag angewendet werden, drücke ich Sven Regener und Leander Haußmann zu Beginn des Interviews kleine Mineralwasserflaschen in die Hand und zitiere Karl aus "Herr Lehmann": "Denkt an die Elektrolyte". Das ist erstens sowieso ein Spitzensatz und zweitens umso passender, weil, wenn man Regener reden hört, einem wieder klar wird, welch exzellente Besetzung Christian Ulmen als sein irgendwie-ja-schon-Alter-Ego Lehmann in der Verfilmung des Romans war. Ulmen und Regener teilen die gleiche Sprache, die Angewohnheit, sich selbst beim Reden überholen zu wollen.

Nur, wo Ulmen als Herr Lehmann sich meistens in Weltekel und und Bierseligkeit flüchtet, herrscht bei Regener Begeisterung vor. Heute hauptsächlich für den Alarm-Film. Klotzen statt kleckern haben sich der Element-of-Crime-Sänger und Regisseur Leander Haußmann gedacht und mit "Hai-Alarm am Müggelsee" nicht nur einen Film, sondern gleich ein neues Genre geschaffen.

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Was isn dette?

Weitere Filmrezensionen

fm4.orf.at/film

Der Alarm-Film an sich sei ein Katastrophenfilm mit anderen Mitteln, bei dem die Katastrophe selbst relativ egal ist und ein Frontalangriff auf die fundamentalen Regeln deutscher Unterhaltungskunst, erläutert Regener. Die Vorzeichen sind wie in so vielen Monsterfilmen gleich und doch ist hier alles anders. Und zwar gleich zu Beginn. Während es zum guten Ton des klassischen Monsterfilms gehört, dass junge Frauen zu den ersten Opfern gehören, wird in "Hai-Alarm am Müggelsee" gleich in den ersten Minuten dem älteren Bademeister (Michael Gwisdek) die Hand abgebissen. Statt Schmerzensschreie und Panik, guckt der bloß dahin, wo mal seine Hand war und murmelt "Was isn dette?".

Michael Gwisdek in "Hai alarm am müggelsee"

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Hai Noon

Wir sind hier schließlich nicht in Amity, wo Steven Spielberg 1975 seinen weltklasse "Jaws" angesiedelt hat, sondern in Friedrichshagen am Müggelsee. Da trifft der Raubfisch vor allem auf Beamtentum und kommunalpolitische Maßnahmen. Arbeitskreise werden gebildet, das Städtemarketing versucht, das Beste aus der Lage zu machen, während der Fischexperte von der Humboldt-Universität (der grandiose Tom Schilling) kaum zu Wort kommt. Der schnurrbärtige Auskenner in Sachen Kiemenatmer ist wie der Bürgermeister und der wortkarge Haijäger namens Snake Müller eine Figur, wie man sie auch in "Der weiße Hai" findet. Nur Roy Scheider, in "Der weiße Hai" sowas wie die Stimme die Vernunft, fehlt konsequenterweise in der Geschichte ums Monster im Müggelsee. Denn Vernunft hat in der Genre-Melange keinen Platz.

Detlev Buck und Tom Schilling

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Hysterie und Lakonie

Regener und Haußmann setzen zu einem Gaga-Gegenschlag an, was die Konventionen der deutschen Komödie betrifft. Umarmen Klamauk, billige Pointen, den Unsinn und den Wahnsinn. Ein Pantomime findet hier ebenso Platz wie eine Gesangsnummer. Unter die Hysterie, stets gebrochen durch Sitzungen, Arbeitskreise und Expertenmeinungen, mischt sich eine sprachliche Lakonie, wie man sie von Element of Crime kennt. "Der Turm ist wegen Höhe geschlossen", heißt es da, oder "Die kühlende Wirkung von Wasser wird überschätzt". In machen Momenten blitzt so etwas wie die schelmische Sprache der frühen Zucker-Filme durch. Wenn Benno Fürmann mit immer abstruseren Werkzeugen, die er aus dem Nichts holt, versucht, eine Kamera zu zerstören, dann taucht in dieser Inszenierung der Übertreibung und der Albernheit die Möglichkeit auf, dass so ein Alarm-Film vielleicht auch Otto Waalkes aus der müden Bedeutungslosigkeit der "7 Zwerge"-Filme holen könnte.

Benno Fürmann

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Die Deutschen und der Alarm

Wenn es nicht die Liebe ist, wird es die Bombe sein, die uns zueinanderbringt, singen Morrissey und Blumfeld, doch sie haben Entscheidendes vergessen: Den Alarm, den Ausnahmezustand als vielleicht einendsten Zustand überhaupt. Der Alarm zeigt den Menschen, wie er wirklich ist, philosophiert Haußmann. Der Alarmfilm ist die hysterische Seite des Katastrophenfilms, sagt Regener und erklärt weiter die besondere Beziehung der Deutschen zum Alarm. "Man liebe hier den Alarm: Lasagne-Alarm, Schweinegrippen-Alarm, Sojasprossen-Alarm. Und die Berliner seien sowieso nur ganz bei sich, wenn Alarm herrscht."

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Brüder im Geiste

"Hai-Alarm am Müggelsee" läuft bereits in den österreichischen Kinos

Regener und Haußmann beenden teilweise die Sätze voneinander und das wohl nicht nur, weil sie bereits zahllose Interviews zu ihrem Film gegeben haben. Nicht nur Brillenmodelle und Humor ähneln sich, wir teilen uns ein Hirn beim Hai-Alarm, so Regener. über die Regiearbeit zu zweit. Gemeinsam Drehbuchschreiben und sich um die Filmmusik kümmern, kann man sich ja vorstellen, nur wie führt man zu zweit Regie? Es ist nicht immer einfach, aber es ist ja auch so, dass man nicht bei jeder Arbeit Blut und Wasser schwitzen muss, erläutert Leander Haußmann das, was Beiden in Sachen "Hai Alarm" so wichtig ist: Die Leichtigkeit. Eine schnelle, billige Produktion, bei der man nicht über alles stundenlang nachdenkt. Keine Blaupause von funktionierenden Komödienkonzepten, sondern ein stilistischer Rundumschlag, in dem Michael Ostrowksi mit Fran Castdorf Ouzo trinkt und Katharina Thalbach als "zynische Irre von Friedrichshagen" gegen Konsum und Günther Jauch wettert.

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Eine Western-Melodie

Die Deutsche Filmakademie habe sich mit Grauen von dem Film abgewendet. Man kann eben nicht Punk Rock machen und dann erwarten, dass alle einen lieben, so Regener. Schon wieder so ein Lehmann-Satz. Musikalisch schwimmt der "Hai-Alarm im Müggelsee" nicht im Punk Rock, sondern hauptsächlich in einer aus Gitarre und Mundharmonika gezimmerten Melodie, die den Western beschwört. Immer wieder stehen Regener und Haußmann in Polizeiuniformen im Hintergrund und stimmen diese Melodie an. Tauchen außerdem als beschnauzbarte Herren in Taucheranzügen und als Punk immer wieder auf. Es ist ein Film von Haußmann und Regener und auch ein bisschen für Haußmann und Regener. Auf bewährte Rezepte oder gängige Humorkonzepte wird gepfiffen. Und Herzblut fließt hier mehr als Kunstblut, den Hai im Müggelsee bekommt man nämlich nie zu Gesicht.

Interview Podcast

Das ganze Interview mit Sven Regener und Leander Haußmann gibt es im FM4 Interview Podcast zu hören.

Gegen Ende des Interviews muss ich nochmal zu dem Satz mit den Elektrolyten zurückkehren, beziehungsweise, ob die beiden Regisseure sich angesichts der unzähligen Zeilen, die sie in ihrem Leben schon geschrieben haben, nicht manchmal denken, dass der eine oder andere jetzt aber durchaus in den allgemeinen Sprachgebrauch übergehen könnte. Das wird bejaht. Und mit Beispielen ergänzt. Und ich werde garantiert eine Gelegenheit finden "Das ist Hai-Alarm, da gibts kein Freibier" demnächst in ein Gespräch einzufädeln.