Erstellt am: 29. 4. 2013 - 09:21 Uhr
The Angst and the Money
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In dem Wahn, alles möglichst verständlich zu beschlagworten, was ansonsten vielleicht nicht sofort klar einordenbar wäre, greift die Filmkritik bei Thriller-Besprechungen gerne zum "Hitchcock"-Label. Was vielleicht mal ein Adelsprädikat war, ist inzwischen häufig sinnentleert. Ein Mann wird zu Unrecht eines Verbrechens bezichtigt? Hitchcock! Eine kühle, unnahbare Blondine tritt auf? Hitchcock! Doppelgänger Motiv? Hitchcock! Zwar zeigt das, wie wichtig und nachhaltig einflussnehmend ein Regisseur für ein ganzes Genre ist, doch das ewige Heranziehen des Master of Suspense ist in den meisten Fällen eine bequeme, allseits verstandene Referenz, die jedoch auf Sand gebaut ist. Auch im Fall von Steven Soderberghs "Side Effects" verfiel die Kritik in einen Hitchcock-Schluckauf.
Tatsächlich gibt es zu Beginn eine Fahrt ins Innere eines Wohnhauses in einer Stadt wie in "Psycho", das Motiv der Schlafwandlerin wie in "Vertigo" und falsche Verdächtigungen, die sich so häufig in Hitchcocks Werk finden. Nur drei Motivfetzen sind nicht gleich eine Hommage. Soderbergh verbeugt sich weniger vor Hitchcock, als er sich der Konvention beugt. In der Wohnung, in die uns die Kamera mit schlafwandelnder Geschwindigkeit zu Beginn führt, finden wir Blutflecken am Boden vor, dann springt "Side Effects" drei Monate zurück. Wo fing es an, was ist passiert, wer hat das Blut hier so verschmiert?
constantin
Rooney Mara sucht das Glück
Das Herzstück des Thrillers ist Rooney Mara. Eingehüllt in immer leicht zu große Kleider und Mäntel, die sie noch fragiler und der Welt entrückter erscheinen lassen, spielt sie Emily. Ihr Mann (Channing Tatum) wird nach vier Jahren Haft wegen Insiderhandels aus dem Gefängnis entlassen, doch das Glück, das die beiden vor seiner Verhaftung lebten, Glück, das sich vor allem in Gartenparties, schicken Autos, Jackie-Kennedy-Bouclet-Jacken und Sektflöten manifestierte, lässt sich nicht reproduzieren. Emily leidet an Depressionen, rast mit dem Auto gegen die Wand der Tiefgarage. Im Krankenhaus begibt sie sich in die Obhut von Dr. Jonathan Banks; in den weißen Kittel ist Jude Law geschlüpft, ein Mann mit einem Haaransatz so zurückweichend wie kurvenhaft.
constantin
Prozac Nation
Sein Rezeptblock ist ein Zauberstab, der seinen Patienten die Angst, die Unsicherheit, die Lähmung nehmen soll. Nicht der Papa, die Psychopharmaka werden's schon richten. Circa 11 Prozent aller Amerikaner über 12 haben zwischen 2005 und 2008 Antidepressiva genommen. "Mother's little helper" sind schon längst für alle Familienmitglieder da und die Frage, ob die USA eine "Prozac Nation" sind, taucht nicht nur in der Popkultur immmer wieder auf. Am Dreck am Stecken der Pharma-Industrie hat sich Soderbergh bereits in "Erin Brockovich" und "Contagion" abgearbeitet und nicht nur durch diese beiden Beispiele sind die mächtigen Konzernriesen als profitgierig und gewissenlos etabliert.
Die bestechende Wirkung der ersten Hälfte von "Side Effects" besteht aber vor allem in der Unaufgeregtheit, in der von großen Deals zwischen Ärzten und Pharmakonzern-Chefs beim Mittagessen erzählt wird, von großen Prämien, von neuen Pillen, die das Glück versprechen, von der Selbstverständlichkeit, mit der Pillen geschluckt werden. Geld und Tabletten sind die Kräfte, die die Figuren antreiben und die ihre Handlungen definieren.
Ablixa, ein neues Medikament am Markt, scheint bei Emily anzuschlagen. Endlich wieder Lust auf Sex, endlich wieder lachen, endlich wieder Take-Away-Kaffee mit dem Ehemann trinken. Die Tabletten helfen offensichtlich auch, den Anblick des lächerlich winzigen Hutes auszuhalten, den Channing Tatum in der kurzen Montage, die das temporäre Glück darstellt, trägt. Für Dr. Banks bringt Ablixa Bargeld, für Emily eine unangenehme Nebenwirkung: Sie schlafwandelt.
Constantin Film
Schlafwandel
Und noch bevor wir die junge Frau des Nachts durch die Wohnung schlurfen sehen, den Tisch deckend und Frühstück zubereitend, ist die Schlafwandelei in "Side Effects" spür- und sichtbar. Gelbstichig und gedämpft ist das Licht, selbst das der Krankenhaus-Neonröhren. Eine Sinfonie in Beige- und Cremetönen, die das Tageslicht meidet und Patienten wie Psychiatern Augenringe pinselt. Etwas Grelles oder gar Sonnenschein sucht man hier vergebens, und wenn die Sonne doch durchs Fenster fällt, dann vergräbt sich Emily unter einer dicken Tuchent.
Durch die gedämpfte Stimmung in einem Film, der zu schlummern scheint, vergisst man beinah auf die Eingangssequenz mit dem blutigen Tatort. Bis dann eben das Verbrechen passiert und aus den schwebenden Beobachtungen über Glückssuche, chemische Haushalte, die aus der Balance sind und die Alltäglichkeit von Psychopharmaka ein Thriller wird und der weniger überzeugende Teil von "Side Effects" beginnt. Mehr soll zum Inhalt gar nicht mehr verraten werden, aber Soderbergh versucht gegen Ende sowas wie einen dreifachen Shyamalan und man kennt das ja aus der Geisterbahn. Beim dritten Skelett, das einem entgegenrattert, schreit man nicht mehr, sondern gähnt. Oder wundert sich, warum eine Fast-Liebesszene zwischen zwei Frauen bei Soderbergh aussieht wie in "Reich und schön".
constantin
Einmal noch zu Hitchcock
"Side Effects" läuft bereits in den österreichischen Kinos.
Weitaus gelungener zeichnet "Side Effects" die hässliche Fratze des Egoismus und seine antreibende Kraft. Wenn Banks sich in die Aufklärung des Verbrechens verbeißt, dann geht es weniger um Gerechtigkeit als den Erhalt seines Status (und seiner Statussymbole). Bevor uns Steven Soderbergh als Regisseur verlässt, um sich der Malerei und anderen Projekten zu widmen, hinterlässt er uns einen zynischen Thriller um Pharmakonzerne, Geld und Moral. Und spielt fast grausam mit der Angewohnheit des Zusehers, Empathie gegenüber Hauptfiguren zu entwickeln; die Empathie wird sich während des Films verschieben. Womit wir wieder "Psycho" erwähnen können, ohne gleich den "Hitchcock"-Stempel großflächig auf Soderbergs Film anzuwenden.
Depression is the inabilty to construct a future wird mehrmals der Psychologe Rollo May zitiert. Paradoxerweise ist das beunruhigendste in "Side Effects" die unbarmherzige Zukunftsplanung der Figuren.