Erstellt am: 25. 4. 2013 - 17:12 Uhr
Morddrohung gegen Humoristen
Was ist eine Agrargemeinschaft? Eine Agrargemeinschaft ist ein selbstständiges Rechtssubjekt. Wo ist der Witz? Tiroler Agrargemeinschaften haben durch ihre Nähe zur Landespolitik und unter Mitwirkung der Landesagrarbehörde im vergangenen Jahrhundert verfassungswidrig Gemeindegründe übertragen bekommen, die in der Dimension mehr als die Fläche ganz Osttirols ausmachen. Ist das jetzt wirklich ein Witz? Der Tiroler Literat und Humorist hat aus diesem Stoff den musikalischen Kabarettabend "Agrargemein" destilliert.
Das Stück "Agrargemein" hat am 27.4. im Innsbrucker Treibhaus Derniere.
Eine temporeiche, grotesk komische Realsatire, Brisanz und Sauerstoffzufuhr in Kunstform, ein Ereignis. Prompt wurde von anonymen Tätern seine Haustür mit einem Missfallens-Graffitti verziert. Vor ein paar Wochen haben ihn und den Innsbrucker Treibhausbetreiber Norbert Pleifer auch noch anonyme Briefe mit Morddrohungen erreicht.
Markus Koschuh
"Tirol hat 13% besiedelbare Fläche. Mit Grund hast du Macht in Tirol." erzählt Koschuh. "Man hat Agrargemeinschaften gegründet und den Agrargemeinschaftsmitgliedern Grund in deren Eigentum übertragen, der den Gemeinden gehört. Von heute auf morgen waren Gemeinden plötzlich ohne Grund und einige Bauern hatten plötzlich irre viel Grund." Das jahrzehntelange Landgrabbing hat einige dieser "Agrarier" durch Schottergruben, Schipisten und Bodenspekulation reich gemacht. Die Gemeinden stehen finanziell bei genau den Grundherren in der Kreide, denen sie für Grundstücke, die ihnen selbst einst gehörten, Pacht zahlen müssen.
So viel Kärnten ist Tirol 2013
In mehreren Urteilen hat der Verfassungsgerichtshof diese Praxis der Enteignung als verfassungswidrig beschrieben. Von den Agrargemeinschaften bestellte Juristen halten aber fest daran, die Eigentumsverhältnisse seien "in Rechtskraft erwachsen". Zähes Prozessieren um jede Alm, um jede Piste, um jeden Euro ist das Resultat. Einen Dringlichkeitsantrag für ein Gemeindegut-Rückübertragungs-Gesetz stellten vor zwei Monaten die Tiroler Oppositionsparteien Liste Fritz – Bürgerforum Tirol, Grüne und FPÖ, unterstützt von u.a. fünf ÖVP-Bürgermeistern. Landtagspräsident und Ex-Landeshauptmann Herwig van Staa (in "Agrargemein" wird er genüsslich parodiert) würgte den Antrag ab und verhinderte auch einen Ausschussbericht dazu.
liste Fritz - Bürgerforum Tirol
Das Thema des Bodenkonflikts gäbe Stoff für fünf Hollywoodthriller und zehn Tatort-Folgen, sagt Markus Koschuh. Felix Mitterer, der Autor der Piefke-Saga, wurde gefragt, ob er nicht über die Agrargemeinschaften ein Theaterstück schreiben könne, hat aber abgewunken.
Koschuh verdeutlicht die Problematik, indem er einen unfähigen korrupten Kleinbürgermeister auf die Bühne bringt, der gleichzeitig Vorsitzender der örtlichen Agrargemeinschaft ist und sich bei der Gemeinderatssitzung nicht mehr auskennt, weil die Anwesenden gleich angezogen sind wie fünf Minuten zuvor bei der Agrargemeinschaftssitzung. Des weiteren treten auf: ein anonymisierter Zeuge, ein durchgeknallter Agrar-Terrorist, ein Germanistikprofessor, Herwig van Staa sowie ein Mitglied der Kärntner Landsmannschaft, das den "Wanderpokal für das beharrliche Ignorieren von Urteilen des Verfassungsgerichtshofs" von Kärnten an Tirol weitergibt.
ORF
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Mit dem breit rezipierten Kabarettstück zu Tirols brisantestem Politikum ist Markus Koschuh nicht nur der Beweis gelungen, dass Kulturschaffende mit ihrem Werk öffentliche Auseinandersetzungen befeuern können. Das befreiende Lachen, das einem sonst im Halse stecken bleibt, könnte den einen oder anderen auch aus der Schockstarre lösen, die Tirol durch eine beinahe 70jährige ÖVP-Dauerregierung soweit gebracht hat, dass die nun drohenden ÖVP-Verluste das Gespenst "Unregierbarkeit" umgehen lassen.
Im Interview erzählt Markus Koschuh vom Brief mit der Morddrohung, von seiner künstlerischen Herangehensweise und darüber, wie "Tirol neu geboren" werden könnte.
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