Erstellt am: 26. 4. 2013 - 12:50 Uhr
Botschaften und ihre Überbringer
Crossing Europe
Crossing Europe Filmfestival Linz,
23. bis 28. April 2013
Draußen scheint die Sonne, drinnen gibt es kaum Erbarmen: Europa verkommt und der Animal Body Count steigt mit jedem der bisher gesehenen Filme. Schlachtungsszenen sind grad beliebt im Gegenwartskino mit Ansprüchen. Ich hätte nichts gegen kleine Warnhinweise wie "Mit Lebendschlachtung".
Erst sterben die Tiere, dann die Menschen. So ist das in den fantastischen Dokumentarfilmen "Metamorphosen" des jungen deutschen Regisseurs Sebastian Mez und in "Materia Oscura / Dark Matter" vom italienischen Duo Massimo D'Anolfi und Martina Paterni. Wer sich traut, sollte sich mit diesen Filmen in Sperrgebiete begeben. Unpackbares wird darin in Bildern erzählt, die keinen Kommentar vertragen.
Danach will man Musik. Und ein Eis. Da wäre wohl auch Peaches dabei. Die kanadische Electro-Clash-Sängerin und -Musikerin ist in Linz mit ihrem ersten "Feature Film" vertreten. "First Feature Film", das klingt jedes Mal aufregend.
Peaches und ein Musical als "First Feature Film"?
Am Beginn von "Peaches Does Herself" referiert ein weißer Mann über Peaches, die "eine Vielzahl von Stereotypen verwendet und sie invertiert". Ihre "selbstbewusste weibliche Performance unterbricht somit auch die männlich-heteronormative Diskursmacht des Popmainstreams", lässt der Herr wissen und wird von Peaches unterbrochen: "Let’s play the song!". Es ist eine Bühnensituation und wird es für die Dauer des Films bleiben: Peaches realisierte 2010 ein Electro-Rock-Musical am HAU - Hebbel am Ufer Theater - in Berlin, zehn Jahre zuvor veröffentlichte das Berliner Label Kitty-yo ihr erstes Album "The Teaches of Peaches". Die Stücke davon dienen als Grundlage und Herz der Produktion "Peaches Does Herself", zu der es nun die Filmfassung unter dem gleichen Titel gibt. Dabei bleibt Peaches komplett im institutionalisierten Rahmen. Eine nochmalige Brechung von Klischees findet nicht statt. Für die Künstlerin war die Produktion eine große Sache.
Peaches spricht von einem "Jukebox"-Musical, Zusatz: "that got a sex change". Kurze Inhaltsangabe: "Angestiftet von einer 65-jährigen Stripperin findet Peaches zu ihrer sexuell expliziten Bühnenpersona, gerät zunehmend in Konflikt mit den Erwartungen ihrer Fans und verliebt sich in eine atemberaubende Transsexuelle", so beschreibt es das HAU und nennt die Geschichte "semi-autobiografisch".
Crossing Europe Filmfestival
Fakt ist: In "Peaches Does Herself" dominieren die Farben Rosa und Bühnendunkelheit, sprich Schwarz. Die Chose ist inszeniert wie ein Musical. Die Lyrics und ab und an ein nackter Mensch mit Brüsten und Penis setzen ein kleines Anti vor Musical. Dabei fügen sich Lieder wie "I feel cream" wunderbar in das Musicalformat, schließlich scheint es alles andere als Peaches' Absicht gewesen zu sein, dem populären Musiktheater eine ironische Absage zu erteilen.
Der Film fängt die Bühnenproduktion recht gut ein. Wie bei Live-Auftritten von Peaches mag man hinsehen, was passiert. Peaches, die schon zu Protokoll gab, dass sie von "Germany's Next Topmodel" viel stärker beeinflusst sei als von Feminismusdebatten und für das in einem Eigenverlag erscheinende Missy Magazine eine Soli-Party feierte, regt mit "Peaches Does Herself" bestenfalls interessierte Orthodoxe auf. Am Ende verlässt sie im Kostüm das Foyer des HAU, sich erst umschauend. Tritt vor das Haus und radelt frühmorgens "Fuck the pain away" singend den Fahrradweg lang. Harmlos und stressfrei kommt die Botschaft an. Hauptsache mit sich im Reinen sein. Mit Peaches und PeterLicht müsste man mal Kaffee trinken können. "Gesellschaft ist toll, wenn nur all die Leute nicht wären".
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Verbotene Leidenschaft: Filmemachen
Die große Liebe vierer Freunde in Brüssel ist das Filmemachen. Doch Farid, Reda, Mohamed und Noon haben andere Jobs. Ihre 33 (!) aufwändigen Low-Budget-Filme drehten sie in ihrer Freizeit und an Wochenenden. Mit einer Mischung aus Action à la Jean-Claude Van Damme und Klamauk wie Louis De Funès bringen sie Gesellschaftskritik unter, die sich eine Fanbasis erspielt hat. In kurzen Sequenzen bekommt man das als Zuschauer der Doku "Cinema Inch'Allah!" mit: Geradezu didaktisch transportieren die Profi-Hobbyfilmer über ihre Werke, dass es etwa nicht gerade cool ist, die eigene Tochter gegen ihre Zustimmung einem Mann zu versprechen oder die Frau zu schlagen. Das allein ist eine nette Geschichte, doch die unterhaltende Doku "Cinema Inch'Allah" wird noch interessant.
Einwanderer aus Marokko und ihre Kinder sind die größte Minderheit in Belgien. Dreißig Prozent der Bevölkerung in Brüssel sind muslimisch. "Cinema Inch'Allah" porträtiert vier marokkanisch-belgische Männer in ihren Dreißigern. In den vier Jahren der Arbeit an "Cinema Inch'Allah!" nimmt die Freundschaft der Low-Budget-Filmemacher eine ungeahnte Wendung: Farid wird religiös, um genau zu sein, Salafist.
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Ein Regisseur steigt aus
Gemacht haben die Doku Guillame Vandenberghe und Vincent Coen - zwei Freunde, wie sie beim Publikumsgespräch sagen. In Freundschaft zu Farid und seinen Freunden sei auch der Film ursprünglich entstanden. Vandenberghe machte Kamera bei "Disco Jamal", einem ihrer Filme, und Regisseur Yannick übernahm eine kleine Rolle. Die vier Low-Budget-Filmfreunde begleiteten sie auch abseits des "Disco Jamal"-Sets. Als Farid seinen Freunden erklärt, keinen weiteren Film drehen zu wollen, weil Gott Passionen nicht gut heiße, ja verbiete, sitzen ihm die drei anderen im Park sprachlos gegenüber. Sie alle sind Muslime. Und nun, nach zwanzig Jahren gemeinsamen Filmedrehens, will einer nicht mehr. Ausgerechnet Farid, der Regisseur von "Disco Jamal".
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Das größte Manko und zugleich der beste Schachzug von "Cinema Inch'Allah" ist, diese Wandlung von Farid, dem Bauarbeiter und Hobby-Regisseur nicht zusätzlich zu hinterfragen. Die Salafistenbewegung ist in Brüssel keine kleine, sondern sichtbar: Junge Männer kämen mit Kriegsverletzungen aus Syrien zurück, erzählt Vincent Coen.
"Cinema Inch'Allah" läuft Freitag Abend, 26. April 2013, ein Mal am Crossing Europe. Empfehlung. Und danach spielt es "Peaches Does Herself" im Ursulinensaal des OK, also gleich nebenan.
Dass Farid genau einer dieser "birdies that we fear" würde, thematisieren die Dokumentarfilmer nicht auf der Leinwand. Beim Gespräch nach dem Film zieht Regisseur Coen eine Analogie: Farid hätte seine Realität gegen eine andere getauscht - und die sei erneut eine stark visuelle. Mit Bart, Bekleidung und strikten, einfachen Regeln. Das sei eine Form von Theater. "Religion is a game of symbols", sagt Vincent Coen. Farids Filmfreunde bekamen Abstand von ihrem langjährigen Freund. Film drehten sie bislang keinen mehr. Doch Noon hat eine eigene Filmproduktion aufgemacht, die läuft, und Mohammed und Reda etablieren sich als Schauspieler. Mit Gagen.
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Die Dokumentarfilmer Vincent Coen und Guillaume Vandenberghe arbeiten bereits an ihrem nächsten Projekt: Sie porträtieren marokkanische Aktivistinnen, die für Frauenrechte und gegen Gewalt an Frauen rebellieren. Mit Aktionen wie der Anfahrt eines holländische Klinikschiffes für Abtreibungen oder Fastenbrechen bei einem öffentlichen Picknick im Park. Der Film schafft es hoffentlich zu einer zukünftigen Ausgabe von Crossing Europe.