Erstellt am: 16. 4. 2013 - 16:03 Uhr
Bukarest - umgeben von Ruinen
Kabel, hunderte Kabel, schwarz und bunt und allerlei eigenartiges technisches Gerät. Das hätten sie im Haus gefunden, erzählt Ella Szekely lachend. Sie sitzt in ihrem Café Dianei 4 in einer Villa aus der Jahrhundertwende, gleich hinter der Universität im Zentrum Bukarests. In einer ruhigen Seitengasse, die den Lärm des parallel verlaufenden sechsspurigen Boulevards verschluckt. Durch die mannshohen Fenster fällt Licht auf den alten Holzofen in der Ecke, der wenige Minuten zuvor mit neuen Scheiten gefüllt worden ist und langsam Wärme abgibt.
Nur eine Handvoll Gäste hat sich an diesem frühen Nachmittag eingefunden. Am hinteren Tisch verstecken sich zwei modisch gekleidete Studenten hinter ihren Laptops und besprechen ein Fotografie-Projekt. Noch hängt die Atmosphäre der vergangenen Nacht in der Luft – kalter Zigarettenrauch mischt sich mit dem Aroma des frisch gekochten Kaffees. Denn das Dianei 4, so friedlich es sich an diesem frühen Nachmittag geben mag, ist das verlängerte Wohnzimmer und der Partykeller der jungen intellektuellen Hautevolee der Stadt.
Mihai Stoica
Vor der Revolution 1989, die nicht nur das sozialistischen System sondern auch die Herrschaft von Nicolae Ceausescu und dessen Frau Elena beendete, beherbergte die kleine Villa eine Abteilung des allmächtigen Geheimdienstes Securitate, was die vielen Kabel erklärt. Das zweistöckige Jugendstilhäuschen mit dem eleganten Stiegenaufgang wurde kurz nach dem zweiten Weltkrieg und der Machtübernahme der kommunistischen Partei enteignet. „Nationalisiert“, wie es damals euphemistisch hieß. Ein Schicksal, das tausenden von Gebäuden widerfuhr - und dessen Folgen das Erscheinungsbild Bukarests und anderer rumänischer Städte bis heute prägen.
Die Restitution des damals enteigneten Besitzes kommt auch im mittlerweile seit mehr als 20 Jahren demokratischen Rumänien nur schleppend voran. Mehrere Anläufe verschiedener Regierungen haben das Problem nur unbefriedigend gelöst. Derzeit werkelt das Kabinett von Regierungschef Victor Ponta an einem neuen Gesetzesentwurf. Ausgelöst wurden diese Bestrebungen auf Druck des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Die hunderten Klagen rumänischer Geschädigter, die sich von der rumänischen Politik genarrt fühlten, hatten die Arbeit des EGMR fast zum Erliegen gebracht.
Die Spuren des Sozialismus
Der rechtliche Hickhack fordert unterdessen seinen Tribut an den Gebäuden: Niemand investiert in Renovierung, solange die Eigentumsverhältnisse nicht geklärt sind, die früheren Besitzer nicht und die Regierung erst recht nicht. Zumal den früheren Besitzern, sofern es sich um Privatpersonen handelt, das Geld dafür ohnehin meist fehlt.
Seit Jahren stehen so Häuser, Villen und andere Immobilien leer. So wird manch schmucke Villa, bei der Enteignung gepflegter Sitz einer bürgerlichen Familie, im Falle eines positiven Bescheides als halbe Ruine restituiert. Solche Beispiele finden sich in Bukarest überall, vor allem im Zentrum der Stadt oder in den Wohngebieten der ehemaligen Oberschicht.
So auch das Gebäude am Karl-Boulevard 53 (Bulevard Carol 53). Vom einstigen Glanz war nichts mehr übrig, als eine Gruppe junger Architekten vor knapp einem Jahr auf die Villa aufmerksam wurde. Das ehemalige Pförtnerhaus war von Hunden bewohnt, die Fenster teilweise herausgerissen, durch das Dach fiel der Regen auf das alte Parkett. Für die Pläne der Truppe aber schien das Gebäude genau zu passen: „Wir hatten so viele Ideen im Kopf, aber keinen Raum, um sie umzusetzen“, erzählt Lucian Sandu-Milea. Um den kleinen und ständig besetzten Ateliers der Architekturfakultät zu entkommen, hatte er mit drei weiteren Studenten beschlossen, sich nach einem leerstehenden Haus umzusehen – und fand die leerstehende Villa am Karl-Boulevard: „Es war ein Abenteuer, den Besitzer ausfindig zu machen“, erzählt Lucian.
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In Paris wurde er schlussendlich gefunden und nach langen Diskussionen konnten sich die jungen Männer mit ihm einigen. So darf die Gruppe das Gebäude vorerst nutzen. Im Gegenzug dazu haben sich die Architekten dazu verpflichtet, am Haus zu arbeiten und den Verfallsprozess aufzuhalten. Heute ist es unter dem Namen Carol 53 als rege bespielter Veranstaltungsort in den Nischen der kulturellen Landschaft Bukarests verankert. „Wir wollen eine Plattform für Kunst und Kultur schaffen, die jedem offen steht“, sagt Lucian, der inzwischen im Obergeschoss des Hauses wohnt. Einen Stock tiefer wirbt ein Plakat für eine Theateraufführung, daneben werden Reiki-Stunden angeboten, in der großen Gemeinschaftsküche diskutieren die Initiatoren mit Gästen über kommende Projekte.
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Ähnliches hatte auch Ella im Sinn, als sie 2009 nach mehreren Jahren in den USA gemeinsam mit ihrer kleinen Familie nach Rumänien zurückkehrte. „Mein Lebensgefährte Vlad Plaiasu und ich wollten im Kulturbereich etwas Eigenständiges aufziehen, jenseits der rumänischen Angestelltenverhältnisse, welche die Arbeitnehmer bis zum Maximum beanspruchen“, sagt sie. Nach einem Zwischenstopp in der siebenbürgischen Stadt Cluj entschieden sie sich, ihr Vorhaben in der rumänischen Hauptstadt zu realisieren, zuletzt kam noch ein Freund beim Realisieren des Projekts dazu.
Ein Kulturraum für Debatten, Konzerte und Filmvorführungen, der sich durch einen Café- und Barbetrieb selbst finanziert, sollte es werden. „Vom kulturellen Angebot her lässt sich Bukarest durchaus mit Chicago vergleichen“, meint Vlad. In dieses kulturelle Leben wollten sich die drei Partner mit ihrem Projektraum einklinken. Eine entsprechende Immobilie wurde mit Hilfe einer Immobilienagentur in dem verlassenen Haus in der Diana-Straße gefunden. Sieben Jahre lang hatte der ehemalige Besitzer um die Restitution gekämpft und das Haus schließlich an einen Immobilienentwickler verkauft.
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Seit Juni 2012 hat das Dianei 4, das sich am frühen Nachmittag so ruhig gibt, nun geöffnet - allerdings mit Ablaufdatum. „Wir haben einen Mietvertrag über drei Jahre, aber der heutige Besitzer kann uns jederzeit kündigen“, so Ella. Schließlich hatte dieser das Gebäude plus Grundstück aus rein wirtschaftlichen Interessen gekauft. Daher wird irgendwann ein Büroblock anstelle des Jugenstilhäuschens errichtet werden. Gegenwärtig ist der rumänische Immobiliensektor für solche Projekte jedoch zu schwach, die mageren wirtschaftlichen Aussichten verhindern seit Ausbruch der Wirtschaftskrise große Wagnisse auf dem Häusermarkt.
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Diese Unannehmlichkeit für den heutigen Besitzer ist der Segen für die Betreiber von Dianei 4. „Die Wirtschaftskrise gibt uns Zeit“, sagt Ella, die trotzdem optimistisch bleibt, senn ihr Projekt ist nicht zwingend an das Gebäude in der Diana-Straße gebunden. „Wenn der Tag kommt, nehmen wir unsere Gäste und ziehen um“, sagt die Betreiberin. Auch das Projekt Carol 53 profitiert von der Wirtschaftskrise und den niedrigen Renditen im Immobiliensektor: „Im Moment kommt einfach kein Investor, der die Häuser niederreißt und stattdessen Bürotürme baut“, sagt Architekt Lucian.
Brandstiftung als Ausweg
Für die historische Bausubstanz Bukarests bedeutet dieser Umstand indes nur eine Gnadenfrist. Das zeigt auch das Beispiel einiger Eigentümer, die ihre Liegenschaften offenbar
auf einen möglicherweise wiedereinsetzenden Bauboom vorbereiten - und sich der alten Gemäuer zu entledigen versuchen. Wie die Nachrichtenagentur Hotnews im Oktober des vergangenen Jahres berichtete, sind im Jahr 2011 alleine in Bukarest 37 Gebäude, die unter Denkmalschutz standen, abgebrannt. Bei einigen liegt der Verdacht der Brandstiftung nahe, wie der damalige Kulturminister Puiu Hasotti zugab. Derartige Vorgänge sind unterdessen nicht nur bei Privatbesitzern zu erkennen. Erst kürzlich ließ der Bukarester Bürgermeister Sorin Oprescu die ebenfalls denkmalgeschützte Matache-Markthalle illegal abreißen – mitten in der Nacht.
Ob mit Denkmalschutz oder ohne, ob niedergebrannt, abgerissen oder dem Verfall preisgegeben: Das architektonische Erbe Bukarests, einst „Kleines Paris“ genannt, zerbröckelt langsam. Und das aus mehreren Gründen: Neben Ignoranz und fehlendem Geld auf der einen Seite, gibt es auf der anderen Seite die Aussicht auf Profit. Das Resultat ist dasselbe und in der Bukarester Innenstadt (und außerhalb) zu sehen.