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Nina Hofer

Krach. Bumm. Zack. Mittendrin und doch so fern.

20. 4. 2013 - 12:46

Total unambitionierte Eierlikörgefangenschaft

"Stadt der Angst". Das neue Album von Turbostaat.

Lieber Leser und in,
Ich wurde genötigt, einen sachlichen und ansatzweise objektiven Text über das neue Album von Turbostaat zu schreiben. Das hat mich sehr viel Schweiß und Mühe gekostet, weil eigentlich hab ich über Band und Album nur Folgendes zu sagen: Turbostaat sind ursuper. Alle anderen Bands sind übrigens noch lange nicht so super. Kauf Dir endlich eine Platte, zum Beispiel 'Stadt der Angst', oder auch die davor, das 'Island Manöver', oder auch alle davor. Komm gefälligst bald zu einem der kommenden Konzerte!

albumcover

turbostaat

Jetzt der sachlichere Text:

Seit 1999 machen Turbostaat den Deutschpunk unsicher. Eigentlich ist dem das völlig egal, der Band übrigens auch. Das Quintett aus dem norddeutschen Husum bezeichnet sich selbst als völlig ambitionslos und ist nur daran interessiert, gute Musik zu schreiben. Das tun sie, sehr gute sogar und langsam, stetig, aber sicher spielen sie sich in die Hirne der Menschen und sind mittlerweile, erstaunlicherweise, in den Höhen der deutschen Albumcharts gelandet. Erstaunlicherweise deshalb, weil Turbostaat nicht unbedingt die massenkompatibelste Band ist. "Stadt der Angst" heißt das eben erschienene Album und es ist ein weiteres Kind in der Tradition der eigenwilligen Spielweise der Band, die angeblich auch nie bestimmte Ziele verfolgt hat, die man sich bei einer Bandgründung eben so setzt. Gut so. Hat ihnen nie geschadet und tatsächlich ist ein Turbostaatkonzert mit zehn weiteren Besuchern genauso gut wie eines mit 200.

band steht vor wand

turbostaat

Making non-sense

Einen Fehler sollte man nicht machen: einfach konsumierbare Verständlichkeit hinter den deutschen Texten und Titeln vermuten. Wenn man so Wörter liest wie Eierlikörgefangenschaft, oder Sohnemann Zwei dann kommt man ins Grübeln. Aber: Wer nach tiefgründigem Sinn sucht, hat schon verloren. Oder ist einfach nur bei der falschen Band gelandet. Auf einer Spannbreite der verständlichen Ausdrucksmöglichkeiten von Herbert Grönemeyer (verstehen alle) bis zu Trio (eher nicht oft), sind die Texte von Turbostaat bei letzteren zuhause. Dadaismus lässt grüßen. Aber ganz so dadaistisch sind sie dann auch wieder nicht.

bandlogo

turbostaat

Tatsächlich verhält es sich mit dem Inhalt der Songs so wie bei einem Hütchenspiel: Die Kugel ist da, man hat sie gesehen, aber dort wo man sie vermutet, ist sie nicht. Ähnlich die Texte von Turbostaat: Man versteht die Sätze, aber in dem Moment, wo sie im Hirn einen gemeinsamen Inhalt ergeben sollen, zerfallen sie in einzelne Teile. Immer wieder versucht der unverbesserliche Fan diese Teile zusammenzusetzen und muss scheitern. Trotzdem kann man hinter den Wörtern ihrer Wahl Ansätze vermuten und zu verstehen glauben. Das macht die Texte wahnsinnig spannend. Politik, Sozialkritik und generell das Menschsein mit all seinen Facetten sind Leitthemen. Waren Themen wie Sehnsucht, Melancholie und Zuhause in den letzten Alben zwischendrin zu hören, sind es jetzt Enttäuschung, zweifelhafte Vorgaben der Gesellschaft und die Wahl des eigenen Lebensweges. Da schrammen die Männer gekonnt am rotzlöffeligen Punkrock vorbei und graben tiefer als der das jemals wollen würde.

band steht vor wand

turbostaat

Szenenwechsel

Landmäuse und Stadtmäuse. Die große Kunst des Turbostaats liegt prinzipiell im Wachküssen von völlig unbekannten Sehnsüchten. Vor allem eine Sehnsucht nach Orten, die man persönlich weder kennt, noch weiß, wo sie überhaupt liegen. Where the fuck is Husum? Ohne Turbostaat wüsste man weder, dass das ein Ort ist, oder dass er überhaupt existiert. Trotzdem gröhlt das Publikum bei jedem Konzert "Husum, verdammt" und alle fühlen das Gleiche. Ein fremder Ort im Norden Deutschlands, wo niemand außer Turbostaat und vielleicht Casper oder die Grauen Zellen jemals waren. Aber man teilt das Gefühl von Zwiespältigkeit gegenüber der eigenen Herkunft. Ein bisserl pubertärer Hass, ein bisserl Sehnsucht nach Zeiten, die im Lichte der Vergangenheit ihre Qualität verändern. Oder eben auch nicht. Hymnen der Ambivalenz gegenüber der eigenen Geschichte und Herkunft.

Auf dem neuen Album ist vom Sehnsuchtswecken wenig zu spüren. Vermehrt schlagen sie einem die Realität ins Gesicht oder um die Ohren. Anstatt große Gefühle für ferne Plätze und Menschen, gibt's das Spüren von schlechten Erfahrungen, schmerzender Enttäuschung und nie mehr enden wollenden Krieg.

Rachut, Smith und Polen

Wer nach musikalischen Einflüssen sucht, wird sich schwer tun. Oberflächlich gesehen ist es wohl Punkrock, ja, es klingt nach Deutschpunk, oder tut es das doch nicht? Sänger Jans Art zu singen ist geprägt von Jens Rachut. Wer Dackelblut oder Blumen am Arsch der Hölle schon mal gehört hat, versteht. Allerdings und aber: Während uns Rachut den Deutschpunk bei jedem Hörspiel, bei jeder Nummer ins Gesicht speibt und den dafür notwendigen Dilettantismus zur Meisterschaft treibt, schwingt beim Turbostaat das Pathos mit. Großes Pathos und das ist positiv gemeint. Manchmal erinnert Jans Stimme an den nonchalanten Habitus eines Oskar Werner, ein Maß an Überheblichkeit mit einer Prise Herablassung oder an die Aggression eines Klaus Kinski, nicht wissend ob man in der ersten Reihe stehend die gestreckte Faust auf die Nase bekommt oder die Spannung nachlässt.

Die aktuellen Tourdates:

  • 26.4.: Noppen Air, Herzogsdorf/OÖ
  • 27.4.: B72, Wien
  • 29.4.: Feierwerk, München

Geborgt hat man bei "Stadt der Angst" zumindest leicht von The Cure. Oder von Urlaub in Polen. Aber nachdem unter den Musikern Fans von The Cure sind, kann man von einer Hommage an das Frühwerk ausgehen, wenn bei "Psychoreal" zwischendurch unverfroren das Anfangsriff von "Killing an Arab" verwurschtet wird. Urlaub in Polen haben das wahrscheinlich auch beim Bob geborgt, wenn sie über Jesus, der so cool ist, singen.