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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

27. 4. 2013 - 14:33

Neuigkeiten aus der Geisterdisco

Donaufestival, Tag 2: Tri Angle Labelnight, Laurel Halo, Andy Stott.

FM4 Festivalradio

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Labelmacherinnen und Labelmacher werden wohl, wenn man sie danach fragt, in den meisten Fällen darauf bestehen, dass in ihrem Stall stilistisch prinzipiell so einiges möglich ist. Zu recht. Man will ja nicht bloß eine Nische bedienen. Mal da schauen, mal dort probieren. Trotzdem bildet sich aus der Zusammenfügung der Puzzleteile, die frühe prägende Releases für ein Label oft darstellen können, nicht selten eine eigene Klangästhetik heraus.

Es hilft ja nichts: Das englische Label Tri Angle bleibt als Schaltzentrale des Witch House gebrandet. Das ist nicht schlimm. Man muss halt alles nur bloß nicht zu eng sehen. Dass das Label das Hipster-Symbol schlechthin, das schnell verunglimpfte Dreieck, im Namen und teils auch im Logo führt, ist eben ein bisschen unglücklich gelaufen. Da ist Tri Angle zu schnell zu cool gewesen.

Die Labelnacht von Tri Angle beim Donaufestival präsentiert in der kleinen Halle 3 vier Acts, die zeigen, wie viel Spielraum unter dem Deckmantel der Finsternis möglich ist, wie viel Variation noch geht, ohne dabei eine vage gemeinsame Identität zu verlieren. Den Abend unter der Flagge Tri Angle eröffnet der aktuell hochgelobte Multiinstrumentalist und Produzent Bobby Krlic. Mit seinem Projekt The Haxan Cloak hat der Londoner gerade mit seinem zweiten Album – seinem ersten für Tri Angle – namens "Excavation" ein Album des Jahres veröffentlicht. Auf dem Cover ist auf schwarzem Hintergrund ein Galgenstrick zu sehen.

Während das Debütalbum von The Haxan Cloak vor allem auf den Einsatz von- wenn auch danach stark elektronisch bearbeitet - akustischen Instrumenten, allesamt von Krlic selbst eingespielt, gesetzt hat, ist "Excavation" jetzt eine in erster Linie elektronische Platte, angerichtet an Rechner und Drum-Machines. Mit dieser kargen, erschütternden Platte dürfte The Haxan Cloak ein kleiner Star einer seit zwei, drei Jahren gut florierenden Szene zwischen Drone Music, dunklem Ambient, spartanischem Industrial und extrem abgebremstem Dub-Techno werden.

Live erprobt der gute Mann die Geduld des Publikums: Nur ganz langsam verschiebt er minutiös soundgewordene Geröllschichten, es brummt, dröhnt und raucht. Beats scheinen nur ganz schwerfällig den Geräten zu entfahren. Gerade in Zeiten, in denen man von DJs nicht selten von im Sekunden-Takt sich drehenden und wendenden Reizen und grellen Sinnesherausforderungen befeuert wird, hat die Musik von The Haxan Cloak eine besonders gut den Körper reinigende Kraft. Visuals, die für gewöhnlich Konzerte von The Haxan Cloak begleiten, und eine größere Lautstärke hätten der Angelegenheit jedoch nicht geschadet.

Auf The Haxan Cloak folgt der kalifornische Produzent mit dem witch-house-prototypischen Namen oOoOO: Der Mann hat vor etwa drei Jahren – vielleicht gemeinsam mit den Acts Balam Acab und Holy Other, die beide beim Donaufestival nicht am Start sind – vorgemacht, wofür Tri Angle, anfangs immerhin, stand: zähflüssige Beats, meist aus HipHop und R'n'B geborgt, eine grundsätzliche Düster-Atmosphäre und gedehnte, in alle Richtungen manipulierte Stimmsamples.

Im Kosmos Tri Angle stellt oOoOO den Act dar, der wohl am meisten "Pop" ist – wenn auch in Zeitlupe. oOoOO bildet so quasi als Veteran dieser Musik, die vorgestern der hot shit war und heute etabliert ist, die Startrampe für die Jungspunde im Label-Roster. Fresh klingt oOoOO nach wie vor, auch besteht gut die Hälfte seines Sets aus noch unveröffentlichtem Material – dennoch dürfen danach zwei Neuzugänge im Hause Tri Angle folgen.

WIFE.

Christian Wind

oOoOO / Alle Fotos: Christian Wind

Den jungen irischen Musiker James Kelley, der unter dem Namen WIFE. seinem finsteren Werk nachgeht, wird man sich merken müssen: Der sonst bei der Black-Metal-Band Altar of Plagues – Altar of Plagues, das sagt schon einiges – in Lohn und Brot stehende Mann entwickelt einen delikat gearbeiteten Poststep-Entwurf, zusammengebaut aus klein geschnipselten Sounds aus echten akustischen, ebenso von ihm selbst eingespielten Instrumenten. In die filigran gesetzte Collage loopt er seinen eigenen – auch in der Live-Performance echt dargebotenen – von viel Hall und Verfremdungseffekten entmenschlichten Gesang.

Auf der einen EP, die WIFE. bislang veröffentlicht hat, funktioniert das ganz wunderbar, beim Auftritt auf der Bühne gelingt ihm nicht immer ganz, die Spannung zu halten, und er scheint – sollte man mit seinen schönen Liedern nicht schon vertraut sein – etwas lieblos vor sich hin zu plätschern und zu murmeln. Dennoch ein vielversprechendes Kerlchen, noch dieses Jahr soll sein Debütalbum erscheinen.

Den Abschluss der Labelnacht von Tri Angle macht der Act, der im Label-Programm der Partytauglichste ist: Evian Christ, ein Engländer in seinen frühen Zwanzigern, der bislang ein herrliches Gratis-Mixtape und - gerade erst - eine EP veröffentlich hat. In seinen Produktionen kommen die Einflüsse von Trap Music und der Einsatz von HipHop- und R'n'B-Sprachsamples - durchaus mit so einigem an genretypischer Profanität - deutlich zum Tragen. Als Fundament fungieren dann eben meist milchige Ambientschwaden und Soundscapes wie direkt aus dem Horrorfilm gezogen.

Tri Angle ist ein Label mit fast ausnahmslos ganz wunderbaren Releases, bei all dem "modern" angelegten Sound, immer wieder auch von fröhlichem Dilettantismus geprägt, und einer starken Marke, innerhalb derer aber nach wie vor Raum ist für Feldforschung und Weiterkommen. Dass die Live-Performances teils noch von jugendlichen Unsicherheiten und einigen kleinen Kinderkrankheiten durchsetzt sind, macht das Label nur sympathischer.

Laurel Halo

Christian Wind

Laurel Halo

Sehr Großartiges geschieht zeitgleich zur Labelnacht von Tri Angle in der Halle 2: Eine Live-Performance von Laurel Halo. Die amerikanische Musikerin und Produzentin hat vergangenes Jahr mit ihrem Debütalbum "Quarantine" auf Hyperdub ein - wenn nicht gar DAS - Album des Jahres veröffentlicht. Schwierige Kunstlieder, zusammengesetzt aus spröder Elektronik und der nach Qualitätskriterien von Casting-Show-Geknödel sicherlich nicht "schönen" oder virtuos tönenden Stimme Halos. Verwirrend, fremd, fantastisch. Mit ihrer Live-Performance ist Laurel Halo aber schon wieder ganz woanders angekommen - eventuell auch nicht das Schlechteste, wenn man bedenkt, dass "Quarantine" dann doch eher Musik ist zum Hören im einsamen Kämmerlein und nicht so sehr zum Tanzen geeignet.

Laurel Halo

Christian Wind

Stattdessen zieht Halo lieber eine nie gehörte Science-Ficiton-Musik aus ihren Geräten, die sich eher an ihren frühen EPs "King Felix" und "Hour Logic" orientiert: Unter Wasser aufgenommener Techno, blubbernde Soundscapes, Ideen von Dubstep, in den Häcksler geschmissene Elektronika, Warp-hafte torkelnde und tänzelnde Beats, Acid. Ein Wahnsinn aus Härte, Elan, Geschmeidigkeit, Melodie, Rhythmus, Schönheit. Musik aus Glassplittern und Rosenduft.

Andy Stott

Christian Wind

Andy Stott

Die Nacht beendet, etwas bodennäher, aber dennoch ganz famos, der englische Produzent Andy Stott. Auch er ist ein Mann, ähnlich The Haxan Cloak, der für gewöhnlich im Dunklen forscht, sich für Industrial interessiert und seine Lebensinspiration in heruntergekommenen Fabrikshallen zu finden scheint. Sein Fokus liegt hier meist auf Dub Techno im Andenken an die Berliner Großmeister Basic Channel. 2012 hat sich Stott mit seinem Album "Luxury Problems" - ebenfalls eine Platte des Jahres - ein wenig dem Pop zugewandt.

Andy Stott

Christian Wind

Das ist zwar bei seinem Auftritt in Krems alles noch sehr gut herauszuhören, tatsächlich ist sein Set aber eine ziemliche Überraschung: Extrem tanzbar und vor allem nicht geringfügig von Drum'n'Bass, wenn auch in hyperentschleunigter Darreichungsform, infiziert. Auch für Menschen geeignet, die sonst mit Drum'n'Bass nix am Hut haben.