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Christian Pausch

Irrsinn, Island, Ingwer.

27. 4. 2013 - 08:44

Männer, die auf Ziegen starren

FM4 Kolumnistin Christiane Rösinger nimmt uns in ihrem neuen Buch mit nach Baku, in die Hauptstadt Aserbaidschans, zum Eurovisons-Songcontest 2012.

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Fischer Verlag

S. Fischer Verlag

Christiane Rösinger, die zwar ein Loblied auf das Rumfahren geschrieben hat, aber an einer - wie sie es in ihrem Buch selbst nennt - ausgeprägten Geographie-Schwäche leidet, macht sich gemeinsam mit Frau Fierke auf in die weite Welt. Berlin - Baku, so die Reiseroute und auch der Titel des vorliegenden Reiseberichts, der hier bei FM4 seinen Anfang genommen hat. Ein Buch, das zum Lachen und Weinen bringt, nicht selten im selben Moment.

Wer keinen Sinn fürs Autofahren hat, würde natürlich von Berlin aus in sechs Stunden über Moskau nach Baku fliegen und sich die Strapaze ersparen. Außerdem hat das Autofahren ja ein schlechtes Image. Nur mit viel Lust zum Tabubruch und Spaß am Ökos-Schocken kann man frei und laut sagen: Ich fahre gerne Auto! Ich bin begeisterte Autofahrerin!
In vielen Kreisen, ob man sie nun Lohas (Lifestyle of Health and Sustainability) oder Bobos (Bourgeois Bohemien), öko oder alternativ nennt, ist die Autofahrerin eine kritisch beäugte Ausnahmeerscheinung. Wer etwas auf sich hält, fährt Rad und bemüht sich so, ganz nebenbei, eine mühelos-selbstverständliche Sportlichkeit durchscheinen zu lassen ("Wieso, von meiner Wohnung bis zum Prenzlauer Berg sind es doch nur zwölf Kilometer!").

Germany, twelve points

Christiane Rösinger ist am Montag live zu Gast in FM4 Connected ab 15 Uhr.

Das Ziel ist der Eurovision Song Contest in Baku, Aserbaidschan, auch wenn dieser die ganze Fahrt über nur bedingt eine Rolle spielt. Viel wichtiger ist der Autorin das Reisen und viel interessanter als der ESC sind die Begegnungen, die die beiden auf ihrem Roadtrip machen. Man will mehr über die Figuren am Wegesrand erfahren, doch oft bleiben die beiden viel zu kurz an einem Ort, wie sie auch selbst melancholisch feststellen. Aber so ist das eben beim Reisen: es muss immer weitergehen.

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Im Gedächtnis bleiben dennoch vor allem die Menschen: ob das Queer-Aktivistinnen-Pärchen und die mit ihnen lebende bayrische (Schwieger)Mutter in Istanbul, der vermutlich betrügerische aber köstlich komische Hauswirt Wassili in Georgien, oder die vielen Männer, die am echten Wegesrand auf Ziegen starren und die wenigen Frauen, wie zum Beispiel die Cousinen Tünya und Emine in der Türkei.

[Emines] etwas jüngere Cousine Tünya spricht nur Türkisch, ist zuerst schüchtern, will aber trotzdem alles wissen: Woher wir kommen und was wir hier machen. Nachdem wir einiges berichtet und zurückgefragt haben, lässt die Cousine nachfragen, ob wir Frauen wären. "Ja", sagen wir, und sie lacht, und es ist uns und ihr gar nicht unangenehm. Aber wie kann das sein, dass wir so lange allein unterwegs sind, ohne Männer, wie soll das gehen?

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Christiane Rösinger

Die georgische Heerstraße, fotografiert von Christiane Rösinger.

Allemagne, douze points

Wohl nur die wenigsten sind schon mal in den Ländern gewesen, die auf dem Weg nach Baku durchquert werden müssen, und wohl kaum jemand weiß genauer über deren Vergangenheit Bescheid - hier hilft die Autorin und beschreibt Gori, die Geburtstadt Stalins, erklärt nicht nur was Zoroastrier sind, sondern auch dass Freddie Mercury einer von ihnen war und beschreibt, neben vielen anderen politischen Ungereimtheiten, auch die Proteste rund um den Song Contest in Aserbaidschan.

An Orten, die man tatsächlich schon besucht hat, freut man sich über Rösingers Berichte. Man grinst, wenn man das selbst erlebte wiedererkennt und ist empört, wenn man einen Ort anders kennengelernt hat. Aber immer bleibt man der Autorin gewogen und freut sich, mit ihr auf Reisen sein zu dürfen und über ihre oft sehr witzigen Beobachtungen:

Die Georgier sind Kämpfer, hatte mir tags zuvor jemand gesagt, das scheint mir jetzt auch so. Die Begrüßungsformel, unser "Guten Tag" heißt hier "Gamardschoba": Sei siegreich! Die Antwort darauf lautet: "Gagimardschoß": Du sollst auch siegreich sein.

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Christiane Rösinger

So sieht eine Lesung bei Frau Rösinger aus.

Deutschland, zwölf Punkte

Musikalische Revue zum neuen Buch, Christiane Rösinger live:

28.04.2013
München - Feierwerk

29.04.2013
Wien - Casino Baumgarten

30.04.2013
Wels - Alter Schlachthof

In "Baku-Berlin. Meine Reise zum Eurovision Song Contest" begleitet man Christiane Rösinger von der Geburt der Idee, über den Auto-Kauf in Berlin, zurück in die Kindheit der Autorin, auf die Straßen Osteuropas und die der Länder dahinter, durch wunderschöne und gefährlich-anmutende Situationen (ich sage nur: das Zeugen Jehovas Pärchen in Baku), durch verschiedenste Unterkünfte bis hin zu dem Moment, wo es tatsächlich anfängt um den Song Contest zu gehen:

Und dann ist hier im Späti zu Scheki zum ersten Mal auf unserer Reise durch neun Eurovisions-Länder - durch Deutschland, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Serbien, Bulgarien, die Türkei, Georgien, Aserbaidschan - der ESC ein Thema. Denn ganz am Ende des langwierigen Geschäftsvorgangs schaut uns der hilfreiche Taxifahrer fragend an: "Eurovision?" Wir bejahen enthusiastisch, geben mit unserer Autofahrt von Berlin nach Scheki an. Er übermittelt es den anderen, die daraufhin halb belustigt, halb fassungslos den Kopf schütteln - eine Geste, die man vielleicht mit dem deutschen Wort "plemplem" übersetzen könnte.

Am Ende will man Frau Rösinger douze points verleihen, und wäre am liebsten auch noch bei der Rückreise dabei.