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Nina Hochrainer

Sweet Indie Music, Kleinode globaler Alltagskultur, nachhaltiges Existieren. And New York.

6. 5. 2013 - 05:11

Wo sogar die Haie freundlich sind

Die brasilianische Inselgruppe Fernando de Noronha ist Weltnaturerbe und setzt auf nachhaltigen Tourismus.

Der Ökotourismus Schwerpunkt am 6. Mai 2013 auf FM4

350 Kilometer östlich des brasilianischen Festlands liegt die kleine Inselgruppe Fernando de Noronha – gepriesen als Öko-Wunderland, Shangri-La der Strandliebhaber, Surfmekka und als Tauch- und Schnorchelparadies, in dem sogar die Haie freundlich sind. Die schönsten Strände Brasiliens sollen hier zu finden sein, in den umliegenden Gewässern wimmelt es von Meeresleben, in der Luft von unzähligen Vogelarten. Eine Stunde dauert der Flug von Recife auf den Archipel im Südatlantik, das aus einer nur 17 km2 großen Hauptinsel und 20 kleineren unbewohnten Inseln und Riffen besteht. So abgeschieden ist Fernando de Noronha, dass es in der Vergangenheit lange als Strafkolonie genutzt wurde.

Ein großer Widerspruch des nachhaltigen Urlaubens in der Ferne ist die schlechte Klimabilanz des Transportmittels Flugzeug. Will man die Welt erkunden und lässt sich ein Flug dabei nicht vermeiden, so gilt als Faustregel: Lieber weniger oft, dafür länger. Und mit freiwilligen Klimaabgaben kann der ökologische Fußabdruck einer Flugreise kompensiert werden. Mit der Abgabe werden Klimaschutzprojekte finanziert, um die entstandenen Emissionen an anderer Stelle wieder einzusparen.
Kompensationsanbieter für Flugreisen: atmosfair.de

Bllick aus Flieger

Nina Hochrainer

Nun, es gibt wahrlich schlimmere Verbannungsorte: Üppige tropische Vegetation, pittoreske Buchten, und türkises bis azurblaues Wasser bietet der Blick aus dem Fenster beim Landeanflug. 2001 wurde Fernando de Noronha von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt – zum Schutz der Flora und Fauna an Land und unter Wasser herrschen strenge Umweltgesetze. Trotzdem hat die Insel ihre Pforten für Besucher geöffnet und versucht sich an einem "schonenden", ökologischen Tourismus in Einklang mit der Natur – "Ecotourism without environmental impact". Das beginnt mit der Regulierung der Besucherzahlen: Nicht mehr als 500 Touristen dürfen sich gleichzeitig auf der Insel aufhalten, dazu kommen zirka 3.000 permanente Einwohner.

Landepiste

Nina Hochrainer

Die Landepiste mitten auf der Insel und dahinter der imposante Fels Morro do Pico

Learn about the environment, observing calmly

Quasi als "Eintrittsgeld" für die Insel wird gleich nach Ankunft am Flughafen eine Umweltsteuer (Environmental Conservation Tax) von allen Besuchern eingehoben. Umgerechnet 16 Euro pro Aufenthaltstag sind zu berappen – die Einnahmen gehen in die öffentliche Versorgung der Insel. Mit dem Rechnungsbeleg wird mir auch ein Infoblatt mit Richtlinien für umweltfreundliches und respektvolles Verhalten in die Hand gedrückt: "Do not waste water or energy. Always walk on the tracks to avoid erosion. Avoid producing garbage – reduce, reuse and recycle. Walk or dive silently to not disturb or frighten the animals. Learn about the environment, observing calmly", lauten einige dieser Guidelines.

Ecotourism

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Dass all die Lobgesänge auf die Schönheit der Insel nicht übertrieben sind, offenbart sich spätestens beim ersten Sonnenuntergang an einem der einsamen Strände. Diese sind übrigens vorbildlich sauber: Recycling wird auf Fernando de Noronha tatsächlich groß geschrieben – an jeder Ecke finden sich Behälter zur Mülltrennung.
Mehrere eindrucksvolle Wanderausflüge und Tauchexkursionen später begebe ich mich dann auf die Suche nach einem englischsprachigen Inselbewohner, um mehr zu erfahren – über den Alltag auf Fernando de Noronha, das nachhaltige Tourismuskonzept der Insel und die Herausforderungen, menschliche Bewirtschaftung in bestmöglichem Einklang mit der Natur zu betreiben.

Nina Hochrainer

All we need is love ...

Nina Hochrainer

... and recycling

Nina Hochrainer

Meine Gesprächspartner: Eduardo Macedo (ICMBio), Roderick Jordao (Econoronha)

Ich treffe auf Roderick Jordao. Er ist Projektleiter bei Econoronha - einer Institution, die gemeinsam mit dem staatlichen Chico Mendes Institut für Biodiversität für die Verwaltung des 1988 deklarierten Meeresnationalparks zuständig ist. Dieser erstreckt sich über zwei Drittel des Archipels, der restliche Teil ist Naturschutzgebiet. Nur letzteres darf übrigens bewohnt werden. "Wir leben auf einem kleinen Gebiet mitten im Meer, wenn hier fünfzehn Leute an einem Strand sind, ist er quasi schon überfüllt. Man muss nicht mal ins Wasser gehen, um Haie, Meeresschildkröten, Rochen zu sehen – das muss natürlich beschützt werden", erklärt Roderick mit Nachdruck. Die Gewässer rund um den Archipel beherbergen nicht nur zahlreiche Fisch- und Korallenarten, sie sind auch Refugium für die weltweit vom Aussterben bedrohten Meeresschildkröten und Rückzugsort einer großen Kolonie von Spinnerdelfinen.

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Charles Darwin besuchte Fernando de Noronha als einer der wohl ersten "Touristen" 1832 im Rahmen einer Expedition. Er war von der Insel weniger beeindruckt und verbrachte nur einen Tag dort, bevor er sich auf die Suche nach "größeren Wundern" anderswo machte.

Auf dem Plastiksteg zur Delfinbucht

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Um den Meeresnationalpark betreten zu dürfen, muss zuvor ein Ticket erworben werden. Die Eintrittsgelder werden für Instandhaltung und Ausbau der Infrastruktur des Parks verwendet – und das, so versichert Roderick, kommt den Besuchern zugute: "Unsere Aufgabe ist es, den Besuch auf der Insel besser und schöner zu machen. Wenn man sich auf dem Weg zu einem wunderschönen Strand erst durch unwegsames Gelände schlagen muss, ist die Erfahrung vielleicht nicht so toll. Im Park gibt es Toiletten, Rastplätze, Wanderstege und Aussichtsplattformen – alles unter ökologischen Gesichtspunkten erbaut." Für die Errichtung der teils kilometerlangen Wanderstege durch die Wildnis wurde recyceltes Plastik verwendet – über sie gelangt man komfortabel zu versteckten Buchten.

Plastiksteg

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Einige dieser Buchten sind zum Schutz des fragilen Ökosystems nur über Aussichtsplattformen zugänglich – wie etwa die so genannte Delfinbucht, wo man mit etwas Glück zeitig am Morgen Spinnerdelfine beobachten kann. Andere Strände dürfen nur zu bestimmten Zeiten betreten werden – vor allem um Meeresschildkröten beim Ablegen ihrer Eier nicht zu stören. Im Rahmen eines großen Forschungsprojekts werden diese Laichplätze dann mit Stäbchen markiert. Roderick erzählt mit leuchtenden Augen von seinem nächsten Vorhaben: "Heute abend sollen wieder Schildkröten an den Strand kommen um ihre Eier abzulegen. Ich werde dabei sein um zu sehen, wie das funktioniert. Aber natürlich ist die Natur unberechenbar, man weiß nie genau, ob und wann die Schildkröten kommen."

Schildkröten

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Pssst, hier warten kleine Meeresschildkröten aufs Schlüpfen

So aufregend die Beobachtung derartiger Naturphänomene auf Fernando de Noronha ist, so komplex und aufwändig kann sich der Inselalltag gestalten. Von den Bewohnern wird der Archipel angeblich scherzhaft als "Insel der Verbote" bezeichnet – da die Umweltschutzbehörde bestimmt, welche Pflanzen angebaut werden können und welche Baumaterialien verwendet werden dürfen. Eine andere Herausforderung ist die Wasserbeschaffung: Natürliche Quellen sind rar, deshalb wird Meerwasser in einer Desalinationsanlage aufbereitet. Wenn die Anlage, so wie während meines Aufenthalts, plötzlich kaputt wird, muss improvisiert werden. "So leben wir hier eben, das ist die Realität auf der Insel", meint Roderick Jordao dazu. Strom muss über Generatoren erzeugt werden, und um die Müllmenge klein zu halten, die Insel hat eine große Kompostieranlage: "Wir versuchen so viel wie möglich zu kompostieren, denn den Müll per Schiff aufs Festland zu bringen, das ist wahnsinnig teuer".

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Die Kompostieranlage der Insel

The price to pay

Logischerweise hat die Abgelegenheit Fernando de Noronhas auch für Touristen ihren Preis. Für Mahlzeiten und Nächtigungen in einer der familiär geführten, kleinen Unterkünfte muss man teilweise tief in die Tasche greifen. Edilene, die Besitzerin der Vier-Zimmer-Pension, in der ich einquartiert bin, erzählt mir: "Dinge wie Baumaterialen oder Lebensmittel müssen zum Großteil vom Festland verschifft oder eingeflogen werden – hier auf der Insel gibt es nicht genug Land, um ausreichend Obst und Gemüse anzubauen." Das ist nicht nur teuer, sondern auch wenig ökologisch. Und auch in anderen Bereichen ist Fernando de Noronha noch nicht so "grün", wie es gerne wäre: Windkraft- und Solaranlagen sind zwar im Einsatz, hauptsächlich erfolgt die Stromerzeugung aber mittels Generatoren.

Buggie

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Fahrräder werden fast überall verliehen, aber aufgrund der Straßenverhältnisse sind benzinbetriebene Buggies das Hauptfortbewegungsmittel auf der Insel – Widersprüche, die nur schwierig zu lösen sind, genauso wie die Tatsache, dass man als Besucher erst viele klimaschädliche Flugmeilen zurücklegen muss, um überhaupt auf die Insel zu gelangen.

Nützliche Links:

Und letztlich stellt auch der schonendste Tourismus immer eine Belastung für das betreffende Ökosystem dar. Bei meiner abschließenden Frage, ob denn die so nachdrücklich propagierten Umwelt-Guidelines von den Besuchern wenigstens befolgt würden, meint Roderick Jordao etwas resigniert: "Viele haben leider kein Umweltbewusstsein und sind offensichtlich nicht in der Lage, Plastik in den Plastikeimer und Papier in den Papiereimer zu werfen. Da muss noch einiges an Erziehungsarbeit geleistet werden, die hoffentlich in der Zukunft Früchte trägt."

Nach neun Tagen trete ich um einige Eindrücke und Denkanstöße reicher den Rückflug an. Ein letzter Blick aus dem Fenster, bevor sich dieses Weltnaturerbe zwischen dem Blau des Meeres und des Himmels auflöst. Ach ja, und die Haie, die sind dort übrigens wirklich sehr freundlich.