Erstellt am: 21. 4. 2013 - 13:25 Uhr
Mit der Laterne durch den Sumpf
Mittlerweile braucht man schon beide Hände, um alle Lehrveranstaltungen an österreichischen Unis, FHs und Privatcolleges aufzuzählen, in denen die Studierenden ihre eigenen Computerspiele erstellen. So, wie das Schreiben einer Bachelor- oder Magisterarbeit ist es ein erstes Erproben der Gesamtheit der gelernten Fähigkeiten. Statt wissenschaftlichem Arbeiten steht dabei aber vor allem die praktische Komponente im Vordergrund. Technische Fähigkeiten sind zentral, aber auch organisatorische, soziale und kommunikative Aspekte sind nicht zu unterschätzen: ein digitales Spiel entsteht meist im Team, und geht man bei der kollektiven Arbeit nicht koordiniert vor, bleibt man schon in frühen Phasen der Zusammenarbeit stecken. Am Ende leidet vor allem das Endergebnis, also das erste, eigene Spiel darunter.
Die Hürden bravorös gemeistert haben fünf Student/innen des Lehrgangs Game Engineering und Simulation an der Fachhochschule Technikum Wien. Ihr Game-Projekt "Schein" hat dort vor genau zwei Jahren seinen Anfang genommen und ist heute längst der Lehrveranstaltung entwachsen. Im Vorjahr konnte das Team das Spiel bereits auf der Gamescom in Köln präsentieren. Für dieses Jahr wurde "Schein" für das erst kürzlich zu Ende gegangene Independent Games Festival in San Francisco in der Studentenkategorie eingereicht. "Schein" hat längst eine eigene Website, eine PR-Betreuerin und, daraus resultierend, sogar eine kleine Fanbasis.
Der starke Wille, aus einer bloßen Auftragsarbeit der Lehrinstitution eine eigenständige Karriere zu machen, kann Berge versetzen - das haben bereits vor einigen Jahren die ehemaligen TU-Wien-Studenten von Broken Rules bewiesen, die ein heute international bekanntes Indie-Games-Studio aufgebaut haben. Mit Anfang des laufenden Jahres haben Michael Benda, Philipp Schäfer und Philipp Schürz ihre eigene Firma Zeppelin Studio gegründet, um der Weiterentwicklung und Fertigstellung von "Schein" volle Aufmerksamkeit zu schenken. Vor dem Sommer soll das Game fertig sein.
"Schein" präsentiert sich für ein Erstlingswerk beeindruckend. Das liegt unter anderem daran, dass das Team neben Game Design und Programmierung ebenso auf visuelle Stilistik und Sounddesign achtet. Das Zeppelin Studio arbeitet mit der jungen Audiofirma leed:audio aus Leipzig zusammen - ein weiterer Beweis dafür, dass die Entwickler hier mit Gespür für gutes Projektmanagement vorgehen.
Zeppelin Studio OG
Hinsichtlich audiovisueller Stimmung erinnert "Schein" an das düster-morbide "Limbo" und das Zeitreisen-Puzzlespiel "Braid". Spielerisch bedient es sich der derzeit populären Licht-und-Schatten-Mechanik, die man etwa auch bei "Closure" oder "Penumbear" findet. Es geht darum, mit Hilfe von Lichtquellen bestimmte Gegenstände aus der physischen Wirklichkeit raus oder rein zu nehmen und so diverse Rätsel zu lösen.
Weiterlesen: Peter Fußl von der österreichischen Games-Branchen-Website in-ga.me hat das "Schein"-Team interviewt.
"Schein" ergänzt das junge Hell/Dunkel-Spielegenre mit eigenen Ideen und führt eine eigenständige Mischung aus unterschiedlichen Lichtquellen ein. Einerseits trägt man ständig das sogenannte Irrlicht mit sich, das man nach Belieben ein- und ausschalten kann, andererseits gibt es in Form von Laternen mit unterschiedlichen Leuchtstimmungen auch bewegliche Lichtquellen. Einen guten und spielerisch durchaus anspruchsvollen Eindruck von "Schein" und seinen Puzzle-Aufgaben kann man sich schon jetzt in der aktuellen, spielbaren Demo für Windows machen.
Feedback abholen
Das Team von "Schein" hat im Vorjahr übrigens an der Subotron-Veranstaltung "Live-Pitching österreichischer Game-Startups" teilgenommen. Fünf Computerspielprojekte haben sich in je fünfminütigen Präsentationen einer professionellen Jury gestellt. Es ging dabei nicht ums verbale Auf-die-Schulter-Klopfen, sondern um konstruktive Kritik am Auftreten der Vortragenden und den vermittelten Inhalten.
Am 20. Juni gibt es - öffentlich und bei freiem Eintritt - eine neue Ausgabe des Pitching-Abends, und "Schein" wird ein weiteres Mal dabei sein - diesmal nicht als Studentenprojekt sondern als Erstlingswerk einer jungen Firma. Wer selbst gerade an einem Computerspiel bastelt, hat also eine gute Gelegenheit, sich Eindrücke von den ersten Schritten der Professionalisierung innerhalb der Games-Branche zu verschaffen.