Erstellt am: 17. 4. 2013 - 17:01 Uhr
Kein Licht am Ende des Tunnels
In Griechenland ist es eine Stunde später als hier. Dieses kleine Detail der kontinentalen Zeitverschiebung hätte fast dazu geführt, dass ich den Interviewtermin mit Christos Ikonomou via Skype um eine Stunde verpasst hätte. Zum Glück nur fast. Mit brennender Zigarette und einem Schmunzeln blickt er mir aus dem Bildschirm entgegen. Für seinen Erzählband "Warte nur, es passiert schon was", hat der Journalist und Autor 2011 den griechischen Staatspreis für Literatur erhalten. Vor kurzem ist sein Buch in der deutschen Übersetzung erschienen.
Das Griechenland von heute
Verlag C.H. Beck
Christos Ikonomou: Warte, es passiert schon was. C.H. Beck 2013. In einer Übersetzung von Birgit Hildebrand.
Ikonomou lebt in einer kleinen Stadt fünfzig Kilometer südlich von Athen. Wenn er aus dem Fenster blickt, sagt er, vermisst er das Meer und die Schiffe. Jahrzehntelang hat er in der Hafenstadt Piräus gelebt. Dort spielen auch die sechzehn Kurzgeschichten seines Erzählbandes. Es sind Geschichten vom heutigen Griechenland. Von dem Land, das von allen europäischen Ländern am härtesten von der Wirtschaftskrise getroffen wurde. Die griechische Wirtschaft ist in den letzten Jahren stark geschrumpft, und auch 2013 erwartet man ein Schrumpfen um 4,5 Prozent. Im November letzten Jahres hatten knapp sechzig Prozent der Unter-24-Jährigen keine Arbeit. Immer wieder geistern diese Zahlen durch die Medien. Zahlen, deren Bedeutung nur schwer vorstellbar ist.
Die Krise in Geschichten
Christos Ikonomou hat diese Zahlen in Worte gefasst. In seinem Buch erzählt er von der griechischen Bevölkerung, von ihrem Leben in der Krise. Nicht in wirtschaftlichen Analysen oder wertenden Kommentaren, sondern im Portrait seiner lebendigen Charaktere entsteht ein erschütternder Abriss der sozialen und emotionalen Situation der griechischen Mittel- und Unterschicht. Die Kurzgeschichten sind intime Momentaufnahmen aus den Wohnküchen, stillen Gassen, und Hinterhöfen Griechenlands. Der Autor ist nahe dran an seinen Figuren, an den Rentnern, Stahlarbeitern und Jugendlichen in seinen Erzählungen. Sie sind in ihrer Existenz bedroht. Armut, Hunger, drohende Obdachlosigkeit und Gewalt bestimmen ihren Alltag.
Seit der Krise gibt es einen ganz klaren Anstieg der Kriminalität vor allen in den Großstädten. Aber auch die politisch motivierte Gewalt hat zugenommen. Viele Menschen, die eigentlich keine Faschisten oder ultrarechts sind, gehen zur Goldenen Morgenröte, als Reaktion auf das politische System und all die Dinge, die in den letzten Jahren in Griechenland passiert sind. Und das macht mir Angst., erzählt Ikonomou.
ANA-MPA/SIMELA PANTZARTZI
Menschen in der Schreckensstarre
2005 hat Ikonomou begonnen, an dem Erzählband zu schreiben. Seitdem hat sich die Lage für die griechische Bevölkerung nicht gebessert: Es wird schlimmer und schlimmer. Wir haben mittlerweile ca. 1,5 Millionen Arbeitslose. Und die Menschen beginnen, ihre Hoffnung zu verlieren. Viele Junge Menschen verlassen das Land und gehen nach Australien und Kanada. Da ist diese riesige dunkle Wolke aus Pessimismus, die über dem Land schwebt. Es ist nicht wie in einer schlimmen Situation, von der man weiß, sie wird vorbeigehen. Viele Menschen sehen einfach kein Licht mehr am Ende des Tunnels.
In "Warte nur, es passiert schon was" gibt es keine Happy Ends und auch keine Pointen. Der Leser bekommt vor allem eines mit: Die allgemeine Stimmung, die in der griechischen Bevölkerung herrscht. Die Protagonisten sind sprachlos, verharren in einer Art Schreckensstarre, warten, bis etwas passiert. So wie die Geschichte eines Demonstranten, der mit einem unbeschrifteten Plakat auf die Straße geht: Er hatte nichts auf das Plakat schreiben können. Manche Dinge sind zu kompliziert, um sie aus sich herauszuholen. Viel zu kompliziert. Einfach nicht hinzukriegen.
Die Krise kam plötzlich
Das schlimme an der Krise für die Bevölkerung sei die Plötzlichkeit gewesen, mit der sie über das Land gekommen ist, erzählt Ikonomou, und das Wissen, wie es vorher war, wie gut es den Leuten noch vor ein paar Jahren gegangen ist, erzählt er und bringt ein Zitat seines Lieblingsautors Anton Chekhov: "Even a fool can face a major crisis, it’s the day to day living, that wears you out." Auf die Frage, ob er denn selbst noch Hoffnung habe, lacht er: "Das muss ich! Es ist hart, aber ich fühle mich dazu verpflichtet, Hoffnung zu haben. Nur so kann ich die Dinge tun, die ich liebe, wie das Schreiben zum Beispiel. Nur so kann ich weiterleben. Wenn man so will, kann man das auch als Nachricht für meine Leser verstehen." Und tatsächlich findet sich auch viel Positives zwischen den Zeilen der Geschichten. Wenn die Figuren zum geselligen Trinken zusammenfinden, ihrer Ausweglosigkeit mit Humor begegnen oder sich kämpferisch geben. Es ist eine Art positiver Resignation, die an manchen Stellen durchschimmert.
Dass Ikonomous Erzählband ausgezeichnet wurde, leuchtet ein. Er ist ein Zeugnis seiner Zeit. Für ihn sei es irgendwie auch verwunderlich, dass jemand aus Österreich das Buch gelesen hat und wir jetzt darüber sprechen, sagt er am Ende unseres Gesprächs und lacht, dann wird sein Gesicht ernst und er sagt, das finde er aber auch sehr wichtig.