Erstellt am: 18. 4. 2013 - 10:44 Uhr
Ein kleines bisschen Gänsehaut
Kann einen übermäßiger Horrorfilmkonsum wirklich abstumpfen, wie es Moralhüter und sogenannte Jugendschützer gerne behaupten? Einerseits widerspreche ich solchen Behauptungen vehement und steigere mich dabei gerne in hitzige Wortgefechte. Und ich wage zu behaupten, dass weder meine splatteraffinen Freunde noch meine Wenigkeit durch all die unzähligen filmischen Schockmomente in irgendeiner Weise ethisch verlottert sind oder von barbarischen Fantasien gequält werden.
Auf der anderen Seite bemerke ich durchaus, dass jahrzehntelanges Eintauchen in fiktive Welten von Angst und Schrecken zu einer gewissen Abgebrühtheit führen können. Keineswegs dem Terror und der Gewalt im echten Leben gegenüber. Aber das inszenierte Grauen auf der Leinwand und dem Bildschirm betrachte ich bisweilen ganz schön schulterzuckend.
Das ist schlimm. Denn wer Horrorfilme bekanntlich nur belächelt und gar ironisch abwinkt, der kann sich die Zeit gleich sparen. Wer nicht den Geisterbahneffekt sucht, den wohligen Schauer, den ultimativen Angstkick, ist im Gänsehautkino fehl am Platz. Im Grunde geht es doch beim radikaleren Teil des fantastischen Genres nur um das Eine: Sich auf bewusst naive Weise fallen zu lassen, sozusagen wehrlos dem Geschehen auszuliefern.
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Der erste Kuss des Grauens
Unvergesslich sind sie, die diesbezüglich herrlich schrecklichen Initiationsmomente, die natürlich oft mit jugendlichen Jahren korrelieren. Das erste Mal „Dawn Of The Dead“, „Suspiria“ oder „Halloween“ hat man in der Erinnerung verankert wie den ersten eindringlichen Kuss. Im Grunde laufen viele Horrorfans immer diesen Urerlebnissen nach, oft vergeblich; wer dabei an mildere Formen von Junkies denkt, liegt nicht ganz falsch.
Und so geht sie immer weiter, die Suche nach der freiwilligen Erschütterung im dunklen und doch so sicheren Kinosaal, heftig wird dabei jeder aufkeimende Zynismus unterdrückt. Bis einem Filme leider oft keine andere Wahl mehr lassen, als den Kopf zu schütteln oder gar unfreiwillig zu lachen.
Reden wir an dieser Stelle über „Mama“, die neueste Produktion von Guillermo del Toro. Der sympathische Großmeister der ambitionierten Angsterzeugung bürgt als Fädenzieher hinter den Kulissen für den Debütstreifen von Andrés Muschietti. Der Argentinier hatte 2008 einen gleichnamigen, extrem effektiven Kurzfilm inszeniert, der del Toro so faszinierte, dass er einen abendfüllenden Spielfilm ins Rollen brachte.
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Ersatzmutter versus Geistermama
Am Anfang steht ein Amoklauf. Einem Bankmanager brennen, von Finanzkrisen gebeutelt, sämtliche Sicherungen durch. Nach einem Blutbad flieht der Mann mit seinen kleinen Töchtern in den Wald. In einer mysteriösen Hütte will er sich und die Kinder erschießen. Aber eine gespenstische Macht greift ein, tötet den durchgedrehten Vater und kümmert sich um die lieben Kleinen.
Als Victoria und Lily gefunden werden, nimmt ihr Onkel die verwilderten Schwestern in die Obhut. Nikolaj Coster-Waldau, der im TV-Wunderwerk „Game Of Thrones“ den charismatischen Bösewicht gibt, spielt den Erziehungsberichtigten mit Grunge-Vergangenheit, die großartige Jessica Chastain überrascht im Joan-Jett-Look als dessen Freundin. Annabel, wie ihre Figur heißt, gibt sich reichlich Mühe als Ersatzmutter. Doch die Punkrock-Sängerin stößt bald an ihre Grenzen.
Denn etwas ist den beiden Mädchen in den Rock’n’Roll-Haushalt gefolgt, etwas Finsteres und Untotes. Und dieses Wesen, von den Schwestern flüsternd „Mama“ genannt, meldet auf sehr militante Weise einen Anspruch auf Victoria und Lily an.
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Die Kunst des Nicht-Zeigens
Dysfunktionale Familienverhältnisse dominieren das Hollywoodkino ebenso wie alle sehenswerten aktuellen US-Serien. Nun greift, nach etlichen emotional angeknacksten RomComs, wieder einmal ein Horrorthriller das Thema auf. Wir lernen aus „Mama“ diesbezüglich einiges, vor allem aber: Kindererziehung ist knochenharte Arbeit. Besonders wenn sich eine Mutter aus dem Geisterreich auf drastische Weise einmischt.
Was der Film aber auch leider klar macht: Ein halbwegs befriedigendes oder funktionierendes Ende, diese absolute Königsdisziplin des Genres, an der auch Horrormeister wie Dario Argento oft scheiterten, hat meistens mit der Kunst des Nicht-Zeigens zu tun. Wer die ganze Spannung auf einer unheimlichen Kreatur aufbaut, tut gut daran, den wandelnden Terror nur schemenhaft ins Bild zu rücken. Oder aber das Masken-Design ist schlichtweg genial.
Der liebe Guillermo del Toro, der nicht nur ein Garant für atmosphärisches Gruseln, sondern auch eine alte Kitsch-Tante ist, ignoriert diese uralte Binsenweisheit. Wenn „Mama“ dem Finale zustrebt und die CGI-Titelfigur formatfüllend über die Leinwand geistert, glaubt man sich in eine etwas düster geratene Disney-Produktion verirrt zu haben. Oder in den Wiener Prater. Wirklich schiach ist anders, lautet das achselzuckende Resümee.
Ganz und gar nicht horribel, aber ebenfalls sehr empfehlenswert: Vom 18. bis 21. April findet das Musikfilmfestival Poolinale statt. Bereits zum dritten Mal haben die Wiener Veranstalter eine liebevolles Auswahl für musikbegeisterte Filmfans und filmfaszinierte Musikfans zusammengestellt. Austragungsort sind wieder das Wiener Topkino und Gartenbaukino. Wieder mit dabei sind auch einige Österreich-Premieren, eine spannende Mischung aus internationalen sowie nationalen Produktionen sowie ein Konferenzteil am Donnerstag.
Zur Eröffnung heißt es „Welcome To The Machine“. Der Debütregisseur Andreas Steinkogler folgt in seiner amüsanten Low Budget-Doku der jungen Wiener Band The New Vitamin in den Proberaum und auf die Bühne. Erfolgreiche Kollegen wie Peaches, Gonzales oder Klaxons geben Tipps für den Durchbruch in der maroden Musikgegenwart.
Am Ende des Festivals regieren dagegen die ganz großen Namen. Dave Grohls gefeierte Doku „Sound City“erzählt von legendären Studioabenteuern und lässt mit Bands von Neil Young und Fleetwood Mac bis Nine Inch Nails und QOTS die Musikgeschichte aufleben.
Zwischen diesen beiden Filmen, der DIY-Doku aus Wien und der Rockumentary aus L.A, liegt ein umfangreiches Programm. Das Reisen steht im Zentrum der heurigen Poolinale. Abfahren, ankommen, vorbeiflirrende Landschaften, Soundchecks, Euphorie und Katerstimmung.
„Suuns Europe 2011“ folgt der gleichnamigen Noiserockband durch Clubs von Amsterdam bis Wien. „Big Easy Express“ zeigt die Zugtournee von Mumfords & Sons quer durch Amerika. „Forever Still“ begleitet die famosen Beach House durch Texas. Und dann ist da noch einer der besten aktuelleren Musikfilme überhaupt, „No Distance Left To Run“, der die Geschichte der Britpopper Blur bis zu ihrem Comeback verdichtet.
Sony
Nächte der Angst
Was jetzt natürlich nicht heißen soll, dass sich weniger verrohte Seelen als meine Wenigkeit bei „Mama“ nicht beklemmend unterhalten. Wer dies im Kreise anderer Horrorfreaks tun will und in der Donaumetropole zu Hause ist, sollte ins Gasometer pilgern.
Vom 18. bis Sonntag 21. April findet dort im Hollywood Megaplex Kino nämlich das Fright Nights Filmfestival statt. Auf dem Programm des 2005 gegründeten Festivals stehen neben Guillermo del Toros spukender Mutter und der ausgesprochen bizarren Horror-Komödie "John Dies at the End" vor allem auch heftige Angriffe auf die Magengrube. Das brandneue Reboot "Texas Chainsaw 3D" wird ebenso seine Österreich-Kino-Premiere feiern wie das Torture Porn Spektakel „Pain“.
Der Höhepunkt für mich ist eindeutig der Samstag, der ganz im Zeichen des „Tanz der Teufel“ steht. Ab 17 Uhr wird die originale legendäre Trilogie von Sam Raimi mit Bruce Campbell präsentiert, um 23 Uhr findet dann die heimische Uraufführung des wohl heiß herbeigesehntestem Horror-Remakes dieses Frühjahrs statt. „Evil Dead“, so hört man überall, ist wohl der grimmigste und kompromissloseste Streifen den Hollywood in den letzten Jahren produzierte. Einziges Manko: Es wird nur die (ungeschnittene) deutschsprachige Fassung zu sehen sein.
Eher subtil schaurig und ebenfalls Teil der „Fright Nights“ Programmierung: "Stoker", der neue, ziemlich lässige Film des grandiosen koreanischen Genre-Visionärs Park Chan-Wook.
Centfox
Entsetzliches aus Europa
Wer bei den „Fright Nights“ Blut leckt und vom kollektiven Grauen im Kinosaal nicht genug kriegen kann, sollte sich gleich Karten für das Slashing Europe sichern. Während Linzer Splatterafficionados beim Crossing Europe Festival vom 23. bis 28. April in den Genuss der Auswahl meines Kollegen Markus Keuschnigg kommen, fiebern Wiener Gorehounds und Genreliebhaber dem 2. und 3. Mai im Filmcasino entgegen.
Neben filmischen Verbeugungen vor den verstorbenen spanischen Großmeistern Bigas Luna und Jess Franco begeistert die Slash-Auswahl wieder mit brandneuem Stoff an der Schnittstelle von Schock und Subversion. Die norwegische Serie „Hellfjord“, deren erste Staffel komplett gezeigt wird, gilt das das „Twin Peaks“ Skandinaviens und verspricht Spannung und Skurillität. Innovativ und atemberaubend wirkt der Trailer zur Science- Fiction-Fantasie "Aurora/Vanishing Waves" aus Litauen.
In „The ABC’s Of Death“ deklinieren etliche der obsessivsten Horrorfilmer der Gegenwart, von Ben Wheatley über Ti West bis zu Xavier Gens den Tod in allen Varianten durch. Nach diesen kurzen Miniaturen des Grauens gibt es im Wiener Filmcasino auch noch den neuen Film des französischen Regie-Exzentrikers Quentin Dupieux (alias Mr. Oizo) zu sehen. Wer den grandiosen „Rubber“ geliebt hat, kann „Wrong“ – die surreale Geschichte eines Mannes, der seinen verschwundenen Hund sucht – wohl nicht mehr erwarten. Mir geht es mit dem ganzen Slashing Europe Festival so, die Vorfreude könnte nicht größer sein. Es wird endlich wieder Zeit für einen Gänsehaut-Moment.
Slash Festival