Erstellt am: 21. 4. 2013 - 16:29 Uhr
Größer als Gott
- Alle Songs zum Sonntag auf FM4.
- Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.
Die Anerkennung von Gott oder gar die Lobpreisung seiner Leistungen ist von Seiten eines auf Rebellion und Edginess gebürsteten Musik-Undergrounds eher selten. Die Verleugnung seiner Existenz ist im Underground Mainstream, sie ist die Norm im Nonkonformismus. Dass Gott ja tot ist, haben auch gerade erst die frühen Teufelsanbeter von Black Sabbath mit ihrer ersten neuen Single seit Ewigkeiten wieder einmal angedeutet - ganz sicher sind sie sich da aber auch nicht und haben so den Song mit einem Fragezeichen versehen und "God Is Dead?" genannt.
Quasi das absolute Gegenteil davon formuliert der Musiker und Sänger Wesley Eisold im Titel und Refrain der neuen Single seines Projekts Cold Cave: "God Made The World" singt er mit eisiger, tränenerstickter Stimme, direkt aus dem Grab, über einem rastlos ihm fast schon davon galoppierenden Beat und über Synthesizern, die gleichzeitig bedeutsam und weihevoll wie süßlich-poppig von großen Tragödien zu berichten scheinen.
Cold Cave
Wesley Eisold beruft sich mit seinem in New York und Philadelphia stationierten Unternehmen Cold Cave auf unterkühlte Musik aus den späten 70ern und frühen 80ern, auf Postpunk (vor allem auf elektronisch betriebenen), auf streng und spartanisch angerichtete Cold Wave, Dark Wave und Minimal Wave. Musik, die eventuell bei den legendären Labels Mute und Factory erschien oder hätte erscheinen können: DAF, The Normal, die frühen Depeche Mode und Human League, Joy Division. Ganz deutlich spricht aus der Musik von Cold Cave auch der rudimentäre Maschinen-Punk des New Yorker Duos Suicide.
Ganz und gar finster und beklemmend ist es bislang bei Cold Cave, die neben einigen da und dort verstreuten EPs und Songs vor allem zwei sehr gute Alben bei Matador veröffentlicht haben, in ihrer Karriere aber nur selten geworden: Nun mag der Bandname Cold Cave schon eine generelle Trostlosigkeit und Unwirtlichkeit heraufbeschwören oder vielleicht gar die Umstände, unter denen Joy Division ihre Alben "Unknown Pleasures" und "Closer" aufgenommen haben, verbildlichen: Der Legende nach hat Produzent Martin Hannett der Band die Temperatur im Studio so weit nach unten gedreht, dass der Atem der Musiker in der kalten Luft sichtbar war.
Gleichzeitig ist die Wortgruppe "Cold Cave" natürlich eine offensichtliche Überhöhung der Themenkomplexe Weltschmerz, Weltekel und Desillusionierung und reimt sich halt auch so schön auf "Cold Wave". Ein leiser Humor hat bei Cold Cave immer Platz gehabt und so konnte die Musik, die immer wieder auch von hartem, industrialhaftem Fauchen und Zischen durchsetzt war, sich genauso schnell Richtung käsiger Kirtags-Beats und billig klingelnder Alleinunterhalter-Orgeln drehen.
Die Behauptung "God Made The World" bricht Wesley Eisold sofort nachdem er sie zum ersten Mal ausgesprochen hat: "God Made The World - But I Made This Song". Der Künstler nimmt die eigene kreative Schaffenskraft freilich als wichtiger als alles andere wahr - und dieser eine Song, der ihm gerade eingefallen ist: DER ist sowieso das Größte. Diese Opposition alleine genügt Cold Cave aber nicht, denn letztlich ist "God Made The World" dann doch das Wichtigste: Ein Love-Song. "God Made The World" singt also Eisold, und "But I Made This Song". Nach einem kurzen Zögern fügt er hinzu: "For You".
Der Mensch, der hier singt, braucht Hilfe, er will gemocht werden. "The first time I was arrested, I kept it to myself. And now I need your help, your wallet and your wealth." heißt es da beispielsweise noch. Oder, am Ende: "If you never want to see me again / Then why do you call me friend?" - In diesem Song treffen Größenwahn, Selbstüberschätzung, Verzweiflung, die Suche nach Bestätigung und unbedingtes Liebesbedürfnis in einigen wenigen Zeilen aufeinander. Möglicherweise brauchen wir alle einfach einen Freund.