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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

24. 4. 2013 - 18:57

Die sehr zerbrechliche Liebesmusik

"Untogether" - das ganz und gar wunderbare Debüt-Album des kanadischen Duos Blue Hawaii.

Letztes Jahr hat das kleine kanadische Indie-Label Arbutus Records einen beträchtlichen Popularitäts-Schub erfahren: Eine der ohnehin prominentesten Künstlerinnen im Label-Roster hat - bei intakt bleibender Verbundenheit zum Mutterschiff - den Sprung zum, ja, legendären englischen Label 4AD Records geschafft. Sie hat ein Album des Jahres aufgenommen und ist so zum Popstar für trendbewusste Außenseiter aufgestiegen: Genau, Frau Grimes - die übrigens gerade auf ihrem tumblr einen als Pflichtlektüre zu verstehenden Eintrag veröffentlicht hat.

Keineswegs ausschließlich aufgrund des, aber doch bitte schon ein wenig mit Hilfe des Prominenz-Faktors von Grimes sollte jetzt einigen anderen herrlichen und aufregenden Acts aus dem Hafen Arbutus ein mittlerer Durchbruch gelingen: Doldrums beispielsweise, dem für sein Album ohnehin auch schon einiges an Lorbeer angetragen wird, Majical Cloudz, die sehr bald mit einem Longplayer auf Matador reüssieren werden oder aktuell dem Duo Blue Hawaii, das vor kurzem erst sein Debütalbum namens "Untogether" veröffentlicht hat. Diese karge und intime Musik, die Blue Hawaii behutsam und ganz genau ausgemessen einem aus Mikadostäbchen aufgestapeltem Gerüst gleich da zusammenbalancieren, hat seit Erscheinen der Platte nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdient. Es handelt sich hier nämlich um eine ganz und gar wunderbare Platte.

Blue Hawaii

Blue Hawaii

Blue Hawaii

Das Album von Blue Hawaii nennt sich also "Untogether": "Untogether" - ein Slangwort, das in etwa soviel bedeutet wie "unorganisiert" oder "emotional oder mental instabil". Wenn man also sozusagen nicht alles so recht beisammen hat.

Natürlich ist "Untogether" aber auch ein Wortspiel - eine Anspielung auf das Gegenteil von "Together". Man ist nicht bloß alleine, sondern man war einmal zusammen und befindet sich jetzt im Zustand des Auseinanderdriftens, der Auflösung. Das Album "Untogether" übersetzt dieses Gefühl in Sound.

Raphaelle Standell-Preston and Alexander Cowan, die beiden Mitglieder von Blue Hawaii, sind ein Liebespaar. Immer noch. Ist es wichtig? "Untogether" ist ein gegenseitiges Abtasten, ein vorsichtiges Hin-Und-Her-Zerren, ein zärtliches Gerangel. Im Jahr 2010 haben Blue Hawaii eine kleine EP namens "Blooming Summer" veröffentlicht: Darauf zu hören gab's verspielten Dream-Pop mit Tropical-Zuckerguss und leisen Einflüssen von Elektronik. Die Elektronik war hier aber eher nur Girlande, die klassischen Popsongs schmückendes Beiwerk.

Danach haben sich die Wege von Blue Hawaii sanft - immerhin in musikalischer Hinsicht - auseinander bewegt: Raphaelle hat sich mit der sehr guten Band Braids weirdem Pop und Rock gewidmet, der styletechnisch in etwa in der Nachbarschaft des Animal Collectives zuhause war und im weitesten Sinne noch als "Indie" durchgehen konnte - wenn auch superaufgeschüttelt und aufgekratzt in die Welt hinausgeklöppelt.

Alex hat sich in der Zwischenzeit, so geht die Legende, intensiv mit europäischer Dance Music auseinandergesetzt. "Untogether" ist aber nicht bloß die schnöde Addition irgendwelcher zusammengeklaubter Klangästhetiken. Die unterschiedlichen musikalischen Entwicklungen fließen auf "Untogether" merkwürdig ineinander und formen einen komischen Hybrid - dabei bleibt aber stehts ein Gefühl der Distanz und der Kälte bestehen.

Popsongwriting mit teils auch Folk-Elementen und - ganz kurz - einer gezupften Gitarre vermischt sich hier mit synthetischen Soundscapes und eisigem Zischen aus dem Rechner. Immer wieder kommen auch - ganz behutsam - tatsächliche Techno-Beats auf. Da passt es nur gut, dass die Platten von Arbutus in Europa von der Kölner Techno-Instanz KOMPAKT vertrieben werden.

Blue Hawaii

Blue Hawaii

"Untogether" von Blue Hawaii ist bereits bei Arbutus/KOMPAKT erschienen

Ein dominantes Element der Platte ist die Stille. "Untogether" lebt von Leerstellen, von Auslassungen und von strengem Minimalismus. Es scheppert leise, ein kleiner Wind zieht durch verlassene Fabrikhallen. Dem gegenüber steht die Stimme von Raphaelle, die immer wieder zerschnippselt, geloopt und geschichtet wird.

"Untogether" ist ein Album, das vieles bündelt, was aktuell den avancierten Pop-Mainstream bestimmt: Elektronisches Songwritertum, Post-Dubstep-haftes Beat-Gestolper, verpitchte Geistergesänge wie aus dem Witch House. Dabei klingt "Untogether" so seltsam und betörend wie nichts sonst im Moment. Man muss nur genau in diese Musik hineinhören. Klopf- und Schab-Geräusche, ein konstantes Hauchen, zerbrechliche Musik für die und aus der Liebe - die glückliche wie die unglückliche. Björk, die sicherlich als Vorbild für Blue Hawaii gelten darf, hat so eine Platte schon lange nicht mehr hinbekommen. Flüchtige Kunstlieder erwachsen aus den Geistern der Maschine, gleich sind sie wieder weg.