Erstellt am: 18. 4. 2013 - 06:02 Uhr
Eine Stadt als Selbstversorgerin
Sie kommen mit Spaten und Gießkannen und treffen auf junge Obstbäume, die es einzusetzen gilt. Seit letztem Herbst sind in Wiener Neustadt immer wieder kleine Gruppen zu beobachten, die Bäume pflanzen - über 100 haben sie schon gesetzt, in der Schmuckerau und im Stadtpark. Auf vierhundert Bäume soll der Bestand heuer noch anwachsen.
Veronika Weidinger
Martin Mollay hat diese Baumpflanzaktionen in der 40.000-EinwohnerInnen-Stadt im südlichen Niederösterreich initiiert. Der Anfangdreißigjährige arbeitet als Survivaltrainer, vermittelt also, wie Mensch sich in der Natur durchschlagen kann. Um mehr Nähe und Wissen um die regional und saisonal verfügbaren Früchte auch im städtischen Raum zu schaffen, hat er die Initative Obststadt gegründet.
Wer mitmachen möchte, meldet sich via Obststadt-Website bei der Initiative, es gibt auch die Möglichkeit, eine Baumpatenschaft zu übernehmen.
"Früher sind auch Kastanienalleen gepflanzt worden, um daraus dann Mehl zu machen", erzählt Martin, "erst im 20. Jahrhundert hat man damit begonnen, vor allem Laubbäume im öffentlichen städtischen Grünraum zu pflanzen." Die Initiative "Obststadt" will den öffentlichen städtischen Raum also für die Nutzung als Anbaufläche wieder zurückgewinnen - die BewohnerInnen sollen sich an Anbau und Pflege von Bäumen und Beeten beteiligen, deren Früchte sie dann selbst ernten können.
Keine Angst vor Obstbäumen
In manch anderer österreichischen Stadt ist das Setzen ähnlicher Initiativen nicht so gern gesehen. Die Initative Stadtfrucht Wien etwa berichtet in ihrem Blog über den gescheiterten Versuch, Bäume im Park vor der Nationalbank zu platzieren.
In Graz fordern die Grünen mehr Obstbäume und Beete in den Parks und beziehen sich kürzlich bei einem entsprechenden Antrag auf die Wiener Neustädter Initiative. Bislang hätte die Grazer Stadtregierung mit Behinderungen bei der Rasenpflege gegen Obstbaumpflanzungen argumentiert, erzählt die Grünpolitikerin Andrea Pavlovec-Meixner.
obststadt.at
"Obststadt" hat von Beginn an auf Zusammenarbeit mit der Wiener Neustädter Stadtregierung gesucht. Die Gemeinde unterstützt inzwischen das Projekt, politisch und finanziell, was der Initiative, so Mollay, ein gewisses Maß an Sicherheit und Perspektive gibt. Umweltstadtrat Wolfgang Mayrhofer wiederum freut sich über "Obststadt", nimmt Wiener Neustadt damit doch eine Vorreiterrolle ein.
Übrigens: Obst im öffentlichen Raum kann geernet werden, Mundraub bietet eine Kartographie von Bäumen und Sträuchen, Michael Schmid hat über "Freies Obst für freie BürgerInnen" berichtet. Ein ähnliches Projekt kommt aus Graz:Fruitmap, die Plattform für eine gemeinschaftliche Erntelandschaft.
Incredible Edible
Die Vision einer Stadt, in der sich die Bevölkerung
mit Obst und Gemüse selbst versorgen kann, bis hin zur "obstautarken" Stadt, der kommen zwei europäische Städte schon nahe. "Incredible edible" heißt es für Todmorden in West Yorkshire. Unglaublich essbar präsentiert sich seit einigen Jahren auch die deutsche Kleinstadt Andernach.
Es ist der Community-Gedanke, der solche Initiativen wachsen lässt und trägt. In Wiener Neustadt hat sich bei den regelmäßigen Treffen und Pflanzaktionen bereits ein Netzwerk gebildet. Darüber hinaus setzt Martin Mollay auf den gemeinschaftlichen Gedanken in der Bevölkerung, wenn´s um den Respekt gegenüber den Pflanzen geht. Mit Infotafeln bei den Bäumen wird über diesen Grundgedanken von "Obststadt" informiert. Für die Ernte heißt das: es gilt das Fair Use-Prinzip. Und wer wissen will, wo die Bäume im öffentlichen Raum von Wiener Neustadt stehen, in einer Fruitmap sind sie alle verzeichnet.