Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Ulli Lust in der FM4 Bücherei"

Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

14. 4. 2013 - 06:00

Ulli Lust in der FM4 Bücherei

Die Comiczeichnerin, Autorin und Wortlautjurorin schätzt ehrliche Geschichten. Als solche empfiehlt sie drei Comics von Allan Moore, Tonto und Joe Sacco.

  • Die FM4 Bücherei mit Ulli Lust gibt es am Sonntag, 14. April in FM4 Connected (13-17 Uhr) zu hören.
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Die FM4 Bücherei ist keine herkömmliche Bücherei, in der man Bücher ausleiht, sondern eine, in der Bücher vorgestellt werden.

Der oder die BesucherIn der FM4 Bücherei stellt seine oder ihre drei Lieblingsbücher vor, bzw. Bücher, die man lesen sollte. In diesem Fall drei Comics.

Diesmal zu Gast: Ulli Lust

Ulli Lust ist eine spätberufene Comiczeichnerin. Ursprünglich war die in Berlin lebende Österreicherin Illustratorin. Seit einigen Jahren zeichnet sie nicht nur Comics, sondern betreibt auch electrocomics.com, eine Plattform mit downloadbaren Comics. Die Kombination von Wort und Bild fasziniert sie. Erzählt sie irgendwo, dass sie Comiczeichnerin ist, kriegen die Leute meistens ein seliges Lachen und sagen "Ach, wie schön und wie niedlich." "Und dann denken die, ich mache so lustige Sachen mit großen Augen, die niedlich sind. Aber die haben meine Bücher noch nicht gesehen," lacht sie. Denn Ulli Lust erzählt Geschichten für Erwachsene. Beispielsweise ihre autobiographische Graphic Novel "Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens". Darin zeichnet sie, wie sie als junger Punk mit einer Freundin nach Italien trampt. Eine Reise, die in vielen Enttäuschungen und Gewaltszenen, bis hin zur Vergewaltigung endet. Aber wenn man schon die eigene Geschichte erzählt, muss man schonungslos sein. "Als Leserin möchte ich gerade diese ehrlichen Comics lesen", erzählt sie und empfiehlt drei ihrer Lieblingscomics.

Büchereikarte Ulli Lust

Zita Bereuter


Alan Moore und Eddie Campbell: From Hell

cover from hell

cross cult

Alan Moore und Eddie Campbell: From Hell. Übersetzt von Gerlinde Althoff, Cross Cult 2011

Das ist ein großes Epos – ein Sitten- und Gesellschaftsbild der viktorianischen Gesellschaft. Im Mittelpunkt steht Jack The Ripper. Das Interessante an diesen spektakulären Mordfällen im 19. Jahrhundert war der nie gefundene Mörder – das beflügelt die Phantasie und es gibt viele Theorien, wer das denn gewesen sein könnte. Eine Theorie zielt auf den Leibarzt der Königin, Wilhelm Gall, was jetzt etwas abstrus klingt.

Gall wird auch als sehr monströse Figur gezeichnet. Ein Freimaurer, der in den ersten Kapiteln des Comics nur aus Händen besteht. Wenn von ihm die Rede ist, wird aus seiner Perspektive erzählt und man sieht nur die Hände und die stecken dann immer grad in irgendwelchen Obduktionsleichen. Er wird dann von der Queen Victoria ermächtigt, das Problem mit den Prostituierten aus der Welt zu schaffen. Und er tut das auf eine Art und Weise, die der Königin nicht mehr ganz so gut gefällt...

Es ist großartig erzählt und sehr unspektakulär – obwohl es eine verdammt spektakuläre Geschichte ist. Das ist so zurückhaltend gezeichnet. Da ist ein leises Grauen, das einen die ganze Zeit beschleicht.

Ein Strang der Geschichte behandelt auch die Prostituierten von Whitechapel, wie die leben müssen und wie und warum die eigentlich dahin kamen, wo sie sind und wie wenig Chancen die eigentlich hatten und wie schnell es ging, dass man dort landet. Man bekommt ein Kind vom Dienstherren, wo man sich nicht wehren konnte. Schon hat man seinen Job verloren...


Tonto: Noise

Titelblatt zum nächsten TONTO-Comic-Heft

TONTO Comics

Tonto: Noise. Avant Verlag 2011

Die österreichische Comicszene ist ja nun eine sehr kleine und schmale, aber eine Gruppe in Graz finde ich ganz außerordentlich: Tonto – um Edda Strobl und Helmut Kaplan. Was die machen, ist nicht wirklich klassischer Comic. Die kommen aus der freien Kunst und sie gehen mit Comic auch ein bisschen um wie mit Kunst. Also es wird ein bisschen befreit von diesem Zwang, eine eindeutige Narration zu haben. Es gibt keine feste Geschichte. Die machen regelmäßig Publikationen: die Tonto-Hefte. Und dieses Tonto-Heft heißt "Noise" und ich finde das wahnsinnig gelungen. Es geht gar nicht darum, dass man die Geschichten trennt. Das ist ein visuelles Ereignis. So wie Noise-Musik Musik ohne Melodie ist, viele Geräusche zusammen, die ein eindrucksvolles Klangerlebnis ergeben, so ist das hier eine Kombination aus ganz vielen Bildern und ganz vielen Bedeutungen, die sich nicht so eindeutig erschließen, die so ganz viele lose Enden lassen.

Es sind ganz viele Künstler daran beteiligt.
Es geht eigentlich nicht darum, eine Geschichte nachzuerzählen. Es ist vielleicht mit einem Musikvideo vergleichbar. Es löst bei mir großes Wohlbefinden aus, darin zu blättern und auch die Texte dazu zu lesen.


Joe Sacco: Gaza

gaza cover comic

cover

Joe Sacco: Gaza. Übersetzt von Christoph Schuler. Edition Moderne 2011

Dieses Buch demonstriert sehr gut, dass die Bilder so viel Information beinhalten, dass man sie nicht weniger wichtig nimmt als den Text. Es erzählt von zwei Massakern in Gaza, die 1956 von Israelis an Palästinensern verübt wurden. Joe Sacco ist selbst ein gelernter Journalist, der aber auch ein begeisterter Zeichner ist. Er hat sehr viele Comicreportagen gezeichnet über Kriegsgebiete. Dieses Gaza-Buch ist für mich das herausragendste, weil es meine Sicht auf diesen Palästinakonflikt grundlegend verändert hat, bzw. mir zu Verständnis geholfen hat. Er hat den Leuten ein Gesicht gegeben. Er ist nach Gaza gefahren und hat Menschen nach diesen Massakern im Jahr 1956 befragt. Dann sind das keine anonymen Todesopfer mehr, sondern man erfährt, was das für Menschen waren, was sie damals gerade getan haben und wie es ihnen gegangen ist und man bekommt erzählt, wie dieser ganze Irrsinn angefangen hat.
Sehr harter Stoff.

Joe ist außerdem ein sehr guter Erzähler und er ist kein Gutmensch. Er zeigt sich auch selber, wie er genervt ist von Zeitzeugen, die vom hundertsten ins tausendste kommen wo er nur von 1956 hören will. Oder über die Jugendlichen in Palästina, die ihm gnadenlos auf die Nerven gehen. Aber dann zeichnet er auch eine kleine Szene, wo die Jugendlichen irgendwann mit ihm zusammensitzen und ihn fragen "Magst du uns eigentlich?", und das hat so was Rührendes.

Er erzählt von seiner eigenen Genervtheit,während der Recherchen und wie schwierig das alles war und diese einzelnen Aspekte baut er wahnsinnig gut auf. Es gibt niemanden, der Comicjournalismus mit derselben Intensität und Qualität betreibt.