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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

13. 4. 2013 - 09:34

Zum Thema Jüdisch

Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin geht Ressentiments auf den Grund und traut sich auch die heiklen Fragen zu.

Geht man dieser Tage durch Berlins Straßen, bleibt der Blick an seltsamen Plakaten auf Wänden und Litfasssäulen haften. In weißer Farbe mit grobem Pinselstrich steht da geschrieben: "Die Juden sind an allem schuld" und "Ein Jude ist beschnitten" oder “"Die Juden sind auserwählt". Aufklärung bringt der Hinweis auf eine Ausstellung im Jüdischen Museum : "Die ganze Wahrheit... was sie schon immer über Juden wissen wollten".

Für eine Sonderausstellung haben die Kuratoren des Jüdischen Museums 30 häufig gestellte Fragen aus Gästebüchern, Besucherumfragen und Gesprächen mit Kollegen gesammelt und versucht, die FAQ zum Thema "Jüdisch sein" mit Hilfe von Filmen, Exponaten und Literaturzitaten zu beantworten.

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Jüdisches Museum Berlin

Entstanden ist eine Ausstellung ohne Angst vor Kontroversen, die auf unterhaltsame Weise Aufklärungsarbeit mit Humor verbindet. Vor keiner noch so peinlichen Frage, vor keinem Ressentiment schreckt man zurück, da werden Stereotypen und Vorurteile zur Diskussion gestellt, und man gibt mit viel Mut und großer Gelassenheit dem Besucher Raum und Gelegenheit, sich Gedanken zu machen.

Der Rundgang beginnt mit ganz grundlegenden Fragen wie:
"Was ist überhaupt ein Jude?" Das beantworten einige männliche und weibliche Rabbiner in der Videoinstallation "Ask the Rabbi": Jude ist gemäß Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz, wer eine jüdische Mutter hat oder konvertiert ist. Aber man erfährt auch interessante Nebensächlichkeiten, zum Beispiel, dass Underberg koscher ist und Justin Bieber ein hebräisches Tattoo hat und was Sammy Davis jr. auf dem Golfplatz antwortete, als er gefragt wurde, was sein Handicap sei: "Ich bin ein einäugiger schwarzer Jude." Vor anderen Fragen wiederum steht der Besucher recht betreten oder unangenehm berührt. Zum Beispiel vor:

"Kann man einen Schlussstrich unter den Holocaust ziehen?"

Die Antwort auf diese Frage gibt ein Foto von Reli Avrahami 2010, aufgenommen in Netanya, Israel. Es zeigt ein Ehepaar: Rina, 78 und Herbert, 86 Jahre alt. Das Paar sitzt am Küchentisch, ernst sieht es den Betrachter an. Hinter ihnen an der Wand: ein Foto, in Holz gerahmt. Das Eingangstor von Auschwitz. Daneben ein Zertifikat der Holocaustgedenk- und Dokumentationsstätte Yad Vashem: die Anerkennung des Ehemannes als Holocaust-Überlebender.

Trailer zur Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin

Als Antwort auf die Frage: "Darf man über den Holocaust Witze machen?" werden unter anderem Ausschnitte aus amerikanischen Comedy-Serien gezeigt. Und wenn man diese Ausschnitte mit Sarah Silverman, Oliver Polak und aus "Curb your Enthusiasm" sieht, ist es interessant, zu beobachten, wie man selbst darauf reagiert: Kann man darüber lachen? Oder wird eine Grenze überschritten? So wird deutlich, dass es immer darauf ankommt, wer den Witz macht. Warum findet man die amerikanischen Szenen lustig und den deutschen Juden Oliver Polak peinlich?

Am Ende des Rundgangs sollen die Ausstellungsbesucher selbst entscheiden, bei welchem Klischee sie ihre eigenen Vorurteile am ehesten wiederfinden. Sind Juden besonders geschäftstüchtig, tierlieb, einflussreich, intelligent, schön? wird das Publikum gefragt. Vor jedem der genannten Begriffe steht ein durchsichtiger Glasbehälter, jeder Besucher kann Chips, die er am Eingang erhalten hat, dort einwerfen, wo er eine Frage mit "ja" beantworten will. Im Moment liegen die Attribute "geschäftstüchtig" und "intelligent" weit vorne, aber die Ausstellung läuft noch bis am 30. September, da kann sich noch einiges tun.