Erstellt am: 30. 4. 2013 - 15:42 Uhr
Journal '13. Eintrag 13.
Das ist das Journal '13, meine regelmäßige Web-Äußerung in ungeraden Jahren. Im Gegensatz zu 2003, '05, '07, 2009 und 2011 heuer nicht täglich. Aber jetzt wieder etwas regelmäßiger.
Heute mit ein paar Einordnungs- und Definitionsversuchen aktueller journalistischer Praxis.
1
Dass das Gerede von der Produktion von "Qualitätsjournalismus", das nirgendwo so hartnäckig und snobistisch-distinktiv daherkommt wie in österreichischen Journalistenkreisen, ein potemkinsches Dorf, eine bizarre Scheinrealität geschaffen hat, in der viele Medienschaffende eine Art Second Life führen, ist in diesem Journal bereits seit Jahren ein (manche bereits langweilendes) Ceterum Censeo.
2
Nun hat der Schweizer Publizist Constantin Seibt in einem Interview mit der taz so stark an der Dekonstruktion dieses Begriffes (und vor allem seiner übertriebenen Verwendung) gearbeitet, dass selbst seriöse Verteidiger eines qualitativen Journalismus den Popanz 'Qualitätsjournalismus' nur noch wankend verteidigen können.
Seibts zentraler Satz: "Der Begriff 'Qualitätsjournalismus' ... ist ein Krisensymptom. Etwas wirklich Einleuchtendes braucht das Präfix 'Qualität' nicht. Es gibt keinen Qualitäts-Sex oder Qualitäts-Rolls-Royce. Der einzige Ort, wo man sonst von Qualität spricht, sind Billigläden" wird etwa in Armin Thurnhers aktuellem Falter-Leitartikel zwar als zu pointiert bemängelt, aber inhaltlich kaum entgegnet. Wie auch.
Qualitätsjournalismus ist hierzulande nämlich mittlerweile alles; weil es reicht zu behaupten selbigen zu produzieren.
3
Ein Beispiel: Letztens bei einem Vortrag einer renommierten US-Journalistin und Autorin über die Kunst des storytelling, fragt ein Jungjournalist tatsächlich nach wie er denn gutes Geschichtenerzählen betreiben könnte, bei drei Geschichten, die er täglich in sein Blatt setzen müsse.
Gar nicht, sagt Lauren Kessler. Und zwar weil's so eben nicht geht.
Abgesehen davon, dass die drei Zweispalter, die mittels Agenturen, Pressekonferenzen oder schneller Telefonrecherche abgegriffen werden, in Österreich zwar "G'schichten" genannt werden, aber eben gar keine "stories" sind, sondern simpler Gebrauchs-Journalismus, Fließbandarbeit, Churnalism.
To churn out heißt etwas am laufenden Band, maschinell zu (re-)produzieren, Durchschnittsware abzuliefern.
Auf dieser schönen Seite lassen sich scheinbar originale Texte auf einen fremden Ursprungs-Text überprüfen. Aktuell ist sowas leider nur für das UK möglich.
4
Churnalism ist ein prächtiger Begriff, rein akustisch. Im britischen Raum, wo die journalistische Nabelschau eine tendeziell selbstkritischere ist, gibt es seit Nick Davies Flat Earth News-These keinen Zweifel an der Grenzziehung zwischen der churnalistischen Bereitstellung von vorgefertigten Info-Happen und einem Journalismus der Verknüpfung, Analyse und Erklärung. Es ist wie der Unterschied zwischen Selbstgekochtem und der aufgetauten Pferde-Lasagne aus dem Supermarkt-Kühlfach.
Österreichs Medien geben sich allesamt als Haubenköche: alle sind sie Qualitätsmedien; die einen ex cathedra, da reicht eine Berufung auf Karl Kraus oder der Hinweis auf Kirche oder Großbürgertum; die anderen glauben automatisch Qualität zu haben, weil sie ja viele Menschen erreichen.
5
Dass vor allem die Tagespresse (aber mittlerweile auch viele audiovisuelle Medien) im überwiegenden Maße Copy-Paste-Journalismus betreiben (egal ob man - korrekterweise - Agentur-Meldungen übernimmt oder - unkorrekterweise - PR-Waschzettel abmalt) und dabei die Nick Davies-Marge (80%) locker erreichen, ist nur ein Teil der Misere.
Die restlichen 20% bestehen hauptsächlich aus dem, was ich Gefälligkeitsjournalismus nennen will. In fast allen Ressorts fast aller Medien ist es tradierter Standard, nicht für die Rezipienten, sondern im Interesse der jeweiligen Branche für die wichtigen Player dieser jeweiligen Branche zu publizieren. Österreichische Sport- und Kulturberichterstattung, aber auch die Innenpolitik und vor allem die Wirtschaftspublizistik existiert fast nur in (machtpolitisch motivierten) Hausmitteilungen innerhalb der Szenen. Man liest und versteht einander zwischen den Zeilen, schiebt Unterstützung ideller und monetärer Art wie übers Monopoly-Feld.
6
Denn der ehrgeizige österreichische Journalist versteht sich als Akteur, als Ränkespieler, als Mitgestalter und ist somit strukturell korrupt; und das ist das genau Gegenteil dessen was ein Journalist per definitionem ist und laut seiner eigenen ethischen Ansprüche sein muss.
Ethische Ansprüche werden ausschließlich in einem weiteren Scheingefecht verhandelt: im Geplapper über die immerwährende Objektivität des Journalismus - die in etwa so unsinnig ist/geführt wird wie die Debatte um die immerwährende Neutralität Österreichs lange geführt wurde.
Beides gibt es nicht, beides ist ein reines Konstrukt. Eines, das in der Nachkriegszeit nötig war, um neue ethische Parameter einzuziehen, seither aber nie wieder einer Anpassung an die Realität unterzogen wurde. Nicht im Subjektivismus der 68er-Revolte, nicht im Individualismus der digitalen Revolution.
7
Diese Nicht-Justierung geschah aus durchaus gutem Grund: hinter dem Begriff der Objektivität lässt es sich gut einbunkern.
Der öde, scheinausgewogene, teilweise sogar in den Schwachsinn der der False Balance kippende, auf unhinterfragte Fakten und nichtssagende Statements reduzierte Scheinjournalismus tut nicht weh und klärt nicht auf - weil er nur die ganz offensichtlichen Fragen stellt, sich aber nie in die Substanz reintraut. Schlimmstes Beispiel, seit Jahren: der Wirtschaftsjournalismus, der sich nicht der Öffentlichkeit verpflichtet, sondern ausschließlich als Dienstleister der Märkte sieht und deshalb zum Handlanger der Finanzwirtschaft verkommen ist.
8
Es ist auch durchaus schwierig die vierte (oft machtlose) Macht zu sein und dauernd zu hinterfragen, kritisch zu denken, sich nicht hinters Licht führen lassen, nicht in Bequemlichkeit zu versinken.
Und in sehr vielen Bereichen wird mit kaputten Kniescheiben gedroht, auch die angesehenen Bürger, die Reichen und Mächtigen sind gern genausowenig zimperlich wie ein Bushido, wenn ihre Interessen bedroht werden.
9
Andererseits: no one said it was gonna be easy!.
Wer publizistisch tätig sein will, der muss mit Widerständen zurecht kommen, der muss neben der ökonomischen Unwägbarkeit dieses Gewerbes auch das Stigma der ewigen Opposition in Kauf nehmen.
Journalismus ist kein Ritt im comfy chair.
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Aus dieser strukturellen (aus den Zeiten Metternichs übernommenen) Feigheit fertigen die meisten Medien obszönerweise auch noch eine Tugend.
Das Copypasten und der redundante Häppchen-Journalismus gelten als Schrein der anzustrebenden Objektivität; die Mutlosigkeit wird zur wichtigsten Eigenschaft im Journalismus erhoben und vor allem den nachrückenden Newbies eingeimpft. Jungjournalisten gehen zunehmend davon aus, dass es genügt News-Junkie zu sein, kleine Stücke zu sammeln und auszustellen - damit stellen sie sich aber auf die Stufe des unmündigesten Rezipienten, vom aufgeklärten Bürger, vom kritischen Citoyen ist man meilenweit entfernt. Die älteren Kollegen, die es - zumindest teilweise - besser wissen, begnügen sich mit dem Aussitzen und den Hinweisen auf frühere Goldene Zeiten (die es, nebenbei bemerkt, nie gab: es war nur mehr Spaß und Profit drin im Gefälligkeitsjournalismus).
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All das macht die österreichische Praxis aus: blindes Copypasten, Gefälligkeiten für die Mächtigen, Reduktion auf Häppchen. Und all das wird flächendeckend als Qualitätsjournalismus verkauft.
Dabei ist es nicht einmal Journalismus; nur Scheinjournalismus. Scheinalismus, um eine klangvolle Entsprechung für den Begriff des Churnalism zu finden. Und es ist ein Schein, der nicht einmal schön ist.
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Gibt es da einen Weg raus?
Constantin Seibt sieht das so: " Man muss den trockenen, pseudoobjektiven Imponierstil killen. Oder Erneuerungen nicht in der Chefetage planen, sondern in Konferenzen mit Redaktion und Leserschaft. Oder ganze Kontinente besiedeln, die die Presse bisher ignoriert hat: das Finstere und Existenzielle, das Reich der Schönheit, die jüngere Vergangenheit. Oder man muss das verwaiste Reich der Intellektuellen übernehmen. Wichtig ist vor allem eine gewisse Unverschämtheit der Pläne. Ohne Unverschämtheit kein Wagnis. Ohne Wagnis keine Identifikation. Und ohne die kein Geld."
Okay, Deutschland und auch die Schweiz sind wagemutiger als Österreich. Trotzdem ist alles, was Seibt da in poetischer Schönschrift sagt, besser als die in eine hoffnungslose Zukunft gerinnende elende Gegenwart.