Erstellt am: 21. 4. 2013 - 15:02 Uhr
Wenn aus Versagensängsten Synthiepop wird
Es war zur Jahrtausendwende, als vier junge Franzosen sich noch "Too Young" für das Musikbusiness fühlten und sich lieber bescheiden und hart arbeitend auf einem Fischkutter inszenierten, als mit Champagnerflöten in der Großraumdisco.
Jetzt, dreizehn Jahre später, entfachen Phoenix mit ihren schlichten Songs zwar immer noch ein Feuer im Pop-Olymp, allerdings scheinen sie mit "Bankrupt!" auch am Zenit ihrer musikalischen Entwicklung angelangt zu sein.

Phoenix/Warner Music
Die Entwicklung des musikalischen Alphabets
Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich das erste Mal "United", das Debütalbum des französischen Quartetts, gehört habe. Während mir "If I Ever Feel Better" damals nicht aus dem Kopf gehen wollte, zeichneten für mich die übrigen Songs ein sehr eklektisches Soundbild, sozusagen musikalische Kraut und Rüben. Zwar half es Phoenix sehr, dass "Too Young" für eine Szene in Lost In Translation ausgewählt wurde, trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, die vier Jungs wüssten noch nicht so recht, wohin mit ihrem jugendlichen Musikleichtsinn.
Doch als Thomas Mars, Deck d'Arcy, Laurent Brancowitz und Christian Mazzalai vier Jahre später "Alphabetical" vorlegten, hat es mich umgehauen. Songs wie "Everything Is Everything" oder "Run Run Run" zeigten neben einer unglaublich perfekten und ausgewogenen Produktion das goldene Songwriter-Händchen der Franzosen und ihr großes Gespür für Popmelodien. Mit diesem Album hat das Quartett schon 2004 seine musikalische Sprache gefunden.
Was dann folgte, war ein Ausflug in die Rock-Reduktion (auf der Platte "It's Never Been Like That"), bis sich Phoenix bei ihrem letzten Werk "Wolfgang Amadeus Phoenix" (wie schon auf ihrem Debüt) in die höchst professionellen Produzentenhände von Philippe Zdar von Cassius begaben. Das Ergebnis war eine opulente und meist charmant überdrehte Platte, die gern über das Indiepop-Ziel hinausschoss. Während mich dieses fast überproduzierte Glitzer-Glamour-Monster in Verzücken versetzt hat, spaltete sich die Fangemeinde wegen angeblichem bad taste, der der Band vorgehalten wurde.

Phoenix/Warner Music
That's entertainment!
Auch beim neuen Album, das den verwirrenden, weil laut Phoenix komplett unpolitischen Namen "Bankrupt!" trägt, setzten die Franzosen auf das Studio in Montmartre und Champagner-Soundfreund Philippe Zdar. Dementsprechend glattpoliert kommt das durchwegs aufgefettete Klangerlebnis daher. Dicht und klebrig wie Zuckerwatte, zugleich mit einer unverhohlenen Dampfwalzenmentalität, die bis auf wenige Stellen (wie bei der fast schon zarten Ballade "Bourgeois") die Frequenzbandanzeige immer auf Anschlag hochschnellen lässt. Und so glitzert und funkelt der Sound unentwegt in allen zehn kompakten Songs.

Phoenix/Warner Music
Einziger "Ausreißer" ist die Titelnummer "Bankrupt!", mit ihren sieben Minuten eine bedächtige Klangreise, bei der wir von flötenden Synthies und sanften Bassdrum-Schlägen begleitet werden, bis plötzlich ein Arpeggio-Wahnsinn mit der bisherigen Atmosphäre bricht. Im letzten Drittel erhebt sich dann Thomas Mars' Stimme über die breiten Soundflächen und die zart gezupfte Akustikgitarre. Nicht unbedingt das experimentellste oder ungewöhnlichste Stück von Phoenix, aber eine schöne Überraschung im recht gleichförmigen Fluss der Platte.
Wie schon bei "Wolfgang Amadeus Phoenix" ist dem Songschreiben auch diesmal ein dreimonatiger Soundfindungsprozess in New York vorausgegangen. Interessanterweise war diesmal eine Armada von analogen Synthesizern involviert, die "Bankrupt!" geprägt haben. Die Gitarren sind im Hintergrund wie noch nie, und auch die Drums scheinen entweder wirklich synthetisch hergestellt zu sein, oder Philippe Zdar hat hier sein ganzes Elektroniker-Können einfließen lassen, damit die Beats und Grooves wie aus einem verchromten Sampler klingen. Ein kleines Novum hört man allerdings: Bei der Single "Entertainment" darf schon mal der Sound so extrem komprimiert werden, dass es in den Kopfhörern so richtig zum Zerren anfängt. Tja, that's entertainment!
Is there anything more for me?
Ich bin noch immer hin- und hergerissen. An der Erwartungshaltung kann es nicht liegen, denn die hatte ich diesmal wohlweislich außen vor gelassen. Die Rezeptur ist bei "Bankrupt!" die gleiche wie bei vielen Songs von Phoenix, und doch scheint den Nummern diesmal Grund und Boden zu fehlen. Kann es sein, dass sich die vier Franzosen bei ihrer Soundsuche in New York etwas in den großen Wellen der analogen Synthies verloren haben?
Im durchwegs seltsamen Pressesheet wird erklärt, dass dieses Album mehrere Durchläufe braucht, bis man auf seine Schönheit und Komplexität stößt. Vielleicht braucht es wirklich noch eine intensivere Beschäftigung mit den Songs, die trotz wundervoller Momente und großer Popmelodien bei mir bisher ein unbefriedigendes Gefühl hinterlassen. Einzig "The Real Thing" hat mich von Anfang an richtig gepackt und mit seinem verqueren Eighties-Charme versöhnlich gestimmt. Ansonsten wirken mir die epischen Klanggemälde etwas zu gewollt. Passenderweise singt Thomas Mars beim Abschlussstück "Oblique City":
CocaCola beaten-up bottles
Is there anyting lost
Is there anything wrong with me?
Buried Mayan numerals
Is there anything else
Is there anything more for me?
Or anything else for me
Christian Lehner / FM4
Beim neuen Album scheint wohl die Verlustangst eine Rolle gespielt zu haben, die bei Phoenix regelmäßig vor neuen Studioterminen auftritt, wenn sich die Champagner-Schwaden der Tournächte verflüchtigt haben. Aber vielleicht ist "Bankrupt!" genau das, was die Entwicklung von Phoenix braucht, um erneut etwas reduzierter zu werden, sodass sich die vier Musiker wieder auf ihre Stärken konzentrieren können. Nämlich großartige, zeitlose Songs zu schreiben.