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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

9. 5. 2013 - 16:08

Red Head Killing

In James M. Cains posthum veröffentlichem Roman sorgt eine rothaarige Femme Fatale für exquisiten Crime und drei Morde.

"I know a woman, who became a wife
These are the very words she uses to describe her life"

(Paul Simon: "Slip Slidin' Away", 1977)

Nachgetrauert hat sie ihm vermutlich nicht. Als Joan Medford Anfang der 1960er Jahre bei der Beerdigung ihres Mannes keine Träne vergießt, fällt das nicht nur ihrer Schwägerin auf. Auch die Polizei hat Joan im Visier. Die Ehe war für sie und ihren kleinen Sohn kein Zuckerschlecken: Joans Mann war stets betrunken. Er soll seine Frau und das gemeinsame Kind geschlagen haben. Dass er daraufhin bei einem Autounfall ums Leben kommt, könnte jedoch mehr als nur glückliche Fügung sein. Eventuell sogar Mord.

Aber Joan ist nichts nachzuweisen, sie hat andere Probleme. Mittellos und ohne Perspektiven ist sie gezwungen, ihren Sohn in die Obhut der verhassten Schwägerin zu geben und sich um einen Job zu bemühen. Da kommt ihr die Stelle als Kellnerin im "Garden of Roses" ganz recht. Für genügend Trinkgelder sorgt ihr beeindruckendes Aussehen: jung, vollbusig, lange Beine und langes, rotes Haar. Den Libidoüberschuss der männlichen Stammkundschaft kann sie erfolgreich abwehren.

Zwei wollen sie jedoch unbedingt: Tom Barcley und Earl K. White III. Der eine ist ein Träumer, der andere Millionär.

Coverausschnitt "Abserviert"

Metrolit

50 Ways To Kill Your Lover

Cover: "Abserviert"

Metrolit

James M. Cain: "Abserviert" ist 2013 in deutscher Übersetzung von Simone Salitter und Gunter Blank bei Metrolit erschienen.

Die beiden Herzensbrecher könnten unterschiedlicher nicht sein: Tom ist ein attraktiver, junger Herumtreiber, der Joans Blut zum Kochen bringt. Earl ist ein alter, übergewichtiger, gesundheitlich angeschlagener Herr, der sie für ihre Aufmerksamkeiten mit 50000 Dollar Trinkgeld und einem ungewöhnlichen Heiratsantrag belohnt. Würde sie Earl heiraten, könnte Joan ihren Sohn zurückbekommen und hätte für immer ausgesorgt. Außerdem müsste sie niemals mit Earl schlafen: Die Ärzte des alten Mannes haben ihm geraten, auf Geschlechtsverkehr zu verzichten, da er unangenehme Auswirkungen auf sein Herz haben könnte.

Und jetzt wird's kompliziert: Ohne Sex keine Ehe. Tatsächlich zählt zur "ehelichen Lebensgemeinschaft" auch der Geschlechtsverkehr. Juristisch ist Sex natürlich nicht einklagbar, ein Erbe allerdings schon. Anders augedrückt: Schläft Joan nicht mit Earl, hat sie keinen Anspruch auf seinen enormen Nachlass. Tut sie es doch, bringt sie ihn vielleicht um.

Eine Zwickmühle: Die geneigten Leser können sich denken, dass die Polizei bald wieder an Joans Tür klopfen wird. Und wie das bei einer guten Crime Novel sein muss, wird ihr Ende hier nicht verraten. Soviel jedoch: auch bei Ehemännern gilt: Alle guten Dinge sind drei.

She's a Femme Fatale

Auch wenn die deutsche Übersetzung seines größten Bestsellers jeder Beschreibung spottet: Seit "The Postman Always Rings Twice" zählt James M. Cain neben Hammett und Chandler zu den Giganten der Hardboiled Kriminalliteratur. Vor allem die Verfilmungen seiner Stoffe, neben dem "Postman" mit Jack Nicholson u.a. auch "Double Indemnity" (Billy Wilder!) und jüngst die TV-Mini-Serie "Mildred Pierce" mit Kate Winslet, sorgten für erneute Popularität. Zu spät, starb Cain doch 1977 als schwerer Alkoholiker an Herzversagen.

Die Kritik hat ihn zu Lebzeiten verrissen.Von "Fleisch und Verbrechen" oder "sensationslüsterner alter Graubart" war die Rede. Und tatsächlich: Cain war ein skandalöser, schockierender Autor. Er wirbelte die gesellschaftliche Ordnung der Dreißiger- und Vierziger Jahre durcheinander: Ehebruch, Inzest, Verkommenheit und Sex in allen Farben und Variationen gehörten zu seiner Klaviatur. Ein Jahrzehnt vor "Lolita" schrieb er bereits über eine Minderjährige, die ihrer Mutter den Liebhaber ausspannt. Hass, davon konnte Cain ein Lied singen.

James M. Cain

James M. Cain

James M. Cain (1892-1977)

Weitere Leseempfehlungen:

"The Cocktail Waitress" (dt.: "Abserviert") wurde 1975 fertiggestellt, galt jedoch lange als verschollen. Verschiedene Manuskripte, unterschiedliche Enden: Die Edition dauerte eine Weile. Die mittellose Witwe in prekärer wirtschaftlicher Lage kennt man bereits aus "Mildred Pierce", die Herzkrankheit von Earl K. White III. erlebte Cain am eigenen Leib. Das Besondere ist hier die Erzählperspektive in Ich-Form, einzigartig in Cains Oeuvre. Da der Leser durch Joans Augen sieht, weiß er auch nur das, was sie glaubt zu wissen. Auf diese Weise entstehen immer wieder Widersprüche und es bleibt dem Leser überlassen, der Figur Joan Glauben zu schenken - oder eben nicht.

Am Ende dürfte uns Cain in diesem wirklich spannenden good read mit folgender These zuzwinkern: Natürlich denkt keine Femme Fatale selbst, dass sie wirklich eine ist.