Erstellt am: 25. 4. 2013 - 13:39 Uhr
Journal '13. Eintrag 12.
Das ist das Journal '13, meine regelmäßige Web-Äußerung in ungeraden Jahren. Im Gegensatz zu 2003, '05, '07, 2009 und 2011 heuer nicht täglich. Aber jetzt wieder etwas regelmäßiger.
Heute mit der Analyse eines Textes von Clay Shirky
Ulrike Langer bringt deutschen Verlagen und Journalisten bei, wie man sich sinnvoll mit dem 2.0 beschäftigt. Im Newsletter ihres Blogs hat sie mich mit Clay Shirky und seinem neuen Text verlinkt.
Shirky ist kein Meinungsreisender wie Jeff Jarvis, der mit Beerdigungsreden auf die Printbranche seinen Lebensunterhalt bestreitet - und somit gar nicht mehr anders kann als schwarzsehen; Shirky ist ein Laut-Nachdenker.
Sein Text im European ist mit dem Zitat "There is no news industry" betitelt. Solche Titel führen mittlerweile auch Medien-Konferenzen im medial nachrangigen Wien im Angebot, noch versteckt man sich aber hinter dem Blick auf das Ausland.
Journalists have been plunged into self-definitional doubt
Shirky weist Europa auf einen eklatanten und zutiefst folgenreichen Unterschied zwischen amerikanischem und europäischem Journalismus hin, der in der alten Welt gern übersehen wird.
In den USA untersagt das First Amendment jegliche Regulierung der öffentlichen Äußerung; also auch des Journalismus. Was in weiterer Folge bedeutet, dass es keine legale Definition des Journalisten gibt.
Die - vor allem in Europa übliche - Selbstsicht des Journalismus als "privilegierter Übersetzer", als "einzige zulässige Klasse für das Auffinden und Erklären von Informationen" ist dadurch obsolet.
Die Tatsache, dass es in den USA (deren Medien-Ethik Europa nicht erst seit 1945 als Vorbild dient) per Gesetz kein Distinktionsdenken und keine Berufsausübungs-Hindernisse geben darf, dass niemand regeln darf, wer aller Berichterstatter und Erklärer sein kann, verunmöglicht die in Europa (und da durchaus federführend im deutschsprachigen Raum) angesiedelte Weinerlichkeit der alten Medienhäuser, wer sich da neuerdings alles in "ihren" Markt, in ihr Business-Modell zu drängen wagt, mit nicht mehr Produktionsaufwand als einem Telefon und einem Computer. Die alte 'news industry', sagt Skirky, existiert nur noch im Rückspiegel.
Es gibt kein Menschenrecht auf Beibehaltung der alten Ordnung; es gibt kein Recht auf Artenschutz; vor allem, wenn andere, neue Arten die Bestäubungs-Jobs bereits besser erledigen. Und das ist der Fall, weil es keine Berufs- oder Markt-Beschränkung für Medien und Medien-Produzenten geben kann.
The self-definition as a privileged translator takes a big hit
Die zweite Überraschung: Shirkys Blick auf die unterschiedlichen Herangehensweisen von privatem und öffentlich-rechtlichem Sektor. Das einzig existierende US-Äquivalent, Public Radio, mache sein Geld mit der Behauptung, dass seine Arbeit wichtig sei. Am Markt orientierte Privat-Medien machen ihre Gewinne, indem sie Produkte (Shirky nimmt diapers als pars pro toto) verkaufen. Shirky fragt: "Why is it that the diaper-selling people think of themselves as having the better model? Why is it culturally superior to suck dollars from Procter & Gamble?"
Genaugenommen ist es kulturell deutlich unwürdiger, sich über die Verblödungs- und Ausbeutungs-Industrien zu finanzieren, als über eine öffentliche Abgabe. Nur: dieser Ansatz ist nach Jahrzehnten der Glorifizierung der Werbefinanzierung fast schon undenkbar geworden; absurderweise. Der industrielle Medien-Komplex hat hier eine Gedanken-Hoheit, die ihm nicht zusteht.
Brüchig wird diese Argumentationslinie nur durch zuletzt überhand nehmende Forderungen: es rufen nämlich auch immer mehr Privat-Medien nach öffentlichen Geldern und stellen ihre (natürlich nur alibihaft eingesetzt) öffentliche Bedeutung heraus.
Shirky ist also kein sozialromantischer Träumer, sondern ein harter Hinterfrager; er kalkuliert auch die Gegenwart des Journalismus durchaus kühl: weniger Ressourcen, weniger Zeit, höherer Output -> vermehrter Einsatz von "datasets, algorithms, crowds, outside organizations" und weniger Gejammer.
They could think strategically, but could not act tactically
Der dritte große Irrtum der Branche besteht laut Shirky darin, dass die Prozesse, die nötig sind, um den Journalismus in einen neuen Aggregatzustand zu überführen, nicht aus dem vorhandenen System selber heraus entstehen können.
Seine Erfahrungen aus der Praxis beschreibt er so: "Take an editor out of the newsroom and put them into a conference setting, they can talk about the future of news as well as anybody. But the minute you plug them back into the daily production routine, they could not see what to do. They could see the ten-year horizon, they could think strategically, but they could not act tactically."
Die beste, die vielleicht sogar einzige Möglichkeit für Journalisten sich den neuen Anforderungen eines sich verändernden Berufsbilds zu stellen, ist es, den Job zu wechseln oder den kompletten Neuaufbau ihrer Firma zu gestalten: "It’s often more trouble to try and modify existing institutions than it is to start new ones."
Ich muss zugeben: dieser Punkt tut mir am meisten weh.
Punkt 1 ist in seiner Härte gemein; Punkt 2 in seiner radikalen Umdenke auch schmerzhaft.
Aber in diesem Punkt trifft zu Wissen geronnene Ahnung auf klassischen Selbstbetrug, in seiner Beschreibung der Überforderung/Unfähigkeit des Umsetzens von Eh-klar-Wissen schlägt Shirky zu wie Miguel Cabrera, um da ein aktuelles amerikanisches Bild zu verwenden. Und auf der Basis meiner intermedialen Erfahrungen der letzten Jahre (ganz egal ob im privaten oder im öffentlich-rechtlichen Sektor) bleibt mir gar nichts anderes übrig, als ihm zu glauben.
Die dringend nötige Veränderung von Workflows, Ausspielung und Zugang - von der kompletten Neudenke der Gewichtung gar nicht erst zu reden - lassen sich nicht in die (vor allem in der hiesigen Medienszene) halbgaren, kaum ernstgemeinten Reförmchen, die von einer Nomenklatura, die noch ans Aussitzen einer Krise glaubt statt sich mit der Tatsache der Umwälzung zu konfrontieren, nur so pro forma eingeleitet werden, reinpacken. So wird nicht repariert oder aufgebaut, so wird verschleppt und verzögert - auch weil das ein altes österreichisches Konzept ist. Und ja, das ist auch selbstkritisch gemeint.
Weiter als der Journalismus, sagt Shirky, wäre da (überraschenderweise) die Buch-Industrie, da wird herumprobiert, auch im direkten Kontakt mit dem Publikum, zwischenhändlerfrei, Stichwort "direct publishing".