Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Mehr Industriehalle als Waldwiese"

Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

29. 4. 2013 - 05:00

Mehr Industriehalle als Waldwiese

Monochrom, urban, elektronisch und herzzerreißend schön. Das neuen Album "Cache" der Österreicher Francis International Airport, unserem Artist Of the Week, im exklusiven Vorab-Stream.

Ein trockener und treibender Rhythmus, der in einem großen stillgelegten Maschinenwerk zu verhallen scheint, sanfte Keyboardklänge und zarter Gesang, der aus dem eigenen Hinterkopf zu kommen scheint. Schwermut und Melancholie setzen sich drückend auf die Brust, wenn der Refrain mit all seinen analogen Synthesizer-Melodien einsetzt und sich die Stimme kunstvoll in die Höhe schraubt.

Sofort wird klar, Francis International Airport liefern einen weiteren musikalischen Geniestreich ab, der die gewaltige Transformation der letzten drei Jahre transparent und miterlebbar macht. Das neue Album ist überraschend, einnehmend und macht deutlich, dass das österreichische Quintett etwas geschafft hat, was viele Künstler in ihrer ganzen Schaffensphase verzweifelt versuchen und woran sie oft scheitern: sich neu zu erfinden, ohne die eigene Identität und Vorlieben aufzugeben, sondern alles bisher Erfahrene zu einem spannenden, frischen Neubeginn zu integrieren.

Portraitfoto Francis International Airport

Gebhart de Koekkoek

Eine Woche lang gibt es hier einen exklusiven Album-Stream von Francis International Airports Album "Cache" zu hören:

Zurück in die Stadt

I saw you walking down these roads
In a city full of ghosts
I'm collecting all my thoughts to find the words
And while the buildings burst and fall apart

(Francis International Airport - "Berenice")

Wo die jungen Musiker vor drei Jahren mit "In The Woods" noch die ländliche Idylle gesucht haben und sich von der Mystik des Waldlebens anstecken ließen, kehren sie jetzt mit "Cache" in die industrielle Kälte unserer gegenwärtigen Gesellschaft, in die verfallenen, unheimlichen Stadtviertel zurück, in die nicht nur zunehmend wirtschaftlich verarmten Gegenden unserer Metropolen, sondern auch in die emotional brachliegenden Winkel unserer Seelen.

Textlich bleibt Songschreiber Markus Zahradnicek sehr abstrakt, lässt uns den nötigen Interpretationsraum, der durch die neue, musikalische Sprache angeregt wird. Die Bilder, die dabei zwangsläufig durch den Kopf gehen, können von "russischer Science Fiction der siebziger Jahre", wie David Zahradnicek es benennt, und Schwarz-Weiß-Stummfilmstreifen über die industrielle Revolution bis zur nebeligen Disco-Tanzfläche der 1980er reichen.

Gerade die sehr vagen Formulierungen von Sänger Markus Auch machen diese assoziative Bandbreite möglich. Denn obwohl zum Beispiel bei der Single "The Right Ones" scheinbar von einer bestimmten, eingeschworenen Gruppe gesprochen wird, bleibt unklar, wer hier eigentlich gemeint ist.

Markus: "Das Wesentliche bei so einem Songs ist, dass man nicht erfährt, wer die right ones sind. Für mich ist das ein Stilmittel, wie man es aus alten Filmen kennt. Oft sind die Sachen am spannendsten und bedrohlichsten, die eben nicht hergezeigt werden."

Und manchmal repräsentiert solch ein vages Gefühl oder unscharfes Bild auch die musikalische Idee eines Songs, wie das bei "HMCS Windflower" der Fall ist.

Markus: "Das war so ein Fall, dass ich in meiner unmittelbaren Umgebung nach einem Songtitel suche, während ich verwirrter Weise vor meinem Computer sitze, um noch schnell eine bestimmte Linie einzuspielen. Die HMCS war ein Schiff von der britischen Marine, das irgendwann im Jahre Schnee bei einem schlimmen Sturm im Nebel untergegangen ist. Und diese Nummer bewegt sich auch wie eine Meeresströmung und macht einen ständigen Wellengang hörbar."

Die Kinder der Achtziger

Die neue musikalische Sprache von Francis International Airport setzt sich zusammen aus analogen Synthesizern, elektronisch anmutenden Drums, synthetischen Handclaps und der Fülle an elektronisch erzeugten Melodien und Klangflächen. Gitarren werden sehr reduziert im Hintergrund eingesetzt und doch geben sie den streckenweise recht unterkühlt wirkenden Songs eine gewisse Wärme.

Genau das war auch das Ziel, das sich Francis International Airport für ihr neues Werk gesetzt hatten, es sollte monochrom, urban, elektronisch klingen, eben mehr nach Industriehalle als Waldwiese.

Portraitfoto Francis International Airport

Gebhart de Koekkoek

Francis International Airport live in ÖSterreich:

  • 14. Mai - WUK, Wien
  • 16. Mai - PPC, Graz
  • 17. Mai - Posthof, Linz
  • 1. Juni - Tomorrow Festival, Zwentendorf
  • 20. Juli - Rock im Dorf, Inzersdorf (OÖ)
  • 17. August - Wiesenrock Festival, Wattens

Markus: "Gerade analoge Synthesizer haben perfekt für unsere Vorstellungen gepasst. Einerseits wollten wir weg von den Gitarren, die Musik schnell sehr dicht machen, unglaublich präsent sind und die Songs sofort in eine bestimmte Ecke stellen. Andererseits sind wir nicht interessiert an glatter, digitaler Elektronik. Sondern es sollte räudig klingen, der Sound sollte auch schief und manchmal leicht dissonant klingen, wie es bei analogen Synthies eben der Fall ist."

Bei einem Song wie "Pitch Paired" zeigen Francis International Airport eindrucksvoll, wie sie diese Soundvorstellung mit ihrem goldenen Händchen für Popmelodien verbinden. Deshalb steckt auch ein Fünkchen Wahrheit in der von den Brüdern Markus und David Zahradnicek im Interview scherzhaft angedeuteten Definition, das Album wäre eine "Reise von Phil Collins bis Kraftwerk". Schließlich sind auch die fünf Österreicher laut Selbstdefinition "Kinder der Achtziger".

Die Könige des Kraut-Pop

Albumcover Francis International Airport "Cache"

Patrick Anthofer/Francis International Airport

Das neue Francis International Airport Airport Album "Cache" erscheint am 3. Mai auf Siluh Records.

"Cache" ist ein überwältigendes Album, voller ausgetüftelter, analoger Klangdetails. Das Quintett versteht es meisterlich, mit viel Geschick und Gefühl die neu entdeckte Vorliebe für Krautrock-Elemente in zeitgenössisches Popformat zu übertragen. Denn selbst bei aller Schwarz-Weiß-Ästhetik und der Gänsehaut hervorrufenden Kälte der elektronischen Klangerzeugung wird bei Francis International Airport die Emotion noch immer groß geschrieben. Alleine die balladenartige, epische Synthie-Hymne "Sulfur Sun", bei der Georg Tran sein stimmliches Talent zeigt, rührt mit zarten Klangteppichen und einem unter die Haut gehenden, mehrstimmigen Refrain zu Tränen.

We'll be tense
Let's go down to the sea with a settlement
Any other rule, too many said
How do we know, the matters don't come easy in the sulfur sun

(Francis International Airport - "Sulfur Sun")

Es sind Freudentränen, die Francis International Airport auslösen. Auch mit dem Nachfolgewerk "Cache" machen die fünf Musiker alles richtig und liefern weit über unsere Grenzen hinaus einen relevanten Beitrag zu frischer, innovativer und zeitloser Popmusik.