Erstellt am: 22. 4. 2013 - 15:22 Uhr
Give Peas A Chance!
Wie kann etwas verbrecherisch sein, das erstens schlicht notwendig, zweitens zum Wohle der Allgemeinheit und drittens im unbedingten Interesse unserer Nachkommenschaft ist?
Das ist absurd. Verrückt. Obszön.
Warum die Aufregung?
Derzeit arbeitet die EU-Kommission an einer neuen Saatgutverordnung. Abgestimmt wird über den künftigen Umgang mit dem Kauf, Tausch oder (auch der kostenlosen!) Weitergabe von Saatgut vielleicht schon Mitte des Jahres. Aber schon jetzt liegen Vorschläge auf dem Tisch, die kaum zu glauben sind. Offenbar arbeitet ein ganzes Heer von Lobbyisten der Agrarindustrie und einige gänzlich verirrte Beamte an einer Konstruktion, die, sollte sie von den EU-Institutionen in dieser Form tatsächlich angenommen werden, schlichtweg skandalös ist. Das findet auch der Verein Arche-Noah, der auf freievielfalt.at gemeinsam mit Global2000 eine Petition gegen den Gesetzesvorschlag aufgelegt hat.
Der vorliegende Gesetzesentwurf beinhaltet Vorschläge zur Neuregulierung, die direkt aus der Feder eines Mr. Burns stammen könnten. Künftig dürfte nur mehr gehandelt werden, was aufwändige und teuere „pre-market“-Tests besteht (ähnlich wie bei der Zulassung von Pharmaprodukten). Dieses für alte, regionale Sorten diskriminierende Vorhaben genügt Burns & Co. jedoch nicht, sie wollen auch noch das Verschenken von selbstgezogenem (ungetestetem) Saatgut unter Strafe stellen. Eine über Jahrtausende bewährte, ganz selbstverständlich gelebte Praxis des Tauschens, Handelns und Verschenkens unserer Kulturpflanzen würde plötzlich illegal.
CC-BY-SA-2.0 / tonrulkens
Seit mindestens 10.000 Jahren züchten Menschen gezielt Pflanzen.
Man sagt, dass Wissen das einzige Gut ist, das sich vermehrt, wenn man es teilt. Aber mit fruchtbaren Pflanzen und Tieren, mit lebendigen Organismen insgesamt, verhält es sich genauso. Durch die Ausbreitung der Menschen haben sich auch die Samen verbreitet und so essen wir Europäer heute Nahrung, deren ursprüngliche Heimat teils abertausende Kilometer entfernt liegt. Äpfel aus dem Kaukasus, Kiwis aus China, Kartoffeln aus Peru, Tomaten aus Mexiko... Hätten wir diese Pflanzen und deren Saat nicht bewahrt, getauscht, gehandelt und verschenkt, wäre die Menschheitsgeschichte sicher weniger erfolgreich verlaufen. Und weit weniger schmackhaft.
Durch bewusste Selektion haben Menschen der Natur ein wirklich ansehliches Sortiment an essbarem Getreide, Gemüse, Obst abgerungen. Die Verschiedenheit unseres Speisezettels ist beachtlich. Bis vor wenigen Jahrzehnten kannte die Menschheit beispielsweise geschätzte 200.000 verschiedene Reissorten. Ursprünglich, das heißt ohne das Zutun von Menschen, waren es wohl nur einige wenige, durch ganz bewusste Selektion wurden es mehr und mehr.
Unsere Vorfahren haben erkannt, dass Pflanzen ganz spezifische Eigenschaften haben und diese auch an ihre Abkömmlinge weitergeben können. Die (aus menschlicher Sicht) wertvollsten (schönsten, ertragreichsten, nahrhaftesten, lagerfähigsten, schädlingsresistentesten, süßesten... ) Pflanzen wurden daher nicht gegessen, man ließ sie „in die Saat gehen“, um auch künftig von der genetischen Einzigartigkeit der jeweiligen Pflanze profitieren zu können.
Wenn wir Salat essen, essen wir eigentlich „Salat-Babys“. Der „erwachsene“ Salat, der all seine Energie in die Fortpflanzung steckt, schmeckt nämlich längst nicht mehr so gut und seine ledrigen Blätter mag man nicht kauen. Er ist in die Höhe gewachsen und sieht kaum noch aus, wie in seiner Jugend. Seine Wuchsform erinnert dann an die eines zerzausten Christbaums und in seinen Blättern hat er mit zunehmendem Alter Bitterstoffe angereichert, um nicht gefressen zu werden. In gewisser Weise verteidigt die Pflanze so ihren Nachwuchs. Ihre Genetik. Ihren Fortbestand. Aus einer einzigen Salatpflanze können wir mithilfe ihrer ausgereiften Samen im kommenden Jahr dutzende, ja hunderte machen.
Samen sind Gold wert. Aber im Unterschied zu Gold kann man Pflanzen mithilfe eben dieses Saatguts und entsprechendem Know-how vermehren. Und genau das tun wir Menschen seit tausenden von Jahren. Wir selektieren und kultivieren Pflanzen und Tiere. Zu unserem Vorteil haben wir Lebensmittel „herausgezüchtet“, die in der Natur so nicht vorkommen würden. Das einzige „Problem“ dabei: man darf nicht aufhören zu züchten, das heißt, zu vermehren.
Wer eine genetische Ausformung am Leben erhalten will, muss der Pflanze ständig Nachkommen abringen. Immer und immer wieder, denn das Saatgut der meisten Kulturpflanzen ist nur wenige Jahre keimfähig. Vernachlässigt der Mensch also den Anbau einer bestimmten Art, so verschwindet sie. Die umsichtige Arbeit und Mühe von Generationen von (meist anonymen) Gärtnern und Bauern kann in nur einem Menschenleben vernichtet werden. Unwiederbringlich. Unsere Zivilisation ist dann um diese eine Art ärmer.
CC-BY-SA-2.0 / tjmwatson
In den letzten hundert Jahren haben wir geschätzte 75% unserer Kulturpflanzen verloren.
Die Hauptursache für diesen dramatischen Rückgang ist darin zu sehen, dass wenige Hochleistungssorten mit zunehmender Geschwindigkeit die althergebrachten aus dem Anbau verdrängen. Eine Kulturpflanze, die nicht mehr angebaut wird, stirbt rasch aus. Ein großer Verlust, da traditionelles, samenfestes (vermehrungsfähiges) Saatgut ganz spezielle Eigenschaften hat. Unsere Vorfahren haben diese am Leben gehalten, als Geschenk an die Zukunft sozusagen.
Weizen ist nicht gleich Weizen, Reis nicht Reis und Salat nicht Salat
Auf den ersten Blick sind sich die Sorten teils zum Verwechseln ähnlich. Ihre Verschiedenheit, und damit ihr wahrer Wert, zeigt sich erst bei ihrer jeweiligen „Performance“. Durch menschliche Auslese haben sich fruchtbare Varietäten herausgeformt, die vielleicht besonders trockenheitsresistent sind, oder mit ortspezifischen Schädlingen gut umgehen können. Die eine hat eine Wuchsform angenommen, die sie bei starkem Wind nicht umknicken lässt, die andere hält tiefen Temperaturen stand.
Pflanzen können sich ihrem Lebensraum und dessen Beschaffenheit sehr gut anpassen. Dabei hilft ihnen ihr tief in der Pflanzengeschichte verwurzelter, genetischer Stammbaum. Dieser hält viele „schlafende“ Eigenschaften bereit. Tritt eine Veränderung der Lebensbedingungen auf, kann die Pflanze also dank ihres großen Genpools auf Merkmale zugreifen, die ihren Nachkommen das Überleben sichern.
Impotente Supermänner
Eine ganz andere Strategie verfolgt die moderne Saatgutindustrie, die, aus stark eingeschränkter Genetik, wahre Superpflanzen hervorbringt, die selbst aber nicht fruchtbar sind. Nicht samenfest. Entweder sie sind steril wie ein Muli oder sie greifen auf das stark eingeschränkte Genmaterial ihrer inzüchtigen Eltern zurück. Als Saatgut sind sie jedenfalls nicht zu gebrauchen. Diese Pflanzen, Hybride genannt, werden unter höchstem technischen Aufwand erzeugt. Ihr Preis ist hoch. Auch deshalb, weil man nebst dem eigentlichen Saatgut auch noch einen Giftcocktail, der Konkurrenzpflanzen, Pilze und Insekten tötet, sowie Kunstdünger braucht. Die Ernteerträge sind jedoch hoch, weshalb sich die Industriestaaten in den letzten Dekaden dieser energieintensiven Wirtschaftsweise verschrieben haben, die direkt in die Abhängigkeitsspirale von Agrochemie-Konzernen führt.
CC-BY-SA-2.0 / parpan05
Modernen Hochleistungssorten produzieren Abhängigkeit statt fruchtbarer Nachkommen
In früheren Zeiten wäre es einem Bauern niemals eingefallen, am Ende der Ernte ohne Saatgut für das kommende Jahr dazustehen. Ernte war immer auch Saatgutgewinn und damit ein wichtiges Stück Autonomie. Eine Versicherung, eine weit wichtigere Ressource als Geld.
Die Vielfalt unserer Kulturpflanzen ist ein großer Schatz der Menschheit. Die nachhaltige Versorgung mit Nahrung ist Grundvoraussetzung für sozialen Frieden, Stabilität und Wohlstand. Die Industriestaaten dieser Welt haben die Produktion von Lebensmitteln heute wenigen Konzernen überantwortet, deren Geschäft die Uniformität ist.
Eine Organisation wie die Arche Noah, die sich dem Erhalt alter Kultursorten verschrieben hat, kann Monsanto, Dupont oder Syngenta machtpolitisch wenig aber inhaltlich sehr viel entgegenhalten.
„Wir haben etwa 6.500 Sorten in unserer Genbank, davon sind wohl 5.000 bis 6.000 nicht zugelassen“, sagte Iga Niznik, die bei Arche Noah für Saatgutpolitik zuständig ist. Wenn wir diese Sorten nicht tauschen, handeln oder verschenken dürfen, verschwinden sie. So einfach ist das.