Erstellt am: 17. 4. 2013 - 11:17 Uhr
The city that never sleeps
Das, was gestern ein Kaffeehaus war, ist heute ein Schuhgeschäft. Nach weiteren zwei Monaten hat sich das Schuhgeschäft dann in eine Disko verwandelt. So ist das im Zeitalter des „Kapitalanschaffens“, in der sich meine Heimat befindet.
Ich habe gehört, dass es in England Lokale gibt, die schon einige Jahrhunderte auf dem Buckel haben. Die Bar, in der wir gerade sitzen, wurde erst vor einigen Wochen eröffnet. „Bruder, Sofia ist eine dynamische europäische Stadt“, sagt Milan, mein ehemaliger Mitschüler, den ich seit mindestens einem Jahr nicht gesehen habe. Er hat sich nicht verändert. Besonders seine Trinkgewohnheiten. „Ich bin durch die Welt gewandert, jetzt soll sie zu mir kommen!“ Es stimmt schon, dass Milan für eine Weile herumgereist hat: Er studierte Architektur im kalten Deutschland, danach erlebte eine heiße Latinoromanze mit einer Mexikanerin in Spanien und schließlich hat er in Kroatien fast geheiratet.
Auf der einen Seite von Milan sitzt seine neue Flamme Marie aus Nantes. Marie ist eine Freiwillige für die olympischen Spiele für gehörlose Menschen, die bald in Sofia durchgeführt werden sollen. Zuerst sollten sie in Athen sein, aber wegen der Krise wurden sie in die bulgarische Hauptstadt verlegt. Marie ist vom Tempo, mit dem Milan seine Rakija ausleert, beeindruckt. Ihr kommt es gar romantisch vor. Wenn ihr mich fragt ist das gewöhnlicher Alkoholismus. Aber vielleicht bin ich nur neidisch auf Milan, wegen der blonden Marie?
CC-BY-SA-2.0 / Bin im Garten
Auf seiner anderen Seite sitzt Julia aus Graz. Sie ist auch Freiwillige bei der Gehörlosen-Olympiade, aber sie sei nach Sofia gekommen, um - wie sie selbst sagt - „Party zu machen“. Sie ist an der richtigen Stelle angelangt! Man sagt ja, New York sei die Stadt, die nie schläft. Sofia tut das auch nicht. Es ist schon zwei Uhr und diese Bar, deren Namen ich mir nicht merken kann, ist randvoll. Und nochmal genauso viele Menschen stehen davor. Weil Rauchen in allen Lokalen in Bulgarien inzwischen verboten ist, stehen vor den Bars in Sofia immer sehr viele Menschen. Sogar in dieser regnerischen Aprilnacht.
Wir sind nicht die einzige internationale Gruppe. Am anderen Tisch schauen sich vier Spanier die Wiederholungen von einem gerade gelaufenen Champions League Spiel von Barcelona. Ein Italiener mit einer Irofrisur, Ernesto, versucht einige bulgarische Mädchen zu beeindrucken, indem er ihnen seine Lebensgeschichte in gebrochenem Englisch vorrappt. Neben ihm sitzt sein finnischer Freund, der eine Mastika nach der anderen mit einem hundertkarätigen Lächeln ausleert. „Very good, very cheap“, freut sich der Finne.
Im Lokal spricht man gleich viel Englisch und Bulgarisch. Eigentlich versuchen alle Nicht-Einheimischen auch Bulgarisch zu sprechen. Und kaum sind die Worte zu Ende, betritt plötzlich ein Feuerschlucker das Lokal. In der halbdunklen Bar sprudeln Feuerzungen aus seinem Mund. Alle klatschen, im Lokal riecht es nach Benzin und Verbranntem. Wir geben dem Feuerschlucker etwas Kleingeld und er ist zufrieden. Alle umarmen ihn.
Wie umarmen uns mit Milan auf dem Weg nach Hause. Bald fliegt er für ein halbes Jahr nach Japan. Ich umarme auch Marie. Sie weint. Julia auch. „Warum denn Leute?“ frage ich und ich spüre die Tränen in meinen Augen. „Na ja...“, schluchzt Marie „weil diese magische Nacht sich niemals wiederholen wird. Wir wachen morgen auf und nichts wird wieder so sein!“ „Sei ruhig!“, erwidere ich, „Sofia schläft nie, komm zurück zu ihr in deinen Träumen!“ Das war jetzt etwas dumm. Aber mir ist nichts anderes eingefallen. Es war schon vier Uhr morgens.