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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

11. 4. 2013 - 15:25

Ich will nicht nach Berlin

"Strawberry Fields Berlin", der Debütroman des Poetry-Slammers Julian Heun.

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Schon vor Jahren hat das großartige Blog Riesenmaschine die "Automatische Literaturkritik" ins Leben gerufen - eine Liste von Plus- und Minus-Punkten, mithilfe derer der Gewinner der Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt wohl schneller und einfacher als durch langwierige Jury-Entscheidung zu ermitteln wären. Als negativ wird da zum Beispiel unter Punkt 23 folgendes angeführt: Saxophon- oder Akkordeonmusik im Autorenporträt. Positiv hingegen, Punkt 7, im Autorenportät zu werten: Keine "open mike"-Teilnahme / Teilnahme wird im Lebenslauf verschwiegen.

Dem Open-Mike-Teilnehmer und dem Poetry-Slammer eilt prinzipiell kein guter Ruf voraus. Der 1989 geborene Berliner Autor Julian Heun gilt als einer der bekanntesten Poetry-Slammer Deutschlands. 2009 soll er gar Vierter bei den Poetry-Slam-Weltmeisterschaften in Paris geworden sein. In seinem gerade erschienenen, richtig guten Debüt-Roman "Strawberry Fields Berlin" merkt man davon - von einem da und dort doch etwas zu bemüht atemlosen, "szenigen" und "jungen" Sprachgebrauch abgesehen - zum Glück wenig.

"Ich hasse Schokorosinen - ich hasse überhaupt viel. Und nicht nur das - ich hasse gerne! Gründlich und ausführlich zu hassen ist gesund und unerlässlich, wobei man jedoch nie außer Acht lassen sollte, dass gerade der elaborierte Hasser wohl gewählte Abstufungen machen sollte."

Julian Heun

Niclas Dietrich

Julian Heun

"Strawberry Fields Berlin" erzählt in kurzen Episoden die Geschichte zweier Figuren mit - scheinbar - entgegengesetzten Lebensentwürfen. Ein Mann, der nur "Schüttler" genannt wird, ist Journalist in Berlin. Er verfasst "boshafte" Boulevard-Geschichten für eine schlechte Boulevard-Zeitung. Er ist sich dessen bewusst. Er verdient ganz gut und fühlt sich überlegen. Seine Motoren sind Zynismus und Weltekel. Seine volle Verachtung gilt, nicht besonders originell, wait for it: der Spezies namens "Hipster".

"Die urbanen Szeneaffen, die hässlichste Zerrfratze des postironischen Turboindividualismus, das Riesengeschwür von Szeneberlin. Trendbehinderte. Schon in der Geschichte seines Namens liegt der Samen des Falschen: Der Hipster will etwas sein, das er nicht ist. Und er ist dabei so ekelhaft selbstsicher."

Ja, Julian Heun buchstabiert das tatsächlich noch einmal aus: "Hipster" - wieder und wieder. Enge Hosen, Brille, Jute-Beutel, der ganze ermüdende Quatsch. Dabei zeichnet Heun freilich nicht nur das beschriebene Objekt, den sogenannten Hipster, als eventuell verachtenswerte Gestalt, sondern auch den Kommentator Schüttler als armselig. Es wird ironisiert und über die Fallstricke der Ironie debattiert. Das ist in seiner Konstruktion oft ungelenk, fördert aber nicht selten schöne Gedanken und Formulierungen zutage: "Ich bin keiner jener Menschen, die alle zwei Bier erwähnen müssen, dass sie ja keinen Fernseher mehr haben."

Dem abgebrühten Schüttler steht ein junger Mann namens Robert, ebenso nach Holzschnitt gebaut, gegenüber: Ein Aussteiger, ein Möchtegern-Hippie, der in der indischen Kommune Strawberry Fields Erleuchtung und Liebe sucht:

Strawberry Fields Berlin

Rohwolt Berlin

"Strawberry Fields Berlin" von Julian Heun. 2013, Rohwolt Berlin.

"Bei uns wäre man gleich abgestempelt, denke ich. Hier ist gut, in Indien kann man noch ehrliche Freude empfinden, ungeniert und tiefmenschlich. Das sieht man ja an den Farben."

Der Autor Julian Heun entwirft seine beiden ach so unterschiedlichen Figuren mit Absicht überzeichnet: Abgeklärte Selbstherrlichkeit und Abscheu hier, freigeistige Naivität da. Man kennt diese Figuren und das Sich-Drüber-Lustig-Machen. Altbackenes, angestaubtes Lachen über die coolen Menschen mit ihren Mac Books und ihren angeblichen "Projekten" in den Cafés. Über die weltfremden "Ökos". All das wäre bloßes "Comedy"-Material nach dem ödesten Muster der Identifikation - kenn'se? - würden Heun nicht immer wieder Verschiebungen der Positionen gelingen. Die Haltung bleibt oft unklar.

In einer ein bisschen vorhersehbar inszenierten Pointe treffen Schüttler und Robert aufeinander und als Leser darf man so wieder einmal erfahren, dass es wohl kein Lebensmodell mit Anspruch auf Absolutheit gibt. Depressiv sind wir alle, es ist alles ein bisschen kompliziert.

"Hör mal. Batik sieht Scheiße aus, die Doors sind totgespielt, offene freie Liebe wird nie funktionieren, Betrügen hingegen durchaus, Betrügen ist eine Kulturtechnik, die sich seit Jahrhunderten bewährt."

"Ich habe mir keine Rave-Hochburg ausgesucht, ich habe keinen Ein-bisschen-wie-Goa-früher-war-Ort ausgewählt. Hier ist ein Dorf, ein Dorf mit drei Straßen und fünf von Tui geführten Hotels. Meines ist das teureste."

Hinsichtlich Plot bleibt die Geschichte dünn, es sind kleine Wortspielereien, die den Roman immer wieder drollig funkeln lassen. "Strawberry Fields Berlin" ist ein Buch, das ziemlich runterzieht und extrem witzig ist. Aber Hipster-Bashing - das geht nun wirklich nicht mehr, auch nicht doppelt gespiegelt und dreimal gebrochen. Das ist so 2011.